"In einigen Teilen der Welt wird es sehr viel schwieriger, Nahrungsmittel zu produzieren", sagt Tim Benton.
"In einigen Teilen der Welt wird es sehr viel schwieriger, Nahrungsmittel zu produzieren", sagt Tim Benton.
Tim Benton, Leiter des britischen Programms für globale Nahrungssicherheit, findet deutliche Worte: "Die Lösung liegt nicht nur in der Steigerung der Lebensmittelproduktion, um den Ärmsten der Welt Zugang zu mehr Nahrung zu ermöglichen. Es muss sich das Konsumverhalten der reichen Welt ändern."
Was denken Sie über den Satz von Papst Franziskus "Nahrung, die weggeworfen wird, wird gleichsam vom Tisch des Armen, des Hungrigen geraubt"?
Tim Benton: Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen. Schauen wir auf die globale Ebene: Etwa ein Drittel der Nahrung, die angebaut wird, wird verschwendet oder geht verloren. Die gesamten Nahrungsmittelabfälle von Europa und Nordamerika entsprechen allen angebauten Lebensmitteln in Afrika südlich der Sahara. Wenn wir reich genug sind, das Essen nur als Ware sehen und die Gesamtproduktion von Subsahara-Afrika wegwerfen, wo die Menschen hungern, dann ist das eine Schande.
Lebensmittelverschwendung ist nur ein Problem. Überernährung ein anderes oder?
Tim Benton: In Westeuropa überessen wir uns mit ca. 20 Prozent der notwendigen Kalorien. Wenn wir zwischen 20 und 30 Prozent der gekauften Lebensmittel vom Teller oder vom Kühlschrank aus wegwerfen, dann wird die Summe der Lebensmittel, zu denen wir Zugang haben, zu 50 Prozent verschwendet, durch schlechte Konsumentscheidungen oder durch mangelnde Kontrolle der Essensmenge.
Die Vorhersage der Weltbevölkerung in fünfzehn Jahren liegt bei 8,5 Milliarden Menschen. Die globale Nahrungsnachfrage wird schätzungsweise um 60 Prozent bis 2050 zunehmen. Vor welchen Herausforderungen stehen wir?
Tim Benton: Es gibt zwei Arten der Lösung: mehr anzubauen oder weniger nachzufragen. Auf der Seite der Produktionssteigerung gibt es Methoden einer nachhaltigeren Produktionsweise. Was die Nachfrageseite betrifft, stimme ich mit der Aussage von Tim Lang, Professor für Lebensmittelpolitik an der City University in London, überein: „Die Reichen müssen weniger und anders konsumieren, um zu erlauben, dass die Armen mehr und anders konsumieren.“ Ich habe viel Verständnis dafür, dass die Antwort nicht nur in der Steigerung der Lebensmittelproduktion liegt, um den Ärmsten der Welt Zugang zu mehr Nahrung zu ermöglichen. Es geht darum, dass die reiche Welt weniger unsere planetaren Ressourcen beansprucht.
Beeinflusst der Klimawandel die globale Ernährungssicherheit?
Tim Benton: Ja. Erstens: In einigen Teilen der Welt wird es sehr viel schwieriger, Nahrungsmittel zu produzieren. Außerdem wächst das Risiko der jährlichen Schwankungen in der Versorgung mit Lebensmitteln.Das wiederum wirkt sich auf die Preise und damit auf die Armen aus. Zweitens: Unser Nahrungsmittelsystem trägt direkt zum Klimawandel bei. Unsere Ernährungsweise ist verantwortlich für fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgas-emissionen. Der wirksamste Weg der Veränderung unseres CO2-Fußabdrucks ist, unsere Ernährungsweise zu ändern: weniger Essen, weniger Abfall und vielleicht weniger Fleisch essen.
Steht effektiv mehr landwirtschaftliche Fläche für die Mehrproduktion zur Verfügung?
Tim Benton: Wir haben eine Menge auf globaler Basis derzeit im Bereich der Regenwälder. Meine persönliche Meinung ist, dass die Umwandlung dieser Grundstücke in landwirtschaftliche Flächen so wäre, als wenn wir uns selbst in den Fuß schießen würden. Nicholas Stern hat in seinem Bericht zu den wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gesagt: „Die effizienteste Methode der Förderung des Klimawandels ist die Abholzung der Regenwälder für die landwirtschaftliche Nutzung, weil damit sehr viel Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt.“ Wenn die Agrarflächen auf globaler Ebene im Grunde unveränderlich sind und wir mehr Nahrung wollen, dann müssen wir die Bodennutzung pro Flächeneinheit intensivieren. Diese Intensivierung ist in den letzten Jahrzehnten auf Kosten der Umwelt gegangen. Die Herausforderung liegt darin, mit geringerer Umweltbelastung mehr zu produzieren.
Verstärkt sich der Druck auf die Ackerflächen durch die Produktion von Nicht-Nahrungsmitteln?
Tim Benton: Wenn Sie die gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Welt hernehmen und durch die Anzahl der Menschen teilen, bekommen Sie am Ende eine fiktive Größe des Agrarlandes pro Person, das etwa die Größe eines Fußballfeldes ausmacht. Denken Sie darüber nach, was das Fußballfeld ein Jahr lang zu leisten hat: Es liefert Essen, es versorgt mit Kleidung im Sinne von Baumwolle und anderen Fasern. Wenn Sie ein Auto fahren, muss Ihr Fußballfeld außerdem ein Aquarium voll von Biokraftstoffen bereitstellen, damit die EU-Biokraftstoff-Richtlinie erfüllt werden kann. Aber die Fläche pro Person schrumpft, weil es nicht nur mehr Menschen auf dem Planeten gibt, sondern auch die absolute Menge an Agrarland durch die städtische Entwicklung und Verkehrsinfrastruktur verringert wird.
Können Wissenschaft und Technologie die Ernährungssicherheit verbessern?
Tim Benton: Wissenschaft und Technologie haben eine klare Rolle in der Verbesserung der Ernährungssicherheit im Hinblick auf die Nahrung zu einem Preis, den sich die Menschen leisten können, in einer Weise, die umweltverträglich ist. Aber die Wissenschaft ist nur ein Teil der Lösung. Sozialer Wandel und Investitionen in die Infrastruktur sind weitere Bereiche. In Afrika südlich der Sahara gibt es die meisten Probleme, weil die Menschen ihre Produkte nicht transportieren können, weil es keine Straßen gibt. Sie haben keinen Zugang zum Markt und bekommen keinen Dünger usw. Die Lösungsansätze müssen deshalb vielfältig sein.
Tim Benton ist Biologe und Professor für Bevölkerungsökologie an der Fakultät für Biowissenschaften der Universität Leeds. Seit 2011 ist er Leiter des britischen Programms für globale Nahrungssicherheit und führt den speziellen Titel "UK Champion for Global Food Security".
Nach seinen Studien in Oxford and Cambridge arbeitete Benton an der Universität von East Anglia, später an den Universitäten von Stirling und Aberdeen, bis er 2005 Professor der Universität Leeds wurde. Von 2005 bis 2007 war er dort Direktor des Instituts für Integrative und Komparative Biologie und von 2007 bis 2011 Prodekan für Forschung.
Er veröffentlichte mehr als 100 wissenschaftliche Abhandlungen, die sich speziell mit den Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt beschäftigen und generell wie ökologische Systeme auf Umweltveränderungen reagieren.
Im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 2015 leitete Tim Benton das Seminar „Globale Ernährungssicherheit und Ernährung“.
Ernährungssicherheit ist per Definition der Zugang zu sicherem, genügend nahrhaftem Essen für ein gesundes Leben. Für arme Menschen in den Entwicklungsländern ist das Problem, dass sie oft keinen Zugang zu ausreichend Kalorien haben und an Unterernährung leiden. Arme Menschen in der entwickelten Welt haben Zugang zu billigen Kalorien, kommen aber schwer zu einer gesunden Ernährung. In der entwickelten Welt neigen ernährungsunsichere Familien häufig zu hohe Raten von Übergewicht, in den Entwicklungsländern müssen ernährungsunsichere Familien hungern.
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