Im Herbst 1956 flüchteten rund 180.000 Ungarn.
Im Herbst 1956 flüchteten rund 180.000 Ungarn.
Lehren sollten auch für Umgang mit Aleppo-Flüchtlingen gezogen werden.
Die große Flüchtlingsbewegung durch die Ungarnkrise von 1956 war für Österreich ein "Testfall für die Humanität" und auch für die gerade erst erlangte Neutralität: Das hat Christoph Schweifer, Leiter der Caritas-Auslandshilfe, am Freitag, 16. Dezember 2016 bei einem Symposion zu "60 Jahre Flüchtlingspolitik in Europa" in Wien dargelegt.
Zahlreiche Parallelen gebe es zu den Vorfällen im Jahr 2015, als es in der Alpenrepublik erneut eine "riesige Hilfsbereitschaft" für Flüchtlinge gegeben habe. Gleichzeitig sollte man jedoch auch Lehren aus den Vorfällen vor 60 Jahren ziehen, so der Caritas-Experte gegenüber "Kathpress".
Schweifer berichtete von einer "Welle von Solidarität", an die sich die 1956 aktiven Helfer bis heute erinnern. Beachtlich sei dies deshalb, da es zu dieser Zeit auch in Österreich viel Not und Elend gegeben habe und die Unabhängigkeit erst ein Jahr währte Trotzdem hätten die Menschen in Burgenland, Wien und ganz Österreich Unglaubliches geleistet. "Familien haben Flüchtlinge aufgenommen und mit ihnen Weihnachten gefeiert, und überall wurden Sach- und Geldspenden gesammelt." Organisiert wurden die freiwilligen Helfer über die Pfarren sowie vom Roten Kreuz. Schweifer: "Die Frage lautete damals nicht, ob wir es schaffen oder nicht, sondern: Wie bewältigen wir diese Aufgabe? Es war ein großartiges Miteinander, das wesentlich zum Selbstbewusstsein des jungen Österreichs beigetragen hat."
Das Engagement der Zivilgesellschaft von 1956 habe jenem im Herbst 2015 entsprochen, so Schweifers Einschätzung. Österreich habe die Herausforderung nur dadurch meistern können, sowie dank reibungslosen Resettlements: Mit Inkrafttreten der Genfer Flüchtlingskonvention konnten 80.000 ungarische Flüchtlinge binnen zwei Monaten in die USA sowie nach Australien und Neuseeland weiterreisen. Heute verlaufe dies schleppend: "Was wir von damals lernen müssen ist, dass heute auch die Nachbarländer Syriens und des Iraks, die Flüchtlinge aufgenommen haben, dringend internationale Unterstützung brauchen, um ihre Herausforderungen zu bewältigen", so der Caritas-Experte. Besonders hinsichtlich der Flüchtlingsbewegungen aus Aleppo sei dies jetzt Gebot der Stunde.
Die Stimmung in Österreich sei 1956 insgesamt "sehr positiv" gewesen, wenn auch eine anfängliche Euphorie später in "Ernüchterung" gemündet habe: Auf Seiten der Betroffenen hätten monatelange Aufenthalte in Flüchtlingslagern sehr wohl zu Frustrationen und Spannungen "in normalem Ausmaß" geführt, während bei der Bevölkerung auch Ängste - insbesondere vor zivil über die Grenze kommenden bewaffneten Soldaten - im Spiel waren. Auch heute müsse man jedoch davor warnen, negative Stimmungen zu schüren und sie für politische Zwecke zu nutzen. "Die ganze Gesellschaft leidet mittelfristig daran, da ihr Funktionieren darauf angewiesen ist, dass die Menschen sich solidarisch mit den anderen verhalten", so der Caritas-Auslandshilfechef.
Bei dem Wiener Symposion nahmen auch Friso Roscam Abbing von der EU-Grundrechteagentur und Michael Lindenbauer vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge teil. Beide Einrichtungen waren gemeinsam mit dem Europaparlament und der Europäischen Kommission Mitveranstalter des Symposiums. Zentrales Thema war neben der Rolle der Zivilgesellschaft auch die Flüchtlingsintegration. Diese müsse stets auf Basis der Menschenrechte stattfinden, so der Tenor der Redner. Ehemalige Flüchtlinge, die als Kinder nach Österreich gekommen waren, sprachen zudem von einem "Integrationsbedürfnis": Sie hätten bei ihrer Ankunft einen großen Wunsch verspürt, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Das Gelingen habe oft davon abgehängt, ob es dafür Hilfen gab.
Die Flüchtlingskrise im Herbst und Winter 1956/57 war eine Folge des Ungarnaufstandes gegen die kommunistische Regierung und die sowjetische Besatzungsmacht. Tage nachdem sich Ungarn infolge von Studentenprotesten vom Warschauer Pakt verabschiedet und eine eigene Regierung sowie die Neutralität ausgerufen hatte, folgte die Invasion der Sowjet-Armee und wochenlange Kämpfe sowie die Internierung oder Hinrichtung vieler Aufständischer. Hunderttausende Ungarn flüchteten in den Westen. Rund 200.000 kamen in einem Jahr über die Grenze nach Österreich und erhielten pauschal Asyl. Weniger als 30.000 von ihnen blieben längerfristig. Koordiniert wurden die Hilfen über das von Erzbischof Franz König geleitete österreichische Nationalkomitee für Ungarn.
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