Am 14. September 1995 scheidet er aus seinem Amt und zieht sich zuerst in das von ihm gegründete Zisterzienserinnenkloster Marienfeld und dann nach Maria Roggendorf zurück
Am 14. September 1995 scheidet er aus seinem Amt und zieht sich zuerst in das von ihm gegründete Zisterzienserinnenkloster Marienfeld und dann nach Maria Roggendorf zurück
Am 14. September vor 30 Jahren wurde P. Hans Hermann Groër zum Erzbischof von Wien geweiht. Ist mehr von ihm geblieben als die Erinnerung an sein drückendes Schweigen zu seiner „Causa“?
Völlige Überraschung. Das ist wohl die Kurzformel für die ersten Reaktionen auf die Nachricht, dass Papst Johannes Paul II. den Benediktinerpater Hans Hermann Groër zum Erzbischof von Wien ernannt hat.
Das war im Juli 1986, und sogar die „Wiener Kirchenzeitung“ wurde am falschen Fuß erwischt. In einer ersten Meldung über den neuen Erzbischof wusste sie außer seinem Lebenslauf nur zu berichten, dass er für die Mitbrüder aus dem Stift Göttweig ein „guter frommen Priester“ sei, „der mit beiden Füßen in der Welt steht“.
Schon im September davor hatte der Papst den Rücktritt des 80-jährigen Erzbischofs Kardinal Franz König angenommen.
Zehn Monate führte Michele Cecchini, der gerade erst sein Amt als päpstlicher Gesandter in Wien übernommen hatte, Befragungen durch, bis auf die Ebene der Pfarren. Es gab unzählige Spekulationen, aber der Name Groër kam in keiner von ihnen vor.
Warum es eine so umfangreiche Suche gebraucht hat und warum sie schließlich bei dem der Öffentlichkeit unbekannten Groër endete, der, 1919 geboren, Religionslehrer, Internatspräfekt, Wallfahrtsdirektor und geistlicher Leiter der Legio Mariens war, ist bis heute nicht vollständig bekannt.
Es gab damals in Rom Unbehagen über den Kurs der österreichischen Kirche. Sie galt als zu links, zu wenig spirituell und nicht auf der Linie des Papstes Johannes Paul II.
Kardinal König sah sich sogar noch vor der Bischofsweihe Groërs veranlasst, in einem Interview auf das Gerücht zu reagieren, der Papst selber missbillige die Haltung der österreichischen Bischöfe, und die Wahl Groërs sei Ausdruck davon: „Wenn Johannes Paul II. Vorbehalte gegen den österreichischen Episkopat hätte, dann hätte er es uns Bischöfen brüderlich und offen gesagt.“
Jedenfalls wurde in kirchlichen Kreisen Hans Hermann Groër durchaus als Versuch des Vatikan gesehen, die österreichische Kirche auf einen „frömmeren“ Weg zu führen – und viele befürchteten eine spirituelle Engführung.
Dennoch machten ihm die anderen Bischöfe die Mauer. Weihbischof Helmut Krätzl, der nach Königs Rücktritt interimistisch die Führung der Erzdiözese übernommen hatte, ermahnte die Gläubigen, für Groër zu beten, fügte aber in seiner Predigt beim Dankgottesdienst für die Bischofsernennung hinzu, dass der neue Erzbischof einen Geist lehren möge, „in dem sich die Kirche von Wien nicht abschließt, sondern den vielen öffnet“.
Ähnlich Kardinal König, der von einer fruchtbaren „spirituelle Akzentsetzung“ des Papstes sprach – aber der neue Erzbischof werde sich „der ganzen Vielfalt der Diözese“ öffnen müssen.
Noch bevor Groër am 14. September im Stephansdom von Kardinal König zum Erzbischof geweiht wurde, kam es zu einem Eklat.
Eine Journalistin des Magazins „Basta“ legte bei Groër eine fingierte Beichte ab und berichtete darüber in großer Aufmachung („Hans H. Groër beichtete bei Basta“).
Der immer respektlosere Ton in manchen Magazinen war auch Ausdruck einer Gesellschaft, die begonnen hatte, sich vom Katholizismus abzunabeln.
Hier zu wenig fest zu agieren, war ein Vorwurf, den die internen Kritiker den Bischöfen machten.
Eine andere Linie der Auseinandersetzung war die Frage, wie mit der wachsenden Kirchenferne großer Bevölkerungsteile umzugehen sei. So waren Anfang der 80er Jahre die Kirchenaustritte deutlich angestiegen, der Kirchenbesuch drastisch gesunken.
Tatsächlich begannen die Bischofsernennungen der damaligen Zeit ein Muster zu zeigen: Wenige Wochen nach Groër folgte der konservative Alfred Kostelecky als Militärbischof, 1987 wurde Kurt Krenn Weihbischof in Wien, 1989 Georg Eder Erzbischof von Salzburg, 1991 der ebenfalls als konservativer Ratzinger-Vertrauter geltende Christoph Schönborn Weihbischof in Wien.
Die Ernennung konservativer Bischöfe sorgte für zunehmenden Unmut bei Kirchenfunktionären und Teilen der Geistlichkeit, die um die Bindung von Volk und Kirche fürchteten.
„Verlorene neun Jahre“, so fasst der Historiker und Diözesanarchivar Johann Weissensteiner die Jahre im Gespräch mit dem SONNTAG zusammen: „Statt auf dem Erbe Königs aufzubauen, hat die Kirche ihre ganze Energie mit internen Streitereien verbracht und keine missionarische Wirkung nach außen erzielt.“
Als probates Mittel, der Streitigkeiten Herr zu werden, erschienen damals große Dialogforen. So versuchte Erzbischof Groër, der da bereits zum Kardinal ernannt worden war, von 1988 an mit einem „Diözesanforum“ die Wogen zu glätten und die Herde zusammenzuhalten.
Das vom Priesterrat der Erzdiözese vorgeschlagene und in mehreren Sitzungen bis 1992 laufende Forum sei „irgendwie typisch“ gewesen, berichtet Weissensteiner: ein mit viel Engagement und großen Erwartungen begonnener Gesprächsprozess, bei dem auch die Pfarren schriftlich Vorschläge deponieren konnten.
„Aber wirklich Bleibendes hat er kaum hervorgebracht.“ Eine Frucht des Diözesanforums ist allerdings die WIGE, die „Plattform für Geschiedene und Wiederverheiratete in der Kirche“, die von Kardinal Groër gegründet wurde.
Groër, so sagt Weissensteiner, habe vor allem in persönlichen Beziehungen seine Wirksamkeit entfaltet.
So entstand auch aus seinen Kontakten mit Würdenträgern anderer Konfessionen und dem Judentum sein Engagement für die Ökumene, ob mit der aufsehenerregenden christlich-jüdischen Besinnungsstunde „Shalom für Österreich“ oder dem von Groër entschiedenen Beitritt der katholischen Kirche zum Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich.
Familienbeziehungen nach Brünn standen Pate bei der Gründung des Hilfsfonds für Kirchen in der Tschechoslowakei.
Ein besonderes Anliegen war Kardinal Groër der Stephansdom, als dessen Hausvater er sich verstand.
So gelang es ihm, Bürgermeister Helmut Zilk zur gemeinsamen Gründung des Vereins „Unser Stephansdom“ zu bewegen, der seitdem unermüdlich Spenden für die Restaurierung und Erhaltung des Doms sammelt.
Auch die heutige Inneneinteilung des Doms, vor allem des Altarraums, und die Einführung der kleinen Orgel im rechten Kirchenschiff geht auf Groër zurück.
Bei einfachen Menschen oft sehr beliebt, versucht Groër, auch den menschlichen Charakter der Kirche hervorzukehren und wendet sich etwa – nicht ohne Widerstand im eigenen Haus – gegen Strenge beim Eintreiben des Kirchenbeitrags.
In der Diözesanverwaltung ist er einsam geblieben, mit wenigen Vertrauten im Sekretariat, aber mit viel Misstrauen in den Dienststellen, das er durch manche Personalentscheidung auch noch verstärkte, etwa als er aus heiterem Himmel den langjährigen Regens des Priesterseminars Josef Tóth abberief.
Bleibenden Werke, so Weissensteiner, gäbe es somit vor allem aus Groërs Wirken vor der Zeit als Erzbischof:
Die Krise der katholischen Kirche in Österreich hat er nicht beruhigen können.
In Kreisen der Funktionäre gärte es bereits, als die Bombe platzte: Das „profil“ brachte am 27. März 1995 in seiner Titelgeschichte Missbrauchsvorwürfe gegen Groër aus seiner Zeit als Präfekt und Lehrer am Knabenseminar in Hollabrunn.
Geradezu reflexartig verteidigen ihn zunächst seine Bischofskollegen gegen die „infamen Anschuldigungen“ („Wiener Kirchenzeitung“).
Doch das „profil“ legt nach, und die Katholiken erwarten klar Worte des Kardinals.
Doch die kommen nicht. Sein Sekretär lässt vermelden, dass Groër keine Stellungnahme abgeben werde, um nicht die „Lynchjustiz“ der Medien anzuerkennen.
Für die staatlichen Behörden sind die Vorwürfe verjährt, und der Vatikan sperrt sich gegen eine kirchliche Untersuchung. Schönborn wird Jahre später Staatssekretär Kardinal Angelo Sodano dafür verantwortlich machen.
So bleibt Verunsicherung und Spekulation. Nun reicht es auch manchen Laien, die ein Kirchenvolksbegehren starten, das weitgehende Reformen in der Kirche will, nicht nur Mitsprache bei der Ernennung von Bischöfen.
500.000 Unterschriften werden in Österreich gesammelt. Viele Anhängern Groërs vermuten, dass „ihr“ Kardinal deswegen von den Medien vernichtet werde, weil er diesen Reformbewegungen nicht passe.
Doch hinter den Kulissen werden die Weichen für eine Ablöse gestellt.
Noch im April wird Weihbischof Schönborn zum designierten Nachfolger erklärt. Im August nimmt der Papst den schon ein Jahr zuvor angebotenen Rücktritt Groërs an.
Am 14. September 1995 scheidet er aus seinem Amt und zieht sich zuerst in das von ihm gegründete Zisterzienserinnenkloster Marienfeld und dann nach Maria Roggendorf zurück.
Groër schweigt weiter, aber immer mehr Betroffene melden sich – manche in der Öffentlichkeit, manche aber auch nur bei kirchlichen Institutionen, manche im Zuge einer Visitation des Stiftes Göttweig.
Es zeigt sich, was für viele Missbrauchssituationen typisch ist:
Im Februar 1998 entschließen sich die vier Bischöfe Schönborn, Eder, Weber (Graz) und Kapellari (Klagenfurt), die für die Kirche belastende Unsicherheit zu beenden und sie von der Last der „Causa Groër“ zu befreien.
Sie erklären aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen, dass die Vorwürfe gegen Groër „im wesentlichen zutreffen“.
Im April zieht der Papst einen Schlussstrich und bittet Groër, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.
Der Kardinal bittet, „Gott und die Menschen um Vergebung, wenn ich Schuld auf mich geladen habe“.
Er stirbt am 24. März 2003 83-jährig in St. Pölten an Krebs.
Ein blinder Fleck der Vergangenheit
Blog von Dr. Michael Prüller
„So hätte ich ihn mir nicht erwartet“
Toni Faber über die Persönlichkeit Kardinal Groërs, dessen Zeremoniär er war.
„Eine schwere historische Last“
Kardinal Schönborn erinnert sich
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien
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