Der junge Priester Toni Faber (2. v. r.) als Zeremoniär mit Kardinal Groër bei der Chrisammesse, in der am Montag der Karwoche die hl. Öle geweiht werden.
Der junge Priester Toni Faber (2. v. r.) als Zeremoniär mit Kardinal Groër bei der Chrisammesse, in der am Montag der Karwoche die hl. Öle geweiht werden.
Toni Faber, der Zeremoniär Kardinal Groërs, über die seelsorglichen Stärken dieser „komplexen und komplizierten Persönlichkeit“.
Der Anruf kam für mich als neuer Kaplan in Wiener Neustadt überraschend am Pfingstsonntag 1989 um 6 Uhr früh:
„Guten Morgen, hier Erzbischof Groër. Ich habe da so ein Gerücht gehört und will mit Ihnen gerne in den nächsten Tagen darüber sprechen!“
Die unnachahmliche Sprechweise ließ keinen Zweifel offen – das war kein Scherz.
Und bedeutete für mich die nächsten Tage die intensivste Form der Gewissenserforschung.
Er meinte dann beim humorvollen Gespräch im Palais die neue Aufgabe als Ausbildner im Priesterseminar. Und kurz darauf auch die ehrenvolle Aufgabe als seinen Zeremoniär: die genaue Vorbereitung und Koordinierung der erzbischöflichen Gottesdienste im Dom und allen Kirchen der Erzdiözese.
So konnte ich in enger Zusammenarbeit mit dem Erzbischof, von dem viele heute nur noch die negativen Seiten seiner komplexen und komplizierten Persönlichkeit in Erinnerung haben, auch seine Stärken kennenlernen.
Mit leidenschaftlicher Hingabe und akribischer Sorgfalt widmete er sich der Gestaltung der Gottesdienste, und es verging fast keine Woche ohne mindestens zwei Arbeitsbesprechungen zu diesem Thema.
Die Länge seiner Predigt war immer ein Grund zur Vorwarnung für die jeweiligen Pfarrer, aber ich konnte für die anschließende Agape und Begegnung einen Erzbischof ankündigen, dessen fester Wille es war, wirklich mit jedem ins persönliche Gespräch zu kommen.
Nicht wenige in den Gemeinden nahmen mich anschließend dezent zur Seite und gestanden mir ihre Eindrücke dieser Art: „Na ja, die Predigt war ja urlang und sehr fromm – aber wie gut und herzlich er mit den Menschen reden kann! So hätte ich ihn mir nicht erwartet.“
Hunderte, ja tausende wurden so zu seinen treuen Freunden und Bewunderern, und zum intensiven Briefwechsel mit ihnen gehörten manchmal bis zu 3000(!) persönliche Weihnachtspoststücke.
Gleichzeitig war seine mediale Vermittlung in Fotos und Fernsehen eine undankbare Sisyphusarbeit – es war fast unmöglich, seine positiven Eigenschaften über die Rampe zu bringen.
Die Einweihung der neuen Niederlassung der Mutter-Teresa-Schwestern am Gürtel, ein ehemaliges Bordell, ließ mich mit ihm ein mediales Highlight erleben.
Auf die Frage des ZiB-Journalisten, ob der Kardinal nicht Bedenken hätte, ein Kloster in einem „Haus der Schande“ einzuweihen, antwortete er schlagfertig: „Es war ein Haus der Liebe und es wird ein Haus der Liebe sein.“
Bei der anschließenden Messe in der Hauskapelle wies er mich an, eine ausreichende Menge an Weihwasser für jeden einzelnen Raum des ehemaligen Etablissements mitzutragen. Und es war fast ein Kübel.
Ein blinder Fleck der Vergangenheit
Blog von Dr. Michael Prüller
von Dr. Michael Prüller
„Eine schwere historische Last“
Kardinal Schönborn erinnert sich
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien
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