In Wiener Caritas-Einrichtungen erfuhren Heimkinder und Jugendliche in der Vergangenheit psychische, physische und auch sexuelle Gewalt: Das verdeutlicht ein 100-Seiten-Bericht, der am Mittwoch, 21. Oktober 2015 in Wien präsentiert wurde.
In Wiener Caritas-Einrichtungen erfuhren Heimkinder und Jugendliche in der Vergangenheit psychische, physische und auch sexuelle Gewalt: Das verdeutlicht ein 100-Seiten-Bericht, der am Mittwoch, 21. Oktober 2015 in Wien präsentiert wurde.
Caritas-Präsident Landau entschuldigt sich bei Betroffenen und kündigt Präventionsoffensive an.
In Wiener Caritas-Einrichtungen erfuhren Heimkinder und Jugendliche in der Vergangenheit psychische, physische und auch sexuelle Gewalt: Das verdeutlicht ein 100-Seiten-Bericht, der am Mittwoch, 21. Oktober 2015 in Wien präsentiert wurde.
"Caritas-Einrichtungen gehören in die breite Reihe jener staatlich wie konfessionell betriebenen Fürsorgeanstalten, die in den vergangenen Jahrzehnten systematische und systemimmanente Gewalt aufwiesen", beschrieb Caritas-Präsident Michael Landau vor den Journalisten die Erkenntnis der Aufarbeitung, die unter Anleitung externer Experten in dreijähriger Arbeit erstellt worden ist.
"Heimkinder wurden geschlagen, misshandelt, gedemütigt und gequält, die Intims- und Privatsphäre vorenthalten", fasste die Berichtsautorin Tanja Kraushofer die Ergebnisse zusammen. Schwere Prügeleien, sexueller Missbrauch und sexuelle Übergriffe sowohl von Seiten von Mitarbeitern wie auch unter Heimkindern seien durchaus ein geduldeter Teil des Alltags gewesen, zudem auch militärischer Drill und Strafen wie Schläge mit dem Lineal, das Trommelfell verletzende Ohrfeigen, stundenlanges Hocken oder Stehen und Zwang zum Essen verdorbener oder erbrochener Nahrung.
Zutage kamen die Vorfälle, die zumeist zwischen 1950 und 1979 stattfanden, durch Interviews mit Betroffenen, Zeitzeugen und ehemaligen Mitarbeitern sowie durch die Analyse von Dokumentationsmaterial. Die "schwarze Pädagogik", bei der Gewalt gegen Kinder toleriert wurde und ihre Ausübung sogar Regel war, bezeichnete die Pädagogin und Psychologin Kraushofer als ein Erbe der NS-Zeit, in der das Individuum weniger gezählt habe als das Kollektiv. Erschwerend hinzugekommen sei fehlendes Fachpersonal. Caritas-Präsident Landau ergänzte die Liste der Missstände-Faktoren um die Überzeugung, das erzieherisch Richtige zu tun, Nichtwissen, Überforderung, brutale Machtlust und ökonomischen Druck.
Öffentlich bat Caritas-Präsident Landau um Entschuldigung für das "furchtbare Leid" der Betroffenen, für welches es im Grunde keine Entschuldigung gebe. Mit der Aufarbeitung der "dunklen Kapitel" der eigenen Geschichte wolle die Caritas ihre Verantwortung wahrnehmen und geschehenes Unrecht ohne Relativierung anerkennen. Konkret habe die Caritas jenen 48 Betroffenen, die sich bis Juni 2015 bei der Caritas selbst oder bei der unabhängigen Opferschutzkommission ("Klasnic-Kommission") gemeldet hätten, Therapiekosten im Ausmaß von je 5.000 bis 25.000 Euro zugesprochen. Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner ging davon aus, dass sich noch weitere Opfer melden würden.
Ziel des Berichts mit dem Titel "Erinnern hilft Vorbeugen" sei vor allem, eine Wiederholung der beschriebenen Fälle zu verhindern, erklärte Landau: "Der Blick in die Vergangenheit verpflichtet für die Zukunft." Der Blick auf Gegenwart und Zukunft solle "geschärft" und präventive Maßnahmen in Caritas-Heimen weiter gestärkt werden. Vieles habe sich bereits geändert, verwies der Caritas-Präsident auf kleinere Gruppengrößen, bessere Auswahl und Qualifizierung der Mitarbeiter, klare Richtlinien und erste Instrumente der Selbstvertretung der Klienten.
Weiterhin seien jedoch Schritte hin zu einer "Kultur der Achtsamkeit, des Hinsehen und Respekts" nötig, wozu die Caritas der Erzdiözese Wien laut Landau nun die Stelle eines Präventionsbeauftragten geschaffen habe. Ein Gewaltpräventionskonzept sei derzeit in Ausarbeitung, zudem starte man nun mit regelmäßigen Befragungen der Mitarbeiter sowie auch der Klienten und werde den Zugang zur Klienten-Selbstvertretung noch verbessern.
"Wir stehen am Anfang eines Weges, den wir mit Entschiedenheit weiter verfolgen werden", kündigte Schwertner an. Nötig sei dies auch in heutigen Caritas-Aufgabengebieten wie etwa in Heimen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Überlegungen einzelner Bundesländer, die nächtliche Betreuung durch Security-Dienste statt durch pädagogisches Personal durchführen zu lassen, lehne er ab, während die geforderte Anhebung der Tagsätze für die Betreuung dieser Flüchtlingsgruppe ein wichtiger Baustein für Gewaltprävention sei.
Allgemeine Sensibilität für Gewalt- und Missbrauchsprävention im Rahmen der Flüchtlingsproblematik forderte auch Kurt Scholz von der Unabhängigen Opferschutzkommission ein: Eigene Schutzzelte für Frauen und Kinder seien bislang in München und Hamburg eingerichtet worden, in Österreich jedoch noch nicht. Scholz regte die Gründung einer gesamtösterreichischen Präventionsplattform an, die alle Ministerien sowie alle großen Hilfsorganisationen umfassen solle. Seitens der kirchlichen "Klasnic-Kommission" sei man zur Mitarbeit bereit, signalisierte der frühere Wiener Stadtschulrats-Präsident, der dem vierköpfigen Expertenbeirat des Berichts angehört hatte.
Durchaus sehe er die Caritas als "Rollenmodell" für einen präventiven Zugang, erklärte Scholz, der die 50 bekannten Caritas-Fälle den 1.600 von der Klasnic-Kommission bearbeiteten Fällen sowie den über 2.000 Fällen eines Heimes der Stadt Wien gegenüberstellte. Dies dürfe freilich "keine menschliche Verharmlosung" sein, bemerkte Scholz, doch habe die Caritas, die sich hinter diesen Zahlen nicht versteckt habe, durchaus gezeigt, wie ernst ihr das Thema sei.
Caritas Wien: