Imam Tarafa Baghajati und Pfarrer Konstantin Spiegelfeld sind dafür, Ängste offen anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu suchen.
Imam Tarafa Baghajati und Pfarrer Konstantin Spiegelfeld sind dafür, Ängste offen anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu suchen.
Pfarrer Konstantin Spiegelfeld und Imam Tarafa Baghajati nehmen am 11. März an einer christlich-muslimischen Begegnung teil. Im SONNTAG-Interview sprechen sie über den interreligiösen Dialog, Missverständnisse und Terrorismus.
Warum halten Sie die Begegnung von Christen und Muslimen für wichtig?
Tarafa Baghajati: Ich glaube, wir müssen vom Dialog einen Schritt weitergehen, vom Neben- und Miteinander zu einem Füreinander. Wir leben in einer schwierigen Zeit, die gerade zwischen religiösen und gläubigen Menschen Solidarität verlangt.
Konstantin Spiegelfeld: Bei uns im zweiten Bezirk ist die Vielfalt der Religionen Alltag. Es gibt, glaube ich, keine Alternative zum Gespräch – und dann zu schauen: Was bedeutet das jetzt?
Wo sind Gemeinsamkeiten, wo darf jeder sein Spezifikum in Frieden und Freiheit leben und was kann ich vielleicht vom anderen lernen?
Baghajati: Der Kontakt ist jetzt umso wichtiger: Viele Pfarren beherbergen Flüchtlinge, darunter viele Muslime. Da kann es zu kulturellen, religiösen oder menschlichen Missverständnissen kommen.
Die „alte“ muslimische Generation kann Brücken zur neuen Gemeinde bauen.
Wie engagiert sich Ihre Gemeinde für Flüchtlinge?
Baghajati: Leider können wir in den Moscheeräumlichkeiten niemanden beherbergen. Aber wir leisten wichtige Information.
Ein Beispiel: Es gibt über 200 bestens ausgebildete Ärzte unter den syrischen Flüchtlingen.
Wir bringen sie mit ansässigen syrischen Ärzten in Kontakt, die mit der Universität und der Ärztekammer versuchen, einen Weg durch die Bürokratie zu finden, damit diese Ärzte schnellst möglich von Sozialhilfeempfängern zu Gebern in der Gemeinschaft werden.
Spiegelfeld: In der Pfarre St. Johann Nepomuk versuchen wir, von Mensch zu Mensch zu helfen. Im August haben junge Leute begonnen, in Traiskirchen zu helfen.
Daraus ist auch ein Gebetskreis entstanden – die Hilfe wird durch den Glauben genährt. Entstanden ist außerdem eine Offenheit vieler Menschen, einzelne Personen zu begleiten. Es gibt Deutschkurse und wir haben schon etliche Wohnungen vermittelt.
Jeden Samstag kochen Frauen und Männer eine Suppe für etwa 120 Flüchtlinge im Dusika Stadion.
Baghajati: Ich möchte mich bei allen Helfern – insbesondere bei vielen christlichen Geschwistern – im Namen der islamischen Glaubensgemeinschaft und der Flüchtlinge herzlich bedanken.
Die Hilfe wird sehr geschätzt und wir hören viele rührende Geschichten.
Welchen Missverständnissen zwischen Christen und Muslimen begegnen Sie?
Baghajati: Wir hören immer wieder von Flüchtlingshelferinnen, dass Männer ihnen nicht in die Augen schauen, wenn sie mit ihnen sprechen. Die Frauen fassen das als Beleidigung auf.
Es ist aber umgekehrt: Zwar gibt es eine Art Verkrampfung im Miteinander der Geschlechter, aber es ist in keinster Weise respektlos, sondern eher ein Zeichen von zu viel Respekt, dass der Mann sie nicht einmal anschaut.
Spiegelfeld: Eine sehr interessante Erfahrung war für mich, als Nikolo ins Dusika Stadion zu gehen. Das war ein unglaubliches Ereignis.
Ich finde es schön, wenn die Menschen unsere hiesige Kultur kennenlernen und wir zeigen, was für uns wichtig ist. Und wenn die anderen Menschen darauf eingehen und sich dafür interessieren. Es ist sehr wichtig, dass der Dialog in beide Richtungen geht.
Ist die islamische Glaubensgemeinschaft bisher zu wenig gegen den Terrorismus
aufgetreten?
Baghajati: Es passiert sehr viel Aufklärungsarbeit, in den Moscheen und im Religionsunterricht. Für Jugendliche gibt es sehr viele Antiradikalisierungsmaßnahmen.
Aber die meisten radikalisierten Jugendlichen waren nie in einer Moscheegemeinde. Die regulären Moscheen sind also der falsche Ort für solche Maßnahmen.
Ich habe ein Programm gestartet, bei dem ich 10-minütige Videobotschaften an Jugendliche ins Internet stelle.
Ich spreche über Themen wie: Sind die europäischen Werte mit den muslimischen Werten vereinbar? Ist der Islam ein Teil Europas oder nicht?
Oder über den theologischen Beweis, dass weibliche Genitalverstümmelung falsch ist. Diese Ansprachen gibt es auf Deutsch und Arabisch.
Das kommt gut an, weil gerade Jugendliche sich Information nicht bei den Moscheen oder den Eltern, sondern hauptsächlich aus den sozialen Medien wie Facebook, Youtube oder Twitter holen.
Es ist ein Schwachpunkt von Religionen, dass wir dort keine starke Präsenz haben. Extremistische Tendenzen haben hier leicht die Möglichkeit, Jugendliche zu fischen, mit einer Jugendsprache, einer Art Subkultur.
Dagegen müssen wir auftreten.
Spiegelfeld: Der Idealismus der jungen Menschen wird angesprochen und missbraucht.
Sie fühlen sich – aus verschiedenen Gründen – nicht wertgeschätzt und nicht gebraucht. Sie sind über soziale Medien ansprechbar, weil sie suchen und vielleicht Schwierigkeiten in der Kommunikation haben.
Das Böse kommt meist in Form des Lichtes, nicht des Dunkels. Zuerst hört sich das gut an: „Wir brauchen dich, deine Fähigkeiten, es geht um eine tolle Sache.“
Wenn man dann draufkommt, worum es da wirklich geht, kommt man nicht mehr raus. Es geht darum, diese schlechten Lichtengel zu entdecken. Das können, glaube ich, die Leute am besten, die dem selbst aufgesessen sind.
Baghajati: Ein Problem wäre es, Jugendliche unter Generalverdacht zu stellen. Zu erkennen, wo das Problem ist, und dort zu agieren, ist die große Herausforderung.
Pfarrer Konstantin Spiegelfeld
T +43 (1) 512 60 63
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien