Servitenpater Martin Lintner ist Professor für Moraltheologie in Brixen.
Servitenpater Martin Lintner ist Professor für Moraltheologie in Brixen.
Kirchliche Lehre über Sexualität, Partnerschaft und Ehe leidet bis heute unter der Hypothek historischer Altlasten.
Erotisches Begehren gehört zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen, hat der Südtiroler Theologe P. Martin Lintner am Freitag, 26. Februar 2016 im Blick auf Ansätze einer kirchlichen Neubewertung - zuletzt bei der Familiensynode 2014/15 - betont.
Deswegen dürfe Sexualität auch nie rein auf eine Fortpflanzungsfunktion reduziert werden, sagte der Präsident des "International Network of Societies for Catholic Theology" (INSeCT) und Professor an der Brixener Theologischen Hochschule am Freitagabend in Wien. Er äußerte sich bei einem von den Theologischen Kursen veranstalteten Symposium mit dem Titel "Sexualität und Macht - Zwischen medialer Präsenz und religiöser Normierung".
P. Martin Lintner OSM, der in Rom gelehrt hat, hatte sich nicht zuletzt infolge des Missbrauchsskandals der intensiven Auseinandersetzung mit der kirchlichen Sexualmoral gewidmet. Die kirchliche Lehre über Sexualität, Partnerschaft und Ehe leide bis heute unter der Hypothek historischer Altlasten, sagte er. Dieser Hypothek zufolge sei Sexualität sündhaft. Der Vortrag des Südtiroler Theologen, der auch Provinzial des Servitenordens ist, trug den Titel "Heraustreten aus dem langen Schatten der Vergiftung des Eros".
Das Studium der historischen Wurzeln der christlichen Lustfeindlichkeit helfe zwar einerseits dabei, das Christentum per se besser zu verstehen, auf der anderen Seite zeige es aber auch deutlich auf, wo "Korrekturen, Weiterentwicklungen und Neuansätze" notwendig seien, stellte Lintner fest. Erst das Zweite Vatikanische Konzil habe eine Neubewertung der Sexualität ermöglicht und einem erfüllten Sexualleben innerhalb der Ehe endlich Bedeutung zuerkannt. Trotzdem bestehe auch heute noch "ein gewisses Korrekturpotenzial" in der kirchlichen Sexualmoral, so der Theologe. Denn auch heute spreche die Kirche noch, was die Sexualität anbelangt, nicht mit einer klaren Stimme, so Lintner. Er ist u.a. Autor des Buches "Den Eros entgiften - Plädoyer für eine tragfähige Sexualmoral und Beziehungsethik".
Neben Lintner sprachen bei dem Symposium die Wiener Religionswissenschaftlerin Birgit Heller sowie der Salzburger Theologe Hans Joachim Sander. Das Symposium bildete zusammen mit weiteren Vorträgen und einem Studientag, bei dem Lintner über Neuansätze zur kirchlichen Sexualmoral referierte, den Schwerpunkt "Mann & Frau" im diesjährigen "75 Jahre"-Jubiläumsprogramm der Theologischen Kurse.
Religionswissenschaftlerin Heller verglich die Sexualitätsnormen in den unterschiedlichen Religionen. "Die Sexualität wird in den verschiedenen Religionen zwar unterschiedlich gesehen, sie wird durch Richtlinien stets normiert", sagte sie. Für die Expertin mit Schwerpunkt "Religionswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung" besteht dabei ein klarer Zusammenhang zwischen religiöser Sexualmoral, Kontrolle und Gewalt. Denn Sexualität habe "immer etwas mit Macht zu tun und dadurch auch mit Geschlechterrollen".
Für Heller dient die religiöse Sexualmoral in erster Linie zur Kontrolle und Unterdrückung von Frauen. "Alle großen Religionen sind im Kontext patriarchaler Gesellschaften entstanden", deswegen sei dieser Gedanke sehr naheliegend. Als Beispiele nannte Heller Keuschheitsideale, Bekleidungsvorschriften, Kinderheirat oder auch das Ideal der Jungfräulichkeit. Das zeige deutlich, dass die Religionen von Anfang an darauf bedacht waren, die Sexualität von Frauen zu kontrollieren.
Anders sehe es bei der Rolle der Frau als Mutter aus. An dieser Stelle würde die Frau fast ausnahmslos in allen Religionen verehrt. Dies zeige aber auch ein Paradoxon auf, "denn wie soll eine Frau ohne Sexualität ein Kind gebären?", so Heller.
Für den Theologen Hans Joachim Sander ist es eine große moderne Errungenschaft, dass Konventionen und Kirche nicht mehr auf einvernehmlich gelebte Sexualität zugreifen. Trotzdem fehle der katholischen Kirche noch immer eine Wertschätzung der Sexualität als Vorgang zum Lustgewinn. Mit dieser Haltung sei die Kirche aber "weit entfernt" von jeglicher gesellschaftlichen Realität, so Sander in seinem Vortrag zum Thema "Allgegenwärtig und zugleich verschwiegen: Die soziale Grammatik der Sexualität".
Auf der anderen Seite bestehe heutzutage ein immenser Druck und "Geständniszwang", Sexualität öffentlich zu besprechen und sich darüber auszutauschen. "Es erscheint ausgeschlossen, dass eine gesellschaftlich erfolgreiche Person ein schlechtes Sexualleben hat".
Dadurch würden Sexualität und gesellschaftlicher Aufstieg Hand in Hand gehen. Deswegen - so zeigte sich Sander überzeugt -, "folgt die Sexualität nicht nur einer intimen, sondern vielmehr auch einer sozialen Grammatik".
Dies könnte die Kirche in gewisser Weise aufgreifen. Sie müsste damit beginnen, dem Körper größere Bedeutung zuzumessen. Denn der Körper sei "der Ort, an dem sich ganz unmittelbare Gotteserfahrungen identifizieren lassen", so Sander.
Seit 75 Jahren sind die Theologischen Kurse ein Ort der Reflexion über die großen Fragen des Lebens und des Glaubens: theologischekurse.at