Kardinal Christoph Schönborn zeigt sich im Gespräch mit Michael Ausserer und Stefan Hauser zuversichtlich.
Kardinal Christoph Schönborn zeigt sich im Gespräch mit Michael Ausserer und Stefan Hauser zuversichtlich.
Flüchtlingskrise, wirtschaftliche Schwierigkeiten, humanitäre Katastrophen, politische Verunsicherung. Ein intensives Jahr auch für Kardinal Christoph Schönborn, der sich mutig zu Wort gemeldet hat, und viel im In- und Ausland unterwegs war. Sein Einsatz zeigt: 2016 gab es auch viel Gutes. Im Interview mit dem SONNTAG zieht er Bilanz und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.
Für Kardinal Christoph Schönborn ist die Adventzeit alles andere als ruhig und besinnlich. Sein Terminkalender ist vor Weihnachten prall gefüllt und gleichzeitig ist er nach einer Grippeerkrankung gesundheitlich noch immer nicht vollkommen fit. Trotzdem empfängt er Stefan Hauser und Michael Ausserer vom Medienhaus gut gelaunt, nimmt sich eine ganze Stunde lang Zeit für das Interview.
Wie er das alles unter einen Hut bringt, möchten wir wissen?
Kardinal Christoph Schönborn: „Jedes Jahr nehme ich mir vor, den Advent ruhiger zu gestalten, und jedes Jahr stelle ich fest, dass es mir wahrscheinlich geht, wie der Heiligen Familie, für die der Advent alles andere als gemütlich war. Ich bin die Strecke von Nazareth nach Betlehem oft mit dem Bus gefahren. Das ist eine bequeme Fahrt, aber es ist ganz schön weit.
Diese Strecke als hochschwangere Frau zu Fuß zurückzulegen, war sicher nicht so idyllisch wie unsere Adventmärkte und Adventfeiern. Und dann denke ich auch noch an die vielen Flüchtlingsfamilien, die unterwegs sind, oder irgendwo in Lagern untergebracht sind. Dann vergeht mir sogleich das Jammern wegen meines intensiven Kalenders in der Adventzeit.“
DER SONNTAG: Wenn wir auf das Jahr 2016 zurückblicken, bleibt besonders das große Engagement der Kirche für Flüchtlinge in Erinnerung. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation von Flüchtlingen in Österreich?
Kardinal Christoph Schönborn: Sicher ist es der Idealfall, wenn eine Flüchtlingsfamilie oder einzelne Flüchtlinge in einer Pfarrgemeinde Anschluss finden. Das ist Gott sei Dank in vielen Gemeinden im gesamten Land der Fall. Viel schwieriger ist die Integration, wenn Flüchtlinge in Heimen untergebracht sind und es Monate oder Jahre dauert, bis ihre Asylsituation geklärt ist. Das macht mir Sorgen, aber es geschieht sehr viel Positives.
Ich nenne nur ein paar Beispiele, die ich selbst erlebt habe: Lern-Cafés der Caritas in ganz Österreich, in denen vor allem jüngere Flüchtlinge Deutsch lernen. Daneben gibt es Gott sei Dank sehr viele zivilgesellschaftliche Bemühungen, die nirgendwo in den Statistiken aufscheinen: Etwa Menschen, die sich bereit erklären, Sprachunterricht zu geben, zu begleiten, Jugendliche Flüchtlinge in Familien einzuladen, damit sie Anschluss finden.
Die Nächstenliebe ist erfinderisch! Meine Erfahrung ist, dass dort wo Menschen direkten, persönlichen Kontakt mit Flüchtlingen haben, sehr viel weniger Angst gegeben ist, als da, wo Flüchtlinge als anonyme Bedrohung wahrgenommen werden. Deshalb wünsche ich mir zu Weihnachten, dass möglichst Viele wenigstens mit einem Menschen, der hier in Österreich Schutz sucht, in Kontakt treten, zuhören und versuchen, seine Geschichte kennenzulernen.
Wie familien- und kinderfreundlich ist Österreich Ihrer Meinung nach?
Kardinal Christoph Schönborn: Ich wünsche mir, dass es allen Kindern auf der Welt so gut geht, wie es durchschnittlich den Kindern in Österreich geht. Es gibt zwar leider auch bei uns viel Not, vor allem von alleinerziehenden Müttern und armutsgefährdeten Familien. Aber kein Kind in Österreich muss in einer Mülltonne nach seiner Nahrung suchen und in irgendeiner schmutzigen Pfütze versuchen, sein Wasser zu trinken. Wenn wir klagen, klagen wir oft auf einem sehr hohen Niveau.
Eine große schmerzliche Wunde bleibt allerdings die Tatsache, dass so viele Kinder nicht das Licht des Lebens erblicken dürfen, weil Mütter oder Eltern sich nicht für das Kind entscheiden können. Jede Hilfe, die hier gegeben wird, ist ein wirklicher Segen.
Ich kann aus persönlichen Erfahrungen immer wieder bezeugen, was für eine Freude es ist, wenn es gelingt, einer Mutter oder Eltern Mut zu machen, zu einem Kind ja zu sagen. Auch einem behinderten Kind gegenüber. Ich kenne viele Situationen, wo es ein Arzt war, eine Nachbarin oder eine Verwandte, die Mut gemacht hat und gebeten hat: Sag ja zum Kind – es wird gehen. Diese Hilfe, dieses Mutmachen, ist das, was ich mir für unser Land wünsche.
Viele Menschen sind auf der Suche nach Sinn und Halt im Leben. Was kann Kirche diesen Menschen geben?
Kardinal Christoph Schönborn: Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Das geht nur, wenn man aufmerksam ist und hinschaut. Nicht die Frage stellen: Wie bekommen wir Menschen dazu, zu uns zu kommen? Sondern: Wie finden wir selbst den Weg dorthin, wo Menschen zu finden sind?
Ich erinnere mich an eine beeindruckende Erfahrung. Bei einer Dekanatsvisitation im Südvikariat haben wir überlegt, eine Missionsaktion zu machen und haben mit der Dekanatskonferenz besprochen, wo wir Leute unkonventionell finden. Da kam die Idee, unsere Missionsaktivität auf einem Sperrmüll-Sammelplatz zu verlegen, der am Samstag immer sehr stark besucht ist, weil Menschen hinkommen und ihren Sperrmüll abliefern.
Das war hochinteressant, denn es ging einfach darum, den Menschen genau dort vor Ort zu begegnen. Natürlich ist das ein Überraschungseffekt, aber er hat den Sinn, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie zu erreichen.
Ist daraus zu schließen, dass die Kirche eine „nachgehende Kirche“ geworden ist?
Kardinal Christoph Schönborn: Wenn sie es schon geworden wäre, wäre ich sehr froh. Sie ist noch viel zu wenig nachgehend. Nur nachtragend soll sie nicht sein, das war sie oft genug. Aber nachgehend schon. So wie Jesus gesagt hat, ich muss weitergehen, ich muss auch in die anderen Dörfer gehen und das Reich Gottes verkünden.
Was wünschen Sie Papst Franziskus zum Geburtstag?
Kardinal Christoph Schönborn: Nun, wenn man 80 wird, darf man auf jeden Fall noch „ad multos annos“ – auf viele Jahre wünschen. Die dazu notwendige Gesundheit und Energie wünsche ich dem Heiligen Vater, damit er nach wie vor mit dieser Klarheit, Bestimmtheit und Fröhlichkeit seinen Weg – den Weg des Evangeliums – geht, weil er weiß, dass Jesus ihn schickt. Und ich wünsche ihm, dass er immer wieder den Trost dabei erfährt, den auch ein Papst braucht.
Sie kennen den Papst persönlich. Was schätzen Sie an ihm?
Kardinal Christoph Schönborn: Den Humor, den er sich Gott sei Dank immer bewahrt hat, sein wunderbares Lachen. Was ich auch an ihm schätze, ist seine Bestimmtheit und Entschiedenheit. Sein Ausdruck: funkelnde herzliche Augen, aber eine sehr starke und feste Mundpartie. Da merkt man, er ist einer der sehr viel zuhört, aber dann sehr entschieden ist. Und wenn er entschieden hat, dann steht er dazu und hat auch den Mut, das Ganze durchzutragen. Diese Verbindung von einer wohlwollenden verschmitzten Herzlichkeit und einer sehr klaren Bestimmtheit, beeindruckt mich sehr.
Wie feiert Kardinal Christoph Schönborn Weihnachten? Welche Kindheitserinnerungen verbindet er mit dem Heiligen Abend? Und: Welche Botschaft hat er für das Jahr 2017?
Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews mit Kardinal Christoph Schönborn in der Weihnachtsausgabe des SONNTAG (Nr. 51/52. Erscheint am 22.12. 2016.)