Das vor einem Jahr beschlossenen Fortpflanzungsmedizin-Gesetz ist bisher in vielen Aspekten noch unzureichend umgesetzt, und teils sind Nachschärfungen ausständig, so der Tenor einer Wiener Expertendiskussion.
Das vor einem Jahr beschlossenen Fortpflanzungsmedizin-Gesetz ist bisher in vielen Aspekten noch unzureichend umgesetzt, und teils sind Nachschärfungen ausständig, so der Tenor einer Wiener Expertendiskussion.
Diskussion des Instituts für Ehe und Familie mit Politikern und Medienleuten zeigt unzureichende Umsetzung der Novelle.
Das vor einem Jahr beschlossenen Fortpflanzungsmedizin-Gesetz ist bisher in vielen Aspekten noch unzureichend umgesetzt, und teils sind Nachschärfungen ausständig: Das war der Tenor einer Wiener Expertendiskussion, zu der das Institut für Ehe und Familie (IEF) der österreichischen Bischofskonferenz am Montag, 18. Jänner 2016 geladen hatte. Mediziner, Juristen, Ethiker, Psychologen und Fachjournalisten erörterten zahlreiche offene Fragen rund um die Novelle und stellten sich den Fragen von rund 30 anwesenden Parlamentariern, Fachleuten und Medienvertretern.
„Recht auf Nichtwissen“
Das strenge Vermittlungs-, Werbe- und Kommerzialisierungsverbot bei der Eizellspende wird de facto umgangen, stellte IEF-Juristin Stephanie Merckens fest. Sie forderte die Einhaltung der Regeln und Kontrolle etwa danach, ob tatsächlich bloß die erlaubte Aufwandentschädigung geleistet wird. Gegen den Trend zur Pränataldiagnostik müsse das "Recht auf Nichtwissen" forciert werden. Zudem brauche es eine umfassende Unterstützung für Behinderte, deren Familien und für Paare, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt, so die Expertin gegenüber "Kathpress".
Ein zentraler Diskussionspunkt war die Forderung nach einem Zentralregister für Samen- und Eizellspende. Dieser sei wichtig für die Kontrolle der Bestimmungen - etwa dass nur in einer Klinik insgesamt dreimal gespendet werden darf - sowie für die Möglichkeit der Kinder, ihre genetischen Eltern herauszufinden. Die vom Parlament vor einem Jahr geforderte diesbezügliche Prüfung durch das Gesundheits- und Justizressort ist laut Peter Barth, dem leitenden Staatsanwalt im Justizministerium, im Laufen und man werde das Ergebnis "zeitgerecht dem Parlament zukommen lassen"; dass ein derartiges Register zustande kommt, halte er für äußerst wahrscheinlich.
Leihmutterschaft ist im österreichischen Gesetz zwar indirekt verboten, eine direkte und klare Regelung diesbezüglich wäre laut Susanne Kummer vom Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) jedoch Gebot der Stunde. Die politische Diskussion dazu sei noch nicht angelaufen, womit Österreich angesichts der internationalen Entwicklung bereits reichlich spät dran sei. Unisono dazu die Juristin Merckens: Um im Sinne des Kindeswohls - Kinder dürften nicht zur Ware werden - und der Prävention von Frauenausbeutung entgegenzuwirken, sollten sich Österreichs Politiker auch klar für ein Verbot der Leihmutterschaft auf Europaebene aussprechen.
Eine "ordentliche gesetzliche Regelung" zur Leihmutterschaft vermisste auch Justizministeriums-Vertreter Barth, insbesondere bei der Frage der privatrechtlichen Anerkennung von durch Leihmütter im Ausland geborenen Kindern. Ein gesellschaftliches Signal, dass sich Leihmutterschaft nicht lohne, könnte in den Augen des Experten nur dann gesetzt werden, wenn diese nicht als Kinder der Wunscheltern anerkannt werden, sondern nur als jene der Leihmutter. Aus Sicht des Kindes halte er allerdings eher die entgegengesetzte Lösung als zielführend. Dem widersprach die Publizistin Eva-Maria Bachinger: Jegliche Anerkennung der Leihmutterschaft stehe klar dem in den Kinderrechten verankertem Verbot des Kinderhandel entgegen.
"Sehr unbefriedigend gelöst" ist in den Augen der Wiener Psychotherapeutin Karin Tordy die psychologische Begleitung von Paaren, die einen Kinderwunsch über Samen- oder Eizellspende erfüllen wollen: Rein medizinische Aspekte stünden derzeit im Vordergrund, nicht aber die genauso wichtigen Alltagsfragen. "Betroffene stolpern in derartige Optionen oft erschöpft von einem langen Weg hinein, ohne sich der Konsequenzen für die Paar- und Eltern-Kind-Beziehung im Klaren zu sein." Mit den ambivalenten Gefühlen seien sie dann "sehr alleine".
Die Psychologin von der Wiener Universitätsklink für Frauenheilkunde schlug eine verbindliche psychologische Beratung vor, bei der unbedingt auch die Männer eingebunden werden sollten. Dies bekräftigte die Psychologin und Psychotherapeutin Karin Lebersorger, die vor Tabus gegenüber dem Kind warnte: "Je mehr die Zeugung von der natürlichen Empfängnis entfernt ist, desto mehr ist sie mit Tabu behaftet. Schon bei der Samenspende liege derzeit die Aufklärungsrate bei nur 15 Prozent", so die Lektorin am Wiener Institut für Erziehungshilfe.
Die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik wie etwa der Bluttest auf Trisomie 21 seien in den vergangenen Jahren deutlich billiger und somit viel häufiger geworden, berichtete der Linzer Pränatalmediziner Wolfgang Arzt, wobei die Tendenz dahin laufe, das gesamte Genom eines Embryos überprüfen zu lassen. Dass der Gentest technisch möglich sei, betonte Bertholf Streubel, Leiter der Spezialambulanz Genetische Beratung an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde Wien. Die durchführenden Institute würden genau auf die "nötigen Schranken" achten; so sei es etwa ein "no-go", Eltern im Embryonal-Frühstadium das Geschlecht des Kindes zu offenbaren.
Auf Gefahren einer in Großbritannien bereits eingeführten "Watchlist" für Krankheiten, nach denen im Zuge der Präimplantationsdiagnostik (PID) gesucht werden darf, wies IMABE-Geschäftsführerin Kummer: Der Druck in Richtung Abtreibung bei möglicher Krankheit oder Behinderung habe auch für davon betroffene geborene Menschen weitreichende Folgen. "Was hier wie Wahlfreiheit für die Eltern aussieht, ist in Wahrheit die Verantwortung für die Integrität des Kindes und wird schnell zu einem gesellschaftlichen Imperativ", so die Ethikerin.
Die Auswirkung der in Österreich bereits erfolgten PID-Freigabe in bestimmten Fällen sei bisher noch nicht abschätzbar, legte der Salzburger Gynäkologe Thorsten Fischer dar. Die Methode dürfe jedoch nicht dazu führen, "dass Frauen bei der Form der Befruchtung umschwenken auf PID, um zu Informationen über ihr Kind zu erhalten". Auch wenn die Medizin Spätabbrüche oder auch PID anbiete, "gibt es aus Sicht des Kindes jedenfalls zu keinem Zeitpunkt eine ethische Rechtfertigung für einen Schwangerschaftsabbruch", ließ der Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Paracelsus-Universität aufhorchen.
Thorsten Fischer forderte eine Stärkung der Reproduktionsmedizin an den Universitätsklinken, als Gegenmaßnahme zum bereits weit fortgeschrittenen Trend der Kommerzialisierung dieses medizinischen Teilgebietes. Er kündigte zudem die baldige Einführung einer Erhebung der Befruchtungsart in der Pränatalmedizin an. Diese sei auch eine Maßnahme gegen die allgemein schlechte Datenlage über Folgen der Reproduktionsmedizin.