"Der IQ-Test ist nicht nutzlos, aber er wird sehr überbewertet", sagt Professor Robert Sternberg von der Cornell University.
"Der IQ-Test ist nicht nutzlos, aber er wird sehr überbewertet", sagt Professor Robert Sternberg von der Cornell University.
"Es braucht mehr als Intelligenz", sagt der US-amerikanische Psychologe Robert Sternberg im SONNTAG-Interview. "Für die Lösung der weltweiten Probleme ist dringend Weisheit gefragt. Die Weise, wie wir Wissen anwenden, ist entscheidend."
Ist es die vordringliche Aufgabe begabter Menschen, ihre Begabung für die Lösung weltweiter Probleme einzusetzen?
Robert Sternberg: Wenn sie ihre Begabung nicht verwenden, um Probleme in der Welt zu lösen, wofür ist sie dann gut? Nicht jeder kann ein Löser der weltweiten Problemstellungen sein. Aber es gibt auch Probleme in der Familie, in der Gemeinschaft, in der Kirche, im Staat, die einer Lösung bedürfen. Es geht einfach darum, etwas zu tun, um anderen Leuten außer sich selbst zu helfen.
Warum kommt der Weisheit in der heutigen Zeit nach Ihrer Ansicht so eine große Bedeutung zu?
Robert Sternberg: In der Welt besteht ein wirklicher Mangel daran. Wir sind mit ernsten Problemen konfrontiert: Terrorismus, Klimawandel, massive Wanderungen von Flüchtlingen, Gefahr der nuklearen Massenvernichtung, Aufstieg des Neofaschismus. Diese können nicht nur mit einem Intelligenzquotienten und nicht von Menschen, die auf ihr eigenes Interesse schauen, gelöst werden. Nein, der Weg der Lösungen führt über Menschen, die das Gemeinwohl suchen.
Ist Weisheit das wichtigste Element von Begabung?
Robert Sternberg: Die Weisheit führt die Leute dazu, die Welt zu einer besseren Platz zu machen, um einen positiven, bedeutungsvollen und anhaltenden Unterschied herzustellen. Eine Person kann einen sehr hohen IQ haben, einen sehr hohen Schulabschluss erreichen und absolut nichts tun, um irgendein Problem eines Mitmenschen zu lösen. Es ist Weisheit, die es ermöglicht, darüber hinauszugehen. Und ich gebe Kardinal Christoph Schönborn völlig recht, wenn er sagt: „Wer sich nicht für die Menschen interessiert, sollte keine Führungskraft werden.“ Es geht in erster Linie um unsere Beziehung mit anderen Menschen.
Sie sind der Überzeugung, im Bereich Führungsverhalten tauchen die größten Schwierigkeiten auf.
Robert Sternberg: Ja, weil die Menschen oft von hochgefährlichen Anführern angezogen werden. Personen, die egozentrisch sind und die Interessen des niedrigen Selbst ansprechen. Wir brauchen aber Leader, die das höhere Selbst ansprechen, aber wir wählen oft jene, die an die Basisinstinkte appellieren – und die Welt muss dann dafür bezahlen. Ein Grund, warum Hitler oder Mussolini gewählt wurden, und wir uns in diesem Augenblick mit Problemen in den Vereinigten Staaten konfrontiert sehen.
Warum sind Sie der Meinung, dass Intelligenz und Kreativität, Wissen und Erfahrung nicht genug sind?
Robert Sternberg: Sie können diese verwenden, um selbst voranzukommen, und das ist das, was die meisten Leute auch tun. Sie sind selbstinteressiert, sie kümmern sich um ihre Familie, vielleicht um Freunde. Am Ende gibt es viele Personen, die anstatt zu fragen, wie sie zu einer besseren Welt beitragen können, fragen, wie eine bessere Welt für sie aussieht – das ist die falsche Frage. Das, was Religionslehrer als gerechte Menschen tun, ist, sich über die "letzte Sache" den Kopf zu zerbrechen. Ich meine wirklich, dass es das ist, was Jesus lehrte, was alle großen Männer und Frauen lehren.
Bedeutet ein höherer IQ automatisch auch mehr Weisheit?
Robert Sternberg: Nein, das kann man nicht sagen. Im Gegenteil kann es sogar zu einer Abnahme kommen. Es geht nicht um deinen IQ, sondern darum, wie du deine Fähigkeiten und dein Wissen verwendest. Du kannst einen himmelhohen Intelligenzquotienten haben und der nächste faschistische Anführer der Vereinigten Staaten oder jedes anderen Landes werden.
Ist der IQ-Test eine geeignete Methode zur Intelligenzmessung?
Robert Sternberg: Der IQ-Test ist nicht nutzlos, aber er wird sehr überbewertet. Er sagt etwas über die analytische Fähigkeit einer Person aus, aber er hängt stark von der Kultur ab. Für einige Kulturen ist der IQ-Test ein besseres Messinstrument als für andere. Er entstand in Frankreich und wurde in England und in den Vereinigten Staaten weiterentwickelt, so dass sich darin die besten Werte von Europa und Nordamerika widerspiegeln.
Gibt es Alternativen dazu?
Robert Sternberg: Es gibt eine Menge Alternativen, um kreatives Talent, auch Weisheit zu messen. Ich habe viele Jahre lang Forschungen über das Messen des gesunden Menschenverstands oder der praktischen Intelligenz betrieben. Eine Reihe von alternativen Methoden misst die Belastbarkeit einer Person im Angesicht von Hindernissen. Ich weiß nicht, warum wir so bei dieser einen Maßzahl "IQ" hängenbleiben, es ist nicht gut.
Wie können wir Kindern Lebens-Weisheit lehren?
Robert Sternberg: Die Lehrer können im Geschichtsunterricht fragen, welche Lektion wir aus den Fehlern des Zweiten Weltkriegs oder aus der Flüchtlingskrise lernen können. Oder im Physikunterricht, ob wir die Wissenschaft verwenden sollten, um bessere Bomben zu bauen, oder im Literaturunterricht, was wir über Freundschaft, Fürsorge und Liebe durch Literatur erfahren können.
Wie lassen sich Begabungen bei Kindern feststellen?
Robert Sternberg: Man muss sich nicht nur die analytische, sondern auch die kreative und praktische Intelligenz anschauen. Ich erinnere aber daran, dass jede dieser Kenngrößen nur sagt, wo eine Person zu einer angegebenen Zeit steht. Es sagt nichts darüber aus, wie sie sich entwickeln kann. Wir müssen verstehen, dass Leute in anderen Kulturen andere Fertigkeiten entwickeln. In unserer Arbeit zum Beispiel in Kenia fanden wir Kinder, die über natürliche antiparasitische Behandlungen äußerst sachkundig waren. Sie sind sehr klug, aber nicht in einem schulischen Sinne. Inuit-Kinder, die Fisch fangen können, alle Arten von Dingen machen, die mit ihrer Umgebung verbunden sind, schneiden nicht gut bei den IQ-Tests ab. Wir müssen uns ansehen, was man braucht, um sich an die Welt anzupassen, in der man lebt, und nicht in der von einem IQ-Test geschaffenen Welt.
Robert Sternberg, geboren 1949, studierte Psychologie in Yale und Stanford (Doktorat) und erhielt in seiner beruflichen Laufbahn 13 Ehrendoktorate in 12 verschiedenen Ländern. 30 Jahre lang arbeitete er an der Yale University, wurde Professor für Psychologie und Bildung und war Gründer und Direktor des Fachbereichs für "Psychology of Abilities, Competencies and Expertise". Im Laufe der Jahre lehrte und forschte er an verschiedenen Universitäten, seit 2013 ist er an der Cornell University tätig.
Sternbergs Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Intelligenz, Kreativität und (Lebens-)Weisheit, ebenso beschäftigt er sich mit Fragen der emotionalen und der sozialen Intelligenz sowie den unterschiedlichen Denkstilen und Führungsqualitäten. Zu den meisten dieser Themenbereiche hat er Lehrveranstaltungen gehalten, ebenso zu Kognitionspsychologie und zu Pädagogischer Psychologie.
Robert Sternberg hat über 1500 Publikationen verfasst und mehr als zwei Dutzend Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten. Laut der American Psychological Association wurde Robert Sternberg unter die 100 besten Psychologen des 20. Jahrhunderts gewählt.
Am 2. März 2016 hielt er in Wien bei der Eröffnung der ECHA-Konferenz "Talents in Motion" den Festvortrag "Giftedness in the 21st Century - How to Make this World a Better Place".
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien