Nachfolger und Vorgänger – der damalige Weihbischof Christoph Schönborn mit Kardinal Hans Hermann Groer bei dessen letzter Messe als amtierender Erzbischof am 9. September 1995.
Nachfolger und Vorgänger – der damalige Weihbischof Christoph Schönborn mit Kardinal Hans Hermann Groer bei dessen letzter Messe als amtierender Erzbischof am 9. September 1995.
Kardinal Christoph Schönborn, seit 1991 Groërs Weihbischof und ab 1995 sein Nachfolger als Erzbischof, über moralische Gewissheit und sein Gedenken an seinen Vorgänger.
1998 haben Sie und drei andere Bischöfe öffentlich erklärt, Sie seien zur „moralischen Gewissheit“ gelangt, dass die Vorwürfe gegen Kardinal Groër „im wesentlichen zutreffen“. Was hat zu dieser Gewissheit geführt?
Christoph Schönborn: Die vielen Leidtragenden, die sich bei uns und anderswo gemeldet haben, sowohl aus der Hollabrunner Zeit wie auch aus dem Stift Göttweig.
Zusammen zeigen sie leider ein sehr überzeugendes Bild.
Unter ihnen sind viele, die aus Loyalität zu ihrer Kirche bis heute nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind – die also sicher nicht Teil einer Medienverschwörung waren.
Wieso wurde man – angesichts so vieler Betroffener – nicht schon viel früher auf die Missstände aufmerksam?
Christoph Schönborn: Ich war seit 1970 regelmäßig im Weinviertel, in Retz. Hans Hermann Groër kannte ich dem Namen nach, auch die Wallfahrt in Maria Roggendorf, auch wenn ich selber nie dort war.
Aber von den Gerüchten habe ich persönlich nie gehört. Darum habe ich ja auch in der ersten Reaktion so scharf gegen die Enthüllungen im „profil“ protestiert, wofür ich mich dann sehr bald entschuldigt habe.
Erst später hat man mir berichtet, dass hinter vorgehaltener Hand schon viel früher davon gesprochen wurde.
Hatten Sie Verständnis dafür, dass Kardinal Groër zu den Vorwürfen nie klar Stellung bezogen hat?
Christoph Schönborn: Sein Schweigen war eine schwere Belastung.
Ich denke, der Schlüsselsatz aus unserer Erklärung von 1998 war, dass der Ruf eines Kardinals der Kirche nicht wichtiger sein dürfe als das Wohl junger Menschen.
Es gibt nur einen Weg: den Weg der Wahrheit.
Wichtig ist dabei, auch das Gute nicht zu verschweigen. Wir haben versucht, das auch Kardinal Groër gegenüber so zu halten – aber eben nicht zum Preis des Verschweigens der Wahrheit.
Wie gehen Sie persönlich als Nachfolger mit der Erinnerung an Ihren Vorgänger um?
Christoph Schönborn: Wenn man ein Erbe übernimmt, kann man nicht nur das Wertvolle übernehmen und die Schulden, die Schuld, liegenlassen.
Und die Enthüllungen über meinen Vorgänger waren ja nur ein Anfang, dass überhaupt das Thema Missbrauch angesprochen wurde.
Hier gibt es eine schwere historische Last, zu der wir uns bekennen müssen. Das geht weit über das Knabenseminar Hollabrunn hinaus, wo es massive Probleme und viele Übergriffe gab, auch durch andere.
So viele Menschen tragen bleibende Schäden und Verletzungen mit sich, dass ich im Namen der Kirche immer wieder um Vergebung zu bitten habe und um Vergebung bitten möchte.
Hatte die „Causa Groër“ für die Kirche auch positive Auswirkungen?
Christoph Schönborn: Einer der ersten Schritte nach meinem Amtsantritt war die Schaffung der Ombudsstelle und damit verbunden die Ermutigung an Opfer, sich zu melden und über ihre traumatischen Erfahrungen zu sprechen.
So sind wir auch 2010, als die Welle von Missbrauchsberichten kam, nicht mehr in die Falle getappt, das alles als Medienangriff auf die Kirche abzutun.
Mittlerweile ist auch die ganze Organisation unserer Diözese auf Prävention eingestellt.
Wie ist Ihre persönliche Erinnerung?
Christoph Schönborn: Ich erinnere mich dankbar an manches, was ich von ihm gelernt habe, was mir wichtig ist.
Ich habe ihn auch als einen aufmerksamen Seelsorger kennengelernt. Nicht ohne Grund sind in seinem Umfeld viele geistliche Berufungen entstanden. Er hat sie intensiv gefördert und begleitet.
Auf ihn geht zurück die Wiederbelebung eines fast ausgestorbenen Zisterzienserinnenklosters, Mariastern in Bregenz, von dem aus auch das Kloster Marienfeld gegründet wurde.
So ist es verständlich, dass viele ihm nach wie vor eine große Dankbarkeit bewahren.
Aber ich erinnere mich auch an einen Menschen mit großen Problemen.
Ich habe nie von ihm selber gehört, dass er etwas falsch gemacht hätte, in welcher Materie auch immer. Das ist schon Ausdruck einer schwierigen seelischen Landschaft.
Beten Sie für Kardinal Groër?
Christoph Schönborn: Ja. Und ich vertraue darauf, dass er mir ein Fürsprecher ist.
Im Wortlaut
Aus der Erklärung der Bischöfe Schönborn, Eder, Weber und Kapellari vom 27. 2. 1998:
„Wir sind nun zur moralischen Gewissheit gelangt, dass die gegen Alterzbischof Kardinal Hans Hermann Groër erhobenen Vorwürfe im wesentlichen zutreffen...
Wir fühlen uns zu dieser Erklärung besonders verpflichtet, weil ein Schweigen die Seelsorge der Kirche weiterhin durch den lähmenden Generalverdacht belasten würde, der Ruf eines Kardinals sei der Kirche wichtiger als das Wohl junger Menschen.
Wir möchten auch den Heiligen Vater vor der öffentlich gemachten Behauptung schützen, er dulde ein solches zweideutiges Verhalten.“
weitere Artikel zu Kardinal Hans Hermann Groer
Ein blinder Fleck der Vergangenheit
Blog von Dr. Michael Prüller
von Dr. Michael Prüller
„So hätte ich ihn mir nicht erwartet“
Toni Faber über die Persönlichkeit Kardinal Groërs, dessen Zeremoniär er war.
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien
T +43 (1) 512 60 63
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien