Für Irmgard Griss ist der Glaube Teil ihrer Identität.
Für Irmgard Griss ist der Glaube Teil ihrer Identität.
Die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, war Leiterin der Untersuchungskommission zur Hypo Alpe Adria Bank. Griss erläutert dem "Sonntag" die Zehn Gebote und die Bergpredigt aus ihrer Sicht und definiert, was ein gutes Leben bedeutet.
Sie beschäftigen sich wieder mit Akten. Nun machen Sie einen Blick auf die Vergleichspläne zwischen Wien und München im Milliardenstreit um die ehemalige Hypo Alpe Adria. Kommen Sie vom Thema Hypo nicht mehr los?
Irmgard Griss: Das hoffe ich schon. Die Aufgabe dieser Kommission ist sehr beschränkt, nicht zu vergleichen mit jener der Untersuchungskommission zur Hypo Alpe Adria. Nun geht es darum zu beurteilen, ob ein Vergleich überhaupt sinnvoll ist, ob die Bedingungen, zu denen dieser Vergleich geschlossen wird, vertretbar sind, ob die rechtliche Umsetzung, die man für diesen Vergleich jetzt ausarbeitet, mit unserer Rechtsordnung vereinbar ist.
Wie und warum sind Sie Juristin geworden?
Irmgard Griss: Ich wollte immer Lehrerin werden. Ich bin in die Handelsakademie gegangen, habe das Latinum gemacht und wollte ursprünglich auch nach dem Jusstudium Lehrerin werden. Dann hat es sich so ergeben, dass ich zuerst Assistentin an der Universität war und, nachdem ich von meinem Studienjahr in den USA zurückgekommen war, in einer Anwaltskanzlei gearbeitet habe. Richterin bin ich geworden, weil ich den Eindruck hatte, um als Anwältin erfolgreich sein zu können, müsste ich wissen, wie ein Richter denkt. Ich hatte nämlich als Rechtsanwaltsanwärterin oft das Gefühl, es sei schwer, Richter dazu zu bringen, auf das einzugehen, was man als Parteienvertreter vorbringt. Als Richterin zu arbeiten, war dann aber genau das Richtige für mich. Und so bin ich geblieben.
Um was geht es in der Juristerei? Um Recht, Gerechtigkeit?
Irmgard Griss: Natürlich geht es um Recht. Jus ist ja Recht. Juristen müssen daran arbeiten und sich dafür einsetzen, dass das Recht lebt und verwirklicht wird. Das ist ihre Aufgabe. Gerechtigkeit kann hingegen immer nur ein Ziel sein; sie kann nicht so hergestellt werden, wie man ein Urteil schreibt. Richter sollten aber danach streben, Verfahren fair zu führen und gerechte Entscheidungen zu fällen. Natürlich wird es nicht immer gelingen, gerecht zu entscheiden, weil ja auch sehr schwer zu sagen ist, was ist gerecht. Man muss sich aber bemühen, zu einer Entscheidung, zu einer Lösung zu kommen, bei der man nach bestem Wissen und Gewissen sagen kann, das ist eine faire Lösung, das ist gerecht.
Wie wichtig ist Ihnen Ihr Glaube?
Irmgard Griss: Das ist Teil meiner Identität, aber auch eine Herausforderung. Ich bin in einer katholischen Familie auf dem Land aufgewachsen. Jetzt lebe ich in Graz, und dort gibt es eine kleine Pfarrgemeinde, der ich mich zugehörig fühle. Dieses Leben in einer Gemeinschaft ist das, was Christentum im Alltag für mich bedeutet: Christsein hilft dabei, dass Menschen zusammenfinden und einander begegnen.
Als Christen leben wir mit den Zehn Geboten. Bieten diese auch Grundlagen für die Gesetzgebung in einem Staat?
Irmgard Griss: Die Zehn Gebote sind in unserer Rechtsordnung – wenn man vielleicht von den ersten drei Geboten absieht – verwirklicht. Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen, das sind Grundregeln unseres Zusammenlebens. Die Rechtsordnung hat das natürlich verfeinert, ausgefeilt, was logisch ist, da wir in einer anderen Gesellschaft als zu Moses Zeiten leben. Aber die Zehn Gebote sind in einem gewissen Sinn immer noch Grundlage unseres Zusammenlebens. Ich sehe da keinen Widerspruch.
Die Bergpredigt gilt als die programmatische Rede von Jesus. Was nehmen Sie sich daraus mit?
Irmgard Griss: Die Bergpredigt sagt uns, was im Leben wirklich wichtig ist. Das sind nicht äußere Güter, weder materielle noch andere Erfolge, die man im Leben haben kann. Ich glaube, dass einem die Bergpredigt vor allem auch mit der Forderung nach Barmherzigkeit viel geben kann. Barmherzigkeit ist ja nicht nur etwas, was man anderen erweisen soll, Barmherzigkeit ist vor allem auch ein Wert, den man sich selbst gegenüber zeigen muss. Gerade auch das Vergebenkönnen ist einer der ganz großen Werte des Christentums. Den anderen vergeben können, barmherzig sein, und sich selbst vergeben können. Und auch das Streben nach Gerechtigkeit ist ganz wichtig. Gerechtigkeit ist ein Urbedürfnis des Menschen.
Was ist für Sie ein gutes Leben?
Irmgard Griss: Ein Leben, in dem man für jemanden da ist, da sein darf, oder für eine Aufgabe, und so seinem Leben einen Sinn gibt. Ich bin der Auffassung, dass ein gutes Leben ein erfülltes Leben ist, in dem man vor allem auch danach strebt, sich selbst kennenzulernen. Und wenn man sich selbst kennt, ist es auch leichter, sich in andere hineinzuversetzen. Sich in andere hineinversetzen zu können, ist wiederum etwas, was unser Zusammenleben erleichert. Und ein gutes Leben, ein erfülltes Leben, wird eher gelingen, wenn wir gut zusammenleben.
Irmgard Griss wurde 1946 im weststeirischen Bösenbach bei Deutschlandsberg geboren. Von 1966 bis 1970 studierte sie Jus in Graz, vier Jahre später ging sie nach Harvard.
1978 machte Irmgard Griss die Anwaltsprüfung in Österreich, wurde aber Richterin. 1979 arbeitete sie am Bezirksgericht für Handelssachen in Wien, 1981 wechselte Griss an das Handelsgericht, sechs Jahre später an das Oberlandesgericht, 1993 an den Obersten Gerichtshof, dessen Präsidentin sie von 2007 bis 2011, dem Jahr ihrer Pensionierung war.
Im Mai 2013 wurde Irmgard Griss Leiterin der Schlichtungsstelle für Verbrauchergeschäfte.
Im Frühjahr 2014 wurde Griss mit der Leitung einer Untersuchungskommission zur Causa Hypo Alpe Adria beauftragt, deren Abschlussbericht im Dezember 2014 vorgelegt wurde.
Seit Anfang Juli 2015 leitet sie die Kommission, die sich die Vergleichspläne zwischen Bayern und Österreich im Milliardenstreit mit der Ex-Hypo Alpe Adria ansieht und dabei die rechtliche Deckung untersucht.
Irmgard Griss ist mit einem Anwalt verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in Graz.
Weitere Informationen zu "Der Sonntag" - die Zeitung der Erzdiözese Wien