„Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt“, schreibt Bonhoeffer.
„Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt“, schreibt Bonhoeffer.
Interview mit Univ.-Prof. Gunter Prüller-Jagenteufel über Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer wurde nur 39 Jahre alt (1906-1945). Trotzdem prägte er die (nicht nur evangelische) Theologie? Warum?
Prüller-Jagenteufel: Dietrich Bonhoeffer war ein Theologe, der sich radikal den Herausforderungen seiner Zeit stellte – und damit ist er für die Nachkriegsgeneration von Theologen und Gläubigen jemand, der eine heilsame Herausforderung darstellt.
Ich möchte deutlich machen, was mir an Bonhoeffer wichtig geworden ist: Im Frühjahr 1939 hielt sich Bonhoeffer zu Studienzwecken in den USA auf, entschloss sich jedoch, nach Deutschland zurückzukehren und sich dem Widerstand gegen Hitler anzuschließen.
Bonhoeffer sah das als seine Verantwortung für das christliche Europa. Dieser „Ruf in die Verantwortung“, den er mit seinem Leben bezeugt hat, bildet zugleich das Zentrum seiner Theologie: Gott hat uns in diese Welt hineingestellt, damit wir in ihr leben und dem kommenden Reich Gottes den Weg bereiten.
Damit verbietet sich für Bonhoeffer der „fromme“ Rückzug aus der Welt, der welt-los zu Gott gelangen möchte. Eine solche Haltung nennt Bonhoeffer „hinterweltlerisch“: „Hinterweltlerisch sind wir, seit wir den bösen Kniff herausbekamen, religiös, ja sogar ,christlich‘ zu sein auf Kosten der Erde.
Im Hinterweltlertum lässt es sich prächtig leben. Man überspringt die Gegenwart, man verachtet die Erde, man ist besser als sie ...“ „Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt“, schreibt Bonhoeffer. Dementsprechend sieht er die Aufgabe der Christen darin, in der Welt und für die Welt zu wirken und auf diese Weise Christus nachzufolgen.
„Vor und mit Gott leben wir ohne Gott“ lautet der Titel Ihres Vortrags. Was heißt das konkret?
Prüller-Jagenteufel: Mit diesem Satz drückt Bonhoeffer seine Erfahrung aus, dass wir in der Welt Verantwortung übernehmen müssen. Wir haben die Aufgabe, heute und hier unsere Welt so zu gestalten, wie es dem Willen Gottes entspricht. Für Bonhoffer hieß das, gegen Hitler und den Nationalsozialismus Widerstand zu leisten. Dabei war ihm klar geworden, dass Gottes Werk durch die Menschen vollbracht wird, die sich von ihm in Dienst nehmen lassen.
Wir können uns nicht einfach darauf verlassen, dass Gott wie der sprichwörtliche „deus ex machina“ in der barocken Oper in diese Welt eingreift. Vielmehr handelt Gott gerade durch die Menschen, die seinen Willen tun. Diese Menschen, so Bonhoeffer, leben „vor Gott und mit Gott“, aber eben „ohne Gott“ in dem Sinn, dass sie nicht darauf warten, dass Gott ihnen die Arbeit abnimmt. Sie übernehmen „das Wagnis der freien Verantwortung“ bis zum Martyrium.
Bonhoeffer starb 1945 als Märtyrer. Wie verhält sich seine Anschauung vom Christentum im Verhältnis zur NS-„Religion“?
Prüller-Jagenteufel: Bonhoeffer sah in Hitler tatsächlich einen Antichristen und im Nationalsozialismus eine Antikirche. Wenn sich Hitler als Erlöser und deshalb als absolute Autorität verstand, so gab es für Bonhoeffer nur die Alternative: entweder Hitler oder Christus. Es war unmöglich, beiden zu folgen.
Ao. Univ.-Prof. Dr. Gunter Prüller-Jagenteufel
lehrt Moraltheologie an der Uni Wien.
Welches Buch von/über Bonhoeffer empfehlen Sie als Einstiegslektüre?
Prüller-Jagenteufel: Ferdinand Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Eine Biographie, dtv-Taschenbuch (€ 13,30).
Ferdinand Schlingensiepen
1906 - 1945 Eine Biographie
2010, Dtv
Flexibler Einband
432 Seiten
ISBN: 978-3-423-34609-2
Dieses Buch oneline bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen.