Natascha Kampusch engagiert sich für mehrere Hilfsprojekte, hat u.a. in Sri Lanka ein Kinderkrankenhaus gegründet, das ihren Namen trägt: "Natascha Kampusch Children’s Ward".
Natascha Kampusch engagiert sich für mehrere Hilfsprojekte, hat u.a. in Sri Lanka ein Kinderkrankenhaus gegründet, das ihren Namen trägt: "Natascha Kampusch Children’s Ward".
Natascha Kampusch ist vor zehn Jahren aus ihrer Gefangenschaft geflohen. Im SONNTAG-Interview mit Georg Gatnar spricht sie über ihre aktuellen Pläne, Wünsche und Gedanken. Ein bewusster Blick nach vorne…
Auf dieses Interview freue ich mich seit Jahren. Als Journalist war es immer mein Ziel, Natascha Kampusch irgendwann vor dem Mikrofon zu haben. Doch ich nehme mir fest vor, mit ihr nicht über ihre Gefangenschaft zu sprechen. Viel ist darüber ja bereits berichtet worden, immer und immer wieder. Stattdessen möchte ich Natascha Kampusch als Mensch kennenlernen. Ich möchte mit ihr darüber reden, welche Ziele sie hat, was ihr im Leben wichtig ist und welche Botschaft sie für andere hat.
Und ich merke, wie die Nervosität langsam steigt, wahrscheinlich weil ich mich seit Jahren auf dieses Interview freue. Eine Nervosität, die ich normalerweise so nicht (mehr) kenne. Ich hole sie an der Eingangstür ab und steige mit ihr auf dem Weg ins Aufnahmestudio in den Lift. In diesem Moment fragt sie mich: „Können wir hier eh nicht stecken bleiben?“
Hunderte Gedanken schießen mir in diesem Moment durch den Kopf. Ich muss unweigerlich daran denken, dass Frau Kampusch jahrelang in einem engen Verlies leben musste. Und gleichzeitig erinnere ich mich daran, dass der Lift, in dem wir gerade nach oben fahren, vor der Renovierung unseres Gebäudes tatsächlich schon einmal stecken geblieben ist. Ich beschließe, ihr davon nichts zu erzählen, um sie nicht zu verunsichern. Stattdessen erkläre ich, dass wir auf keinen Fall abstürzen können, da der Lift hydraulisch funktioniert. Dann gehe ich schnell noch einmal die wichtigsten Fragen im Kopf durch, die ich Natascha Kampusch gleich stellen werde. Durch meine Recherchen weiß ich, dass sie sich intensiv für Flüchtlinge engagiert.
Warum das so ist, möchte ich wissen?
„Ich begreife mich selbst auf eine gewisse Art und Weise als Flüchtling, da ich ja aus einer Gefangenensituation geflohen bin und dann in die Gesellschaft hineingestoßen wurde. Und ich habe mich mindestens genauso fremd gefühlt, wie ein Flüchtling. Was bei den Flüchtlingen noch dazu kommt, ist, dass sie in ein komplett fremdes Land kommen und die Sprache nicht sprechen“, verrät Natascha Kampusch.
„Ich werde immer wieder gefragt, ob ich von Österreich nicht wegziehen möchte, ob ich nicht eine andere Identität annehmen möchte. Selbstverständlich nicht. Und das ist genau das, was den Flüchtlingen immer unterstellt wird: Dass sie von Zuhause bewusst weggehen wollen, aus unredlichen Gründen, um sich bei uns ins gemachte Nest zu setzen. Und genau das denke ich von Flüchtlingen nicht.“
Bereits als kleines Kind haben Sie aus dem „Groschenglaserl“ Ihrer Mutter Münzen genommen, um sie an Obdachlose zu verteilen. Diese Hilfsbereitschaft zeichnet Sie bis heute aus. Mit der Unterstützung von „Jugend Eine Welt“, einem Hilfswerk der Salesianer Don Boscos, haben Sie im Süden Sri Lankas ein Kinderkrankenhaus gegründet. Wie kam es zu diesem Engagement?
Natascha Kampusch: In der Gefangenschaft habe ich im Radio von der Tsunamikatastrophe gehört. Nachdem ich mich 2006 selbst befreit habe, gab es irgendwann ein Treffen mit einem Ehepaar aus Sri Lanka. Und da habe ich beschlossen, ein Projekt ins Leben zu rufen, bei dem man den Menschen auf Augenhöhe begegnen kann. Ich wollte nicht einfach nur irgendetwas irgendwohin anonym spenden. Mir ist es wichtig, Kindern und Müttern zu helfen, ihnen eine Hand zu reichen, ihnen einen Lichtblick zu verschaffen.
Sie holen derzeit die Matura nach, ein Studium könnte folgen. Warum ist es
für Sie wichtig, sich fortzubilden?
Natascha Kampusch: Für mich ist Bildung ein sehr wertvolles Gut und nicht zu unterschätzen. Viele Menschen in der heutigen Zeit sehen Bildung als Last an, alles läuft übers Fernsehen und über die Medien. Ich hingegen bin überzeugt davon, dass es wichtig ist, sich weiterzubilden, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen, um es im Leben weiter zu bringen und sich selbst auf eine andere Ebene zu heben.
Darüber hinaus entwickeln Sie Ihren eigenen Schmuck und Ihre eigene Mode. Wie kommt es dazu?
Natascha Kampusch: Das liegt mir in der Wiege. Es gibt in meiner Familie mehrere Generationen an Frauen, die sich mit dem Schneidern befasst haben. Nicht zuletzt meine Mutter, die die Modeschule besucht hat. Ich habe mir vieles abgeschaut, weil es einfach schön ist, mit Stoffen und Materialien zu arbeiten und zu nähen. Und es dann auch wirklich tragen zu können. Wenn die Stücke dann im Schrank als eigenes Werk hängen, dann weiß man sie umso mehr zu schätzen. Umso mehr tut es einem dann auch weh, wenn man in einem Billigladen günstige Kleidungsstücke vorfindet, von denen man annimmt, dass sie wohl Kinder in ärmlichen Situationen gefertigt haben könnten.
Eine weitere Leidenschaft gehört dem Pferdesport, Ihrem eigenen Pferd Lorelei. Was kann man von Pferden lernen?
Natascha Kampusch: Man kann von Pferden sehr viel lernen. Pferde sind Herdentiere und reagieren relativ rasch. Man kann die Situation sofort erkennen. Menschen versuchen, ihre Emotion zu verbergen, Pferde hingegen sind sehr direkt. Wenn sie Angst haben, dann laufen sie. Wenn sie glücklich sind, dann freuen sie sich. Und genau das beeindruckt mich. Meistens sind Pferde sehr glücklich, wenn sie mich sehen, da sie wissen, dass ich Ruhe und Gelassenheit ausstrahle, bei der sie sich dann fallen lassen können.
Seit Ihrem fünften Lebensjahr leben Ihre Eltern getrennt. Haben Sie aufgrund Ihrer Erfahrung einen Tipp speziell für Scheidungskinder?
Natascha Kampusch: Scheidungskinder sollten darauf achten, sich selbst zu entwickeln und das, was die Eltern gerade ausfechten, nicht zu ernst zu nehmen.
Mittlerweile haben Sie ja wieder ein sehr gutes Verhältnis zu Ihren Eltern. Wie haben Sie das geschafft?
Natascha Kampusch: Ich nehme es sehr ernst mit dem Gebot: Du sollst Vater unter Mutter ehren. Es ist nicht immer ganz leicht, aber ich versuche meine Eltern mit Respekt zu behandeln und das funktioniert recht gut.
Da Sie das vierte Gebot befolgen:Glauben Sie an Gott, Frau Kampusch?
Ja, ich wurde zumindest so erzogen. Ich wurde römisch-katholisch getauft. Ich habe den Religionsunterricht immer ernst genommen und es war sogar vorgesehen, dass ich in eine katholische Schule hätte kommen sollen. Ich kann sagen: Ja, ich glaube. Ob es jetzt an eine Kirche ist, weiß ich nicht. Aber ich glaube an die Menschen, und die bilden ja schließlich die Kirche. Und ich glaube daran, dass es eine höhere Instanz gibt, auf jeden Fall.
Wie definieren Sie Glück?
Ich habe in meinem Geist und Verstand viele Kraftorte. Ich liebe es, in mein Innerstes zurückzukehren. Glück sind oft Momente: Regentropfen an der Fensterscheibe zum Beispiel, ein Regenbogen, oder ein Sonnenstrahl am Himmel. Und was besonders schön ist, andere Menschen glücklich zu machen. Oder wenn man Tieren helfen kann. Das alles gibt mir viel Kraft.
Das gesamte Interview mit Natascha Kampusch gibt es für Sie zum Nachhören auf:
radioklassik.at/kampusch
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien