Univ.-Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Institut für Bibelwissenschaft/Altes Testament.
Univ.-Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Institut für Bibelwissenschaft/Altes Testament.
Sommer-Serie zum Universitätsjubiläum (Folge 8): Univ.-Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger (Altes Testament) über das Pontifikat von Papst Franziskus und seine Erwartungen an die Bischofssynode im Oktober.
Papst Franziskus repräsentiert in erster Linie die prophetische Tradition der Heiligen Schrift. Propheten rütteln auf, klagen an und provozieren. Oft greifen sie zu extremen Sprachbildern und scheren sich nicht um political correctness. „Sie fressen mein Volk auf, sie ziehen den Leuten die Haut ab und zerbrechen ihnen die Knochen. Sie zerlegen sie wie Fleisch für den Kochtopf, wie Braten für die Pfanne“, lesen wir beim Propheten Micha (Mi 3,1). Nicht selten geraten Propheten in Konflikt mit den Mächtigen. Amos erhält ein Redeverbot und wird des Landes verwiesen, denn „seine Worte sind unerträglich für das Land“ (Amos 7,10).
Typisch für die alttestamentlichen Propheten ist ferner, dass sie ihre Kritik nicht in erster Linie und schon gar nicht ausschließlich nach außen, gegen die anderen Völker richten, sondern zunächst und vor allem an das eigene Volk. Angeklagt werden die Reichen, „die Haus an Haus reihen und Feld an Feld fügen, bis kein Platz mehr da ist und sie allein im Land ansässig sind“ (Jesaja 5,8). Zur Verantwortung gezogen werden vor allem auch die Hirten (pastores) des Volkes, „die nur sich selbst weiden“, die Herde aber nicht auf gute Weide führen (Ezechiel 34,1-10). Die öffentliche und für katholische Ohren irritierende Kritik, die Papst Franziskus vor Weihnachten an die Mitarbeiter der Kurie, aber auch an Priester und Ordensleute richtete, ist vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Prophetie nichts Ungewöhnliches. Eine derartige Verkündigung führte viele Propheten in die Einsamkeit. „Ich sitze nicht heiter im Kreis der Fröhlichen, von deiner Hand gepackt, sitze ich einsam“, klagt der Prophet Jeremia (Jer 15,17). Er wird verhaftet und in die Zisterne geworfen (Jer 38,1-6). Viele Christen, die prophetisch auftreten, erleiden heute ein ähnliches Schicksal.
Nun kennt die Heilige Schrift nicht nur das Charisma des Propheten, sondern auch dasjenige des Priesters und des Weisheitslehrers. Der Priester kümmert sich um das Gesetz (Tora), der Prophet verkündet das Wort Gottes, und der Weisheitslehrer erteilt einen Rat, heißt es bei Jeremia (Jer 18,18). Will man beispielsweise Papst Benedikt XVI. einem dieser drei „Ämter“ zuordnen, so müsste man ihn wohl als einen Weisheitslehrer bezeichnen. Ein seinem Wirken als Papst gewidmetes, von einem Wiener Theologieprofessor herausgegebenes Buch nennt ihn zu Recht den „Theologenpapst“. Einen solchen Titel wird man Papst Franziskus wohl nicht zusprechen. Der heilige Franziskus war kein Theologe, sondern ein Prophet.
Aus gesamtbiblischer Sicht darf man die hier genannten Begabungen nicht gegeneinander ausspielen. Die Stärke der jüdischen wie der christlichen Tradition besteht darin, dass sie unterschiedliche und in Spannung zueinander stehende Charismen zusammenzuhalten vermag.
So ist auch die weisheitliche Tradition der Bibel keineswegs unkritisch. Bartolomé de las Casas, der „Apostel der Indianer“, fand zu seiner Bekehrung aufgrund eines Wortes des als konservativ geltenden Weisheitslehrers Jesus Sirach. Bei der Vorbereitung auf die Pfingstpredigt im Jahre 1514 las er: „Man schlachtet den Sohn vor den Augen des Vaters, wenn man ein Opfer darbringt vom Gut der Armen ... Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt. Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Unterhalt vorenthält“ (Sirach 34,26f).
Verbleibt man also nicht an der Oberfläche, sondern liest die Zeichen der Zeit im Lichte der gesamten Heiligen Schrift, so wird deutlich, dass die hier genannten Traditionen zusammengehören. Die prophetische Tradition spielte immer eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge der Kirche. Neu ist, dass sich das Charisma des Propheten gegenwärtig auf dem Haupte des Pontifex maximus niedergelassen hat. Systemisch gesehen scheint das störend zu sein. Vom Papst war man gewohnt, dass er auseinanderstrebende Kräfte zusammenhält und unruhige Geister in vertraute Bahnen lenkt. Papst Franziskus scheint der Ansicht zu sein, dass die Geister erst einmal geweckt werden müssen, bevor sie zu unterscheiden sind. Viele Katholiken, die sich oft schwer tun mit dem Papsttum, sind davon begeistert, andere, deren Identität sich bisher vor allem aus einer engen Orientierung am Heiligen Vater nährte, sind irritiert. Psychodramtisch gesehen bietet diese Situation vielen Katholiken die Chance, nicht gelebte Anteile ihrer Persönlichkeit zu entdecken und zu entfalten. Das kann die Vielfalt und Einheit der Kirche stärken und vertiefen.
Bis 6. September schreiben Lehrende der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät im „Sonntag“ im Rahmen einer „Sommer-Akademie“ auf Seite 3 über das Pontifikat von Papst Franziskus und ihre Erwartungen an die Familien-Bischofssynode, die im Oktober in Rom stattfindet.
Zum Nachlesen:
Kommende Beiträge:
6. 9.: Regina Polak (Pastoraltheologie)