Brigitte Schwens-Harrant: „Ist die Kunst frei, wird es erst recht spannend.“
Brigitte Schwens-Harrant: „Ist die Kunst frei, wird es erst recht spannend.“
Brigitte Schwens-Harrant, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik 2015, spricht im SONNTAG-Interview über die Zusammenhänge von Literatur und Religion und darüber, was Literatur kann.
Die Begegnung mit Brigitte Schwens-Harrant findet im Café Tirolerhof in der Wiener Innenstadt statt, unweit der „Furche“-Redaktion.
Die gebürtige Welserin ist Feuilletonchefin der Wochenzeitung. Die promovierte Theologin und Germanistin organisiert und leitet Literaturveranstaltungen, u. a. öffentliche Werkstattgespräche mit Autorinnen und Autoren.
2015 wurde sie mit dem alle zwei Jahre vergebenen Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik ausgezeichnet.
Sie befassen sich seit vielen Jahren mit den Zusammenhängen von Religion und Literatur. Wie kam es dazu?
Schwens-Harrant: Der Ausgangspunkt ist ein biografischer – meine beiden Studienrichtungen Theologie und Germanistik.
In der Theologie lernt man unter anderem viel Geistesgeschichte wie z. B. Philosophie, vieles verknüpft sich auch mit Fragen der Sprache.
In der Germanistik spielen viele Anknüpfungspunkte nicht nur in den historischen Texten, sondern auch in den gegenwärtigen eine Rolle. Da gibt es so viele Verbindungen, das hat mich immer mehr interessiert.
Wie hat sich das Verhältnis von Kirche und Literatur entwickelt?
Schwens-Harrant: Da hat sich sehr viel getan. Vor hundert Jahren gab es etwa den katholischen Literaturstreit, von bestimmten Seiten der Kirche gab es eine vehemente Abwehr des so genannten Modernismus.
Es gab den Versuch der Kirche, die Kunst für sich einzuspannen, um ihre Inhalte zu vermitteln. Davon sind wir jetzt weit entfernt.
Begriffe wie „katholischer Schriftsteller“ oder „katholischer Roman“ sind obsolet geworden. Kunst und Literatur haben sich im Lauf des 20. Jahrhunderts frei gestrampelt, wollen keine Tendenz mehr bedienen. Das betrifft auch andere Bereiche, etwa solche Begriffe wie den „sozialistischen Roman“.
Das II. Vatikanum hat hier sehr viel bewirkt, aber auch die Aussagen von Papst Johannes Paul II. über die Freiheit der Kunst und der Künstler.
Kunst ist eben nicht dazu da eine Ideologie oder Glaubenskonfession zu bedienen. Wenn die Kunst in dieser Hinsicht frei ist, wird es erst recht spannend, denn was macht die Kunst? Sie setzt sich immer auch auseinander mit der Gegenwart, die uns umgibt, mit gesellschaftlichen Fragen bis hin zu Glaubensfragen und Fragen der Transzendenz, die z. B. in Existenzkrisen auftreten.
In der österreichischen Literatur war lange das Abarbeiten des Erlittenen durch die katholische Kirche ein Thema...
Schwens-Harrant: Ja, aber jetzt kommen Schriftsteller-Generationen, die gar nicht mehr so katholisch sozialisiert worden sind. Da wird sich auch in der nächsten Zeit einiges ändern. Was nicht heißt, dass das Thema völlig weg ist.
Man merkt, dass gerade in der österreichischen Literatur Religion im weitesten Sinn eine Rolle spielt. Es wird jetzt mit viel weniger Ärger gearbeitet, weil die Betroffenheit nicht mehr so stark ist.
Man kann sich entspannter mit dem Thema auseinandersetzen als es z. B. ein Thomas Bernhard getan hat oder ein Josef Winkler tut. Nicht wenige erfolgreiche Autoren in Österreich haben übrigens Theologie studiert, schreiben das aber nicht in ihre Biografie, wohl um nicht in eine Schublade gesteckt zu werden.
Was verbindet Religion und Literatur?
Schwens-Harrant: Das Verbindendste von Religion und Literatur ist das Wort. Ich habe es immer sehr spannend gefunden, dass sich eine Buchreligion wie das Christentum nicht durch eine Dogmatik und durch reine Lehrsätze entwickelt hat, sondern durch so etwas wie die Bibel, die viele verschiedene literarische Gattungen enthält.
Wieso macht diese Religion das? Das hat etwas damit zu tun, was Literatur kann. Literatur bricht ja unendlich viel auf.
Eine Erzählung macht etwas anderes mit Ihnen, als wenn Sie einen Lehrtext lesen. Sie gibt Ihnen mehr Freiraum. Sie können Assoziationen einbringen, sich identifizieren. Sie können Möglichkeiten durchspielen und in Figuren schlüpfen, die Sie sonst vielleicht nicht sein können. Das ist ein unheimlich ganzheitlicher Ansatz.
Das ist nicht vergleichbar mit dem, was ein Beipack-Text macht oder ein juristischer Paragraphen-Absatz.
Was ist Literatur?
Schwens-Harrant: Diese Frage ist kaum zu beantworten. Es gibt eine enorme Bandbreite an Gattungen – vom Drei-Wort-Gedicht bis zum 1200-Seiten-Roman.
Literatur hat immer zu tun damit, in welche Form Worte gebracht werden. Deshalb kommt es stark auf die Form an, und nicht nur auf den Plot.
Spannend ist, dass Literatur immer dann anfängt zu leben, wenn sie gelesen wird. Einen Text, der sakrosankt sein und nicht berührt werden möchte, gibt es nicht. Jeder Leser, jede Leserin kann nichts anderes machen, als aus einem Text etwas Eigenes machen. Das hat damit zu tun, dass wir unsere Erfahrungen hineinlesen, mit einem bestimmten Wissen kommen.
Literatur setzt einen Prozess in Gang, da kommt auch unbewusst unheimlich viel hinein beim Lesen.
Brigitte Schwens-Harrant; Jörg Seip
Ein Dialog
2012, Klever Verlag
Flexibler Einband
144 Seiten
ISBN: 978-3-902665-43-0
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
Brigitte Schwens-Harrant
Gespräche mit Dimitré Dinev, Anna Kim, Radek Knapp, Julyia Rabinowich und Michael Stavaric
2014, Styria Premium
Fester Einband
208 Seiten
ISBN: 978-3-222-13467-8
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
Thema der Woche:
Lene Mayer-Skumanz schreibt seit mehr als fünfzig Jahren Bücher für junge Menschen. In ihren Geschichten spielen der Humor und Gott tragende Rollen.
Sie wollte für Menschen schreiben, die sie gekannt hat, für die Weinbauern, Holzhändler und Kräuterfrauen der Gegend, für die Kinder, die niemals Latein lernten, und auch für die Klosterschüler des Göttweiger Berges.
Wilhelm Bruners sucht Gott im Beten, im Schreiben und in den Lebensgeschichten seiner Mitmenschen.
Weitere Informationen zu "Der Sonntag" die Zeitung der Erzdiözese Wien