Caritaspräsident Michael Landau gibt auch für die Jüngsten die Strecke zum sozialen Engagement vor.
Caritaspräsident Michael Landau gibt auch für die Jüngsten die Strecke zum sozialen Engagement vor.
Zur Menschlichkeit und zu mehr Achtsamkeit füreinander will Caritas-Präsident Michael Landau mit seinem neuen Buch „Solidarität“ anstiften. Im SONNTAG-Interview motiviert er zum Engagement für benachteiligte Menschen der Gesellschaft und zum Vermehren der Mitmenschlichkeit. Sein Fazit: Davon profitiert jeder Mensch.
DER SONNTAG: Warum widmen Sie Ihr Buch der Solidarität?
MICHAEL LANDAU: Ich bin überzeugt, dass die Achtsamkeit füreinander, das Wissen um die Verantwortung, die wir füreinander tragen, ganz entscheidend für eine gute gemeinsame Zukunft ist.
Solidarität, das meint das Wissen, dass ich mich dem Ja eines anderen Menschen verdanke und dass ich nicht alleine auf der Welt bin.
Wir sind in eine Schicksalsgemeinschaft hineinverwoben, aus der keiner ausgeschlossen werden, aus der sich aber auch keiner davonstehlen darf.
Welche Form von Solidarität fordern Sie ein?
MICHAEL LANDAU: Eine auf mehreren Ebenen. Jeder und jede ist gefordert, die Augen zu öffnen und darauf zu schauen, wo kommt es hier und heute auf mich an.
Das kann heißen, an der Tür des Nachbarn zu klopfen und zu schauen, wie geht es dir? Zu schauen, wo gibt es in meiner Nähe jemanden, der einsam ist.
Jede Veränderung fängt mit dem Öffnen der Augen, mit dem Hinsehen an.
Es braucht aber auch das gemeinsame Bemühen, eine Renaissance der Zivilgesellschaft.
Wir können miteinander vielleicht nicht alles verändern, aber erstaunlich viel, wenn wir es wollen. Es braucht auch strukturelle Solidarität, das Bemühen um eine gerechtere Welt und eine möglichst lebenswerte Zukunft für alle Menschen.
Worauf kommt es dabei an?
MICHAEL LANDAU: Dass wir uns nicht damit abfinden dürfen, dass mehr als 400.000 Menschen in Österreich ohne Arbeit sind, mehr als 220.000 Menschen in Wohnungen leben, die sie nicht angemessen warm halten können. Und dass wir das verändern können.
Gleichzeitig zeigt sich auch die Wichtigkeit des Sozialstaats. Wir haben eine große Anzahl von Menschen, die arm oder armutsgefährdet sind: 1,2 Millionen; mehr als 400.000 sind akut arm, aber ohne Leistungen des Sozialstaates wären es fast doppelt so viele.
Der Sozialstaat ist eine Investition in den Zusammenhalt, ein Ausdruck der Aufmerksamkeit, gerade für die Schwächsten.
Sie möchten die Menschen wegbringen von der Angst, dann zu Verlierern zu gehören. Wie gelingt das?
MICHAEL LANDAU: Wir haben in Österreich Jahrzehnte des Wohlstandes hinter uns gebracht. Wir leben in Europa in Frieden und in Sicherheit. Wir haben weltweit den Hunger wesentlich bekämpft, die Kindersterblichkeit wurde halbiert.
Die Zeiten ändern sich, sie ändern sich immer und wir gehen durch unruhige Zeiten. Viele Menschen spüren und erleben diese Sorge.
Die Nachrichten prasseln wie das Wetter auf uns ein. Das Vergangene kommt nicht wieder.
Die Erfahrungen der Vergangenheit können in uns die Gewissheit bestärken, dass wir den Mut, die Möglichkeiten, die Phantasie und die Fähigkeit haben, Gegenwart und Zukunft in guter Weise zu gestalten. Das schließt an den Begriff der Solidarität an.
Martin Luther King hat einmal gesagt, wahre Solidarität ist mehr als die Münze, die man dem Bettler hinwirft. Papst Franziskus greift diesen Gedanken auf, wenn er einmahnt, dass es nicht genug ist, dem Armen die Dinge des täglichen Lebens zu sichern. Das ist notwendig, gar keine Frage.
Aber eine Gesellschaft, die aufhört, Armut als Stachel in ihrem Fleisch zu begreifen, als etwas, das nicht sein sollte, verliert ein ganz wesentliches Moment ihrer Menschlichkeit.
Solidarität ist ein Begriff, den man auch von Gewerkschaftsvertretern kennt?
MICHAEL LANDAU: Sieht man die Tradition der Soziallehre an, beginnend mit Rerum Novarum, der Sozialenzyklika von Papst Leo XIII., weiß man, dass das zum Kernbestand gehört.
Die Caritas ist weder rot, schwarz, blau, grün oder pink, auch wenn es immer wieder Versuche gibt, uns das eine oder andere Etikett an die Stirne zu kleben, oder unsere Positionen zu instrumentalisieren.
Wir sind sehr klar, wir haben einen Auftrag, der aus dem Evangelium wurzelt und der die konkrete Not konkreter Menschen in den Blick nimmt.
Not sehen und handeln ist eine Kurzformel für Caritas. M
ir geht es aber auch darum, dass Caritas nicht ein Gemälde grau in grau ist, die Abteilung Gram und Leid in der Gesellschaft, sondern dass der Einsatz für andere Menschen auch das eigene Leben ein Stück weit zum Positiven zu verändern vermag.
Welches Erlebnis hat Sie als Caritasverantwortlicher nachhaltig in Zusammenhang mit Not geprägt?
MICHAEL LANDAU: Wir haben im Jugendhaus der Caritas in Wien ein Fest gehabt. Mit einem der Jugendlichen bin ich ins Gespräch gekommen. Ich habe ihn nachher bei der Straßenbahn getroffen und gefragt: „Nach Hause?“ Er hat gesagt: „Ich habe kein Zuhause.“
Da habe ich mir gedacht, es ist schon herb, wenn in einer Gesellschaft einem ein Jugendlicher auf die Frage, wo er denn wohnt, wo er zu Hause ist, sagt: Er hat keins.
In einer anderen Obdachloseneinrichtung hat mir ein älterer Mann gesagt, er war selbstständig, hat seine Firma verloren und ist jetzt hier, weil er sich so sehr geniert, dass er das niemanden erzählen kann. Seine Verwandten wissen das nicht.
Gleichzeitig habe ich auch großartige Erlebnisse parallel gehabt, wo es Menschen gelingt, wieder auf die eigenen Beine zu kommen, das eigene Leben wieder zu leben.
Ich frage mich manchmal, ob es nicht einen Riesenunterschied machen würde, wenn jene, die gesellschaftliche Verantwortung tragen, sich ein Stück mehr auf die Situation der Menschen an den Rändern einlassen.
Wenn eine Regierungsklausur, die meistens an schönen Orten stattfindet, einen Teil ihrer Zeit in Obdachloseneinrichtungen, in Pflegehäusern, in Projekten für langzeitarbeitslose Menschen wäre, um einfach mit den Menschen dort zu reden und zu versuchen, die Wirklichkeit zu sehen und zu verstehen.
Sie schreiben sehr berührend über die letzte Zeit Ihrer Eltern und Ihre Berufung zum Priester. Was ist Ihnen dabei wichtig?
MICHAEL LANDAU: Es gehört zu einem Buch, das sich mit Solidarität beschäftigt, auch die Frage am Ende des Lebens dazu. Dort, wo es für Menschen brüchig wird. Da ist die Erfahrung, die jeder von uns macht, der Verlust lieber Menschen entscheidend. Meine Mutter ist gestorben, als ich gerade nicht dort war.
Letztlich wollte ich in dem Kapitel „Was ich glaube“ mich der Frage stellen: Wie sieht es aus mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube, weil ich selber zuerst Biochemie studiert habe und dann Priester geworden bin.
Und da die Überzeugung, dass Gott uns den Verstand gegeben hat, damit wir ihn benützen, aber dass der Glaube nicht das Denken ersetzt, sondern zu denken gibt.
Der Glaube ist nicht eine Sammlung von Sätzen geringerer Wahrscheinlichkeit, sondern ein Weg in die Weite.
Christen sind so etwas wie Horizonterweiterer und sollen sich vor nichts und niemanden fürchten und keine Angst haben.
Das ist auch eines der Ziele, das ich mit dem Buch verfolge: Ich möchte gerne Mut machen, entängstigen und Zuversicht stärken.
Caritas der Erzdiözese Wien
Albrechtskreithgasse 19-21
A-1160 Wien
T +43 1 878 12-0
Michael Landau
Anstiftung zur Menschlichkeit
2016, Brandstätter Verlag
Hardcover
192 Seiten
ISBN: 978-3-7106-0055-5
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
Caritaspräsident Michael Landau ist seit mehr als 20 Jahren in verantwortlicher Position in der Caritas. In seinem Buch „Solidarität“ führt er seine Leser auf knapp 200 Seiten zu vielen Orten und Erlebnissen, die sein Denken und Handeln geprägt haben: in Flüchtlingsunterkünfte in Österreich und im Nordirak, zu Menschen im Senegal, die gegen den Hunger kämpfen.
Michael Landau berichtet von alleinerziehenden Müttern, von Männern, Frauen und Kindern, die ihre Heimat verlassen mussten, und er erzählt von Bettlern auf den Straßen Wiens.
Und: Er betont, dass Hilfe möglich ist.
am Dienstag, 13. September, um 19.30 Uhr
in der Buchhandlung Morawa,
Wollzeile 11,
1010 Wien.
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien