Die Kirche solle "allen Menschen die Zärtlichkeit Gottes bringen", heißt es in der Bulle "Misericordiae vultus", mit der der Papst das außerordentliche Heilige Jahr angekündigt hatte.
Die Kirche solle "allen Menschen die Zärtlichkeit Gottes bringen", heißt es in der Bulle "Misericordiae vultus", mit der der Papst das außerordentliche Heilige Jahr angekündigt hatte.
Papstbulle "Misericordiae vultus" ist Wegweiser für das "Jubiläum der Barmherzigkeit", in das die katholische Kirche am 8. Dezember startet.
Papst Franziskus eröffnet am 8. Dezember 2015 in Rom das "Jubiläum der Barmherzigkeit", das in der gesamten katholischen Kirche ein Jahr lang - bis zum 20. November 2016 - den Schwerpunkt vorgibt. Die Kirche solle "allen Menschen die Zärtlichkeit Gottes bringen", heißt es in der Bulle "Misericordiae vultus", mit dem der Papst bereits vergangenen April das außerordentliche Heilige Jahr angekündigt hat. Die Zeit sei eine Gnadenzeit und "die günstige Gelegenheit, um sein Leben zu ändern", schreibt Franziskus darin. Strahlkraft wünscht er sich jedoch weit über die zwölf Monate hinaus: Alle Menschen und auch die Kirche sollten die Zeit nutzen, um die "Barmherzigkeit Gottes zum eigenen Lebensstil werden zu lassen".
Anlass für die Eröffnung des Heiligen Jahres ist das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils genau 50 Jahre zuvor, welches die Kirche "lebendig halten" wolle, da mit ihm ein neuer Weg in ihrer Geschichte begonnen habe. "Die Kirche spürte die Verantwortung, in der Welt das lebendige Zeichen der Liebe des Vaters zu sein", erklärt Franziskus. Ebenso soll auch das Heilige Jahr, dessen Leitwort "Barmherzig wie der Vater" ist, "eine Zeit der Gnade für die Kirche sein und helfen, das Zeugnis der Gläubigen stärker und wirkungsvoller zu machen."
Als wichtigstes äußeres Zeichen des Heiligen Jahres gilt die "Pforte der Barmherzigkeit", die nicht nur im Petersdom und an anderen Kirchen Roms, sondern auch in allen Diözesen in vom jeweiligen Bischof dafür bestimmten Gotteshäusern geöffnet werden soll. "Wenn wir die Heilige Pforte durchschreiten, lassen wir uns umarmen von der Barmherzigkeit Gottes und verpflichten uns, barmherzig zu unseren Mitmenschen zu sein, so wie der Vater es zu uns ist", schreibt Franziskus. Die Pilgerfahrt der Gläubigen zu einer Heiligen Pforte soll verdeutlichen, soll ein "Anreiz zur Umkehr" sein und zeigen, dass auch Barmherzigkeit ein Ziel sei, zu dem es aufzubrechen gilt.
Barmherzigkeit sei auch im Islam und Judentum eine der wichtigsten Eigenschaften Gottes, weshalb das "Heilige Jahr" die Begegnung mit diesen und anderen religiösen Traditionen fördern könne, hofft der Papst. "Es mache uns offener für den Dialog, damit wir uns besser kennen und verstehen lernen. Es überwinde jede Form der Verschlossenheit und Verachtung und vertreibe alle Form von Gewalt und Diskriminierung."
Doch was ist "Barmherzigkeit"? Der Papst beschreibt sie als die sehr konkrete und leidenschaftliche Liebe Gottes, in der er handle "wie ein Vater und eine Mutter, denen ihr Kind zutiefst am Herzen liegt": Gott fühle sich verantwortlich für den Menschen, wolle sein Wohl und Glück. Seine Barmherzigkeit - sichtbar durch Zärtlichkeit, Mitleid, Nachsicht und Vergebung - zeuge nicht von Schwäche, sondern von seiner Allmacht, und sie gebe dem Menschen zu hoffen, trotz eigener Schuld für immer von Gott geliebt zu sein.
Am besten sichtbar sei dies in Jesus geworden, der "das Antlitz der Barmherzigkeit des Vaters" ist, wie es bereits im ersten Satz der Bulle heißt. "Seine Zeichen, gerade gegenüber den Sündern, Armen, Ausgestoßenen, Kranken und Leidenden, sind ein Lehrstück der Barmherzigkeit. Alles in ihm spricht von Barmherzigkeit, nichts in ihm ist ohne Mitleid." Jesus zeige Barmherzigkeit auch als "Kriterium, an dem man erkennt, wer wirklich Gottes Kinder sind", so der Papst, und weiter: "Wir sind also gerufen, Barmherzigkeit zu üben, weil an uns selbst bereits Barmherzigkeit erwiesen wurde. Die Vergebung von begangenem Unrecht wird zum sichtbarsten Ausdruck der barmherzigen Liebe, und für uns Christen wird sie zum Imperativ, von dem wir nicht absehen können."
Denn schließlich sei Barmherzigkeit auch "das grundlegende Gesetz, das im Herzen eines jeden Menschen ruht und den Blick bestimmt, wenn er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen", erklärt Franziskus. Dahingehend geht auch sein Wunsch, "dass die kommenden Jahre durchtränkt sein mögen von der Barmherzigkeit, und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist."
Damit verbunden ist der Auftrag an die Kirche zu aktivem barmherzigem Handeln in "Sprache und Gesten", da davon auch ihre eigene Glaubwürdigkeit abhänge. "Vielleicht haben wir es für lange Zeit vergessen, auf den Weg der Barmherzigkeit hinzuweisen und ihn zu gehen", so der Papst selbstkritisch. Die Kirche sei versucht, "stets und allein die Gerechtigkeit zu fordern", welche ein notwendiger erster Schritt sei, über den sie aber "um eines höheren und bedeutungsvolleren Ziel willens" hinausgehen müsse. Gerechtigkeit sei "nicht der Endpunkt, sondern der Anfang der Bekehrung", und werde von Gott nicht abgelehnt, sondern vielmehr in den größeren Zusammenhang der Liebe gestellt. Wer hingegen nur an Gerechtigkeit appelliere, laufe Gefahr, sie zu zerstören.
Franziskus' Wunsch an alle Pfarren, kirchlichen Gemeinschaften und Bewegungen: "Überall wo Christen sind, muss ein jeder Oasen der Barmherzigkeit vorfinden können." Zunächst sei es wichtig, das Wort Gottes zu hören und zu meditieren, um das Verständnis seiner Barmherzigkeit zu vertiefen. Ebenso sei jedoch Handeln gefragt: Alle Gläubigen sollten Augen und Ohren für Arme, Benachteiligte und Notleidende öffnen, jede Gleichgültigkeit gegenüber ihnen überwinden und selbst Hand anlegen, zumal die Armen "die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit sind".
Dazu empfiehlt der Papst besonders die klassischen "Werke der Barmherzigkeit": Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen und Tote begraben - die "leiblichen" Werke, zudem auch die "geistlichen" Werke wie Zweifelnden recht raten, Unwissende lehren, Sünder zurechtweisen, Betrübte trösten, Beleidigungen verzeihen, Lästige geduldig ertragen und für die Lebenden und Verstorbenen zu Gott zu beten.
Die Kirche solle "in die Herzen der Menschen eindringen und sie herausfordern, den Weg zurück zum Vater einzuschlagen". Als konkrete Schritte dazu bittet der Papst die Ortskirchen, das Sakrament der Versöhnung erneut ins Zentrum zu stellen, da dieses das Ausmaß der Barmherzigkeit "mit Händen greifbar" mache. Besonders solle Barmherzigkeit während der österlichen Bußzeit erfahrbar werden, wozu der Papst für den 4. Fastensonntag weltweit die Initiative "24 Stunden für den Herrn" ansetzt. In der Fastenzeit wird er zudem bestimmten Priestern der Diözesen als "Missionare der Barmherzigkeit" mit der Vollmacht zur Lossprache jener Sünden ausstatten, deren Absolution sonst dem Vatikan vorbehalten ist.
In einem Anfang September veröffentlichten Brief an den für das Heilige Jahr zuständigen Neuevangelisierungrats-Präsidenten Erzbischof Rino Fisichella wird Franziskus noch konkreter, was den "Jubiläumsablass" betrifft: Grundbedingungen für seinen Empfang sind demnach der "kurze Pilgergang" zu einer Heiligen Pforte, verbunden mit einer Beichte, Eucharistiefeier, dem Glaubensbekenntnis, einem Nachdenken über die Barmherzigkeit Gottes und das Gebet für den Papst und dessen Anliegen. Genauso kann jedoch man auch jede barmherzige Tat dieses Geschenk vermitteln, das "von allen Konsequenzen der Sünde befreit, sodass er wieder neu aus Liebe handeln kann". Auch für Verstorbene kann der Ablass erlangt werden.
Um allen den Zugang zu diesem Ablass zu gewähren, sind seine Vorbedingungen jedoch noch deutlich ausgeweitet: Er gilt auch für alte, einsame Menschen, die das Haus nicht verlassen können und diesen Moment der Prüfung "mit Glauben und freudiger Hoffnung leben", dabei die Kommunion empfangen oder an einer heiligen Messe - auch über TV oder Radio - teilnehmen. Gleiches gilt für Gefangene, für die der Ablass in den Gefängniskapellen "und jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten", erlangt werden kann. Diese Geste sei wie ein Durchgang durch die Heilige Pforte, so der Papst; Gott könne sogar die Gitter in eine Erfahrung der Freiheit verwandeln.
Der Ablass ist nach altem katholischen Verständnis ein Zeichen der Gnade, der den Menschen von "zeitlichen Sündenstrafen" befreit. Im Bußsakrament wird dem reuigen Sünder nach dem Bekenntnis die Sündenvergebung durch Gott zugesprochen. Der theologische Ausdruck von den "zeitlichen Sündenstrafen" meint in diesem Zusammenhang nicht, dass Gott zwar die Sünden vergibt, aber dann ähnlich einem weltlichen Gericht Strafen für Misstaten und Versäumnisse verhängt. Vielmehr sind damit die Nachwirkungen von Sünden gemeint, die zwar im Bußsakrament bereits vergeben wurden, aber deren Auswirkungen die Menschen weiter belasten.
Das kirchenamtliche Wort für "Ablass" (lateinisch "indulgentia") bedeutet ursprünglich Nachsicht, Güte und Zärtlichkeit. Wer sich um einen Ablass bemüht, darf sich nach Lehre der Kirche gewiss sein, der Nachsicht und Güte Gottes zu begegnen, um dadurch auch selbst nachsichtiger und gütiger zu werden.
Besonderes Augenmerk widmet der Papst schließlich dem "Drama der Abtreibung": "Ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen", erhalten alle Priester die Vollmacht, "von der Sünde der Abtreibung jene loszusprechen, die sie vorgenommen haben und reuigen Herzens dafür um Vergebung bitten", heißt es in dem Erklärungsschreiben. Abtreibung sei eine "existenzielle und moralische Tragödie" und tiefstes unrecht, solle jedoch von der Vergebung Gottes nicht ausgeschlossen sein. Die Lossprechung für diese schweren Fälle ist ansonsten nur in bestimmten Kirchen und durch bestimmte Beichtväter möglich.
Weiter erlaubt der Papst, dass alle Katholiken während des Heiligen Jahres das Sakrament der Versöhnung (Beichtsakrament) auch bei den Priestern der traditionalistischen Bruderschaft Sankt Pius X. gültig und erlaubt empfangen könnten. "Ich vertraue darauf, dass in naher Zukunft Lösungen gefunden werden können, um die volle Einheit mit den Priestern und Oberen der Bruderschaft wiederzugewinnen", schreibt der Papst.