Laut, bunt, intensiv, fröhlich, familiär und fromm: Familiengottesdienst in Holy Trinity Brompton, einer Pfarre in South Kensington, London.
Laut, bunt, intensiv, fröhlich, familiär und fromm: Familiengottesdienst in Holy Trinity Brompton, einer Pfarre in South Kensington, London.
Holy Trinity Brompton ist eine Pfarre in London, die die ganze christliche Welt in Staunen versetzt. Ihr Erfolg und ihr Wachstum haben ein paar einfache, handfeste Grundlagen, die eigentlich gar nicht so neu sind. Ein Eindruck von der diözesanen Studienreise nach England. Ein Bericht im „SONNTAG“.
Feedbackrunde am Ende unserer Studienreise nach London zur Pfarre Holy Trinity Brompton. Einer der Priester unserer Erzdiözese sagt beeindruckt: „Meine Grunderfahrung ist: Wachstum in der Kirche ist möglich.“ In der Tat war unsere Reise beeindruckend. Holy Trinity Brompton – Insider sagen kurz HTB – ist ein Wachstumsmotor in der sonst oft müde gewordenen anglikanischen Kirche. In der Pfarre, südwestlich vom Londoner Stadtzentrum, gibt es vier Kirchen, in denen sonntags elf Gottesdienste gefeiert werden, vom Hochamt bis zum Lobpreisgottesdienst, der nur aus Singen, Beten und Predigt besteht. Im Schnitt feiern 4500 Menschen mit. Die meisten von ihnen waren vor wenigen Jahren noch überhaupt keine Kirchgänger, viele sind erst als Erwachsene zum Glauben gekommen.
Damit nicht genug: HTB ist so vital, dass von hier aus mittlerweile 40 andere Gemeinden, oft Pfarrgemeinden, revitalisiert oder neugegründet wurden. Hier wurden die Alphakurse entwickelt, die mittlerweile weltweit existieren. Hier wurde eine Hilfsorganisation für Haftentlassene gegründet, die mittlerweile in 700 Pfarren aktiv ist. Hier ist ein Seminar entstanden, das derzeit mehr als 200 Priesteramtsanwärter ausbildet. Und was hier geschieht, strahlt weit in andere Konfessionen aus, auch in die katholische Kirche. „Ich weiß, wie irritierend es ist, wenn man herkommt“, sagt uns die Katholikin Florence de Leyritz, die hier mit Hilfe von Alpha ein Programm entwickelt hat, das Priester vor der Vereinsamung, dem Burnout oder der Berufungskrise bewahren soll (und an dem in Frankreich schon 600 Priester und 20 Bischöfe teilgenommen haben). „Hier lächelt jeder ständig, alles ist ,toll‘, die Kirchen sind einladend, das Essen ist gut... alles sehr irritierend! Aber diese Irritation ist unser natürlicher Widerstand gegen den Wandel.“
Wie der Glaube eine Pfarre großzügig macht
Der Wandel, dessen Früchte man in Holy Trinity erleben kann und der niemanden so leicht kalt lässt, hat einige wenige Gründe. Der erste und wichtigste: Die Pfarre hat ganz bewusst und ganz konsequent jene Menschen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt, die nicht mehr oder noch nicht in die Kirche gehen. „Eine Kirche, die nicht missionarisch ist, stirbt“, sagt unverblümt Bischof Sandy Millar, der als Pfarrer von 1985 den Wandel vorangetrieben hat, bis er 2005 von Nicky Gumbel, dem Entwickler der Alphakurse, abgelöst wurde.
Diese Kurse sind auch das wichtigste Instrument, um die Menschen am Rande der Pfarrgemeinde anzusprechen. Alpha dreht sich um den Kern der christlichen Botschaft, die Erlösung: Wer ist Jesus? Warum ist er für uns gestorben? Was macht das für einen Unterschied in meinem Leben? Und was hilft mir der Heilige Geist? „Wir haben schon viele Budgets zusammengestrichen, wenn es notwendig war“, sagt Gumbel, „aber nie das Budget für die Alphakurse“. Sie sind für Neulinge gemacht, aber nicht nur: „Viele ehemalige, aber auch viele treue Kirchgänger sind wie Menschen, die nur den zweiten Teil eines Films kennen. Das ist zwar auch ganz schön. Aber im Alphakurs holen sie den ersten Teil nach, und auf einmal kennen sie sich aus und wissen Bescheid.“
Bis zu 40 Prozent der Teilnehmer bleiben der Gemeinde erhalten. Sie erfahren den Glauben nicht als Gedankengebäude, als Vorschriftenkatalog oder als Hintergrund für eine soziale Einstellung, sondern als lebensverändernde Kraft, als erlebbare Freundschaft mit Christus. Paul Cowell, ein ehemaliger Häfling, der die Organisation für Haftentlassene gegründet und Alpha in die Gefängnisse gebracht hat: „In den ersten 40 Jahren wusste ich nichts von Gott, weil niemand mit mir darüber gesprochen hat. Dann hat die Begegnung mit ihm mein Leben verändert.“ Die materielle Hilfe für die Menschen am Rand der Gesellschaft kommt in HTB zuerst: Essen, Herberge, Hilfe bei der Jobsuche, Coaching, psychologische Betreuung. „Aber dann muss das kommen, was das Wichtigste ist: Man muss den Menschen von der Liebe Gottes erzählen.“
Grundlage des Wachstums ist weiters eine geradezu kindliches (somit sehr christliches) Vertrauen auf den Heiligen Geist. Nichts wird angegangen ohne Gebet. Die erste Hälfte des einstündigen wöchentlichen Mitarbeitertreffens ist Lobpreis. Aus diesem Vertrauen heraus, ist die ganze Pfarre, die selbst von einer starken charismatischen Spiritualität geprägt ist, von beeindruckender Großzügigkeit zu anderen Stilen und Konfessionen. „Wir wollen, dass dieses Land wieder christlich wird“, sagt Nicky Gumbel, „und das schaffen wir nur alle zusammen: Anglikaner, Katholiken, Methodisten, Orthodoxe...“
Großzügigkeit gegenüber allen, die kommen, ist ebenso ein Merkmal. Es gibt nicht nur dreimal pro Woche Abendessen für Obdachlose – in der Kirche –, sondern fast jede Aktivität beinhaltet ein Essen. Das stärkt auch die Einheit. Gumbel: „Wie in der Bibel. Wenn Jesus etwas tut, ist es fast immer im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Mahlzeit.“
Wir haben diese Gastfreundschaft erlebt. Und gesehen, was möglich ist, wenn der Geist Wunder vollbringt. Auch wenn sich natürlich vieles nicht so einfach aus dem anglikanischen Kontext ins Katholische übertragen lässt: Das Beispiel von Holy Trinity gibt Kraft.
Auch in der Erzdiözese Wien gibt es wachsende Pfarren. Nicht viele, aber es gibt sie. Dennoch gilt es, auch von anderen Beispielen wachsender, missionarischer Kirche zu lernen. Daher hat die Erzdiözese Wien in diesem Arbeitsjahr zwei Studienreisen durchgeführt, mit Mitarbeitern aus den Zentralstellen, Priestern, Seminaristen und Ordens-Seelsorgern. Die erste Reise ging im Jänner 2016 auf die Philippinen. Die Gastgeber von dort waren in der vergangenen Woche zum Gegenbesuch in der Erzdiözese Wien (Interviews in der kommenden Ausgabe des SONNTAG).
Anfang Juni gab es eine zweite Exkursion, diesmal nach London (Bericht auf dieser Doppelseite), wo die katholische Delegation in christlicher Einheit des Herzens von der anglikanischen Pfarre Holy Trinity aufgenommen wurde. 31 Teilnehmer haben intensiv Eindrücke gesammelt und mitgenommen (im Bild unten der Poysdorfer Dechant Jacob Nwabor). Die Materialien, Fotos, Erkenntnisse dieser Reise werden nun laufend im Internet gesammelt und sind allen zugänglich: erzdioezese-wien.at/blog/htb-church
Pfarrer Nicky Gumbel bekommt von der Österreichergruppe Mannerschnitten als ein Gastgeschenk, überreicht von Kardinal Schönborn.
T +43 (1) 512 60 63
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien