Bei dem Straßburger Urteil in zweiter Instanz ging es um ein italienisches Ehepaar, das über eine Agentur eine russische Leihmutter bezahlt hatte, die für sie im Februar 2011 in Moskau ein Kind zur Welt brachte.
Bei dem Straßburger Urteil in zweiter Instanz ging es um ein italienisches Ehepaar, das über eine Agentur eine russische Leihmutter bezahlt hatte, die für sie im Februar 2011 in Moskau ein Kind zur Welt brachte.
Kirchliche Lebensschutz-Expertin spricht bei italienischer Causa von "Krimi" und "klarem Fall von Kinderhandel", dessen Verhinderung Straßburg nun gestärkt habe
Erleichtert über die Bestätigung des italienischen Leihmutterschafts-Verbotes durch den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hat sich die Bioethikerin Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) der österreichischen Bischofskonferenz geäußert. Der dahinterliegende Sachverhalt lese sich wie ein Krimi, der nicht nur herzzerreißend aus Sicht der Kinderwunscheltern, sondern genauso "brutal als klarer Fall von Kinderhandel" dargestellt werden könne, so die Juristin und Lebensschutz-Expertin. Völlig zurecht habe sich der EGMR der zweiten Interpretation angeschlossen.
Bei dem Straßburger Urteil in zweiter Instanz ging es um ein italienisches Ehepaar, das über eine Agentur eine russische Leihmutter bezahlt hatte, die für sie im Februar 2011 in Moskau ein Kind zur Welt brachte. Das Paar ließ den Jungen, der durch Befruchtung einer Fremdeizelle mit einer Fremdsamenzelle gezeugt und transferiert worden war und somit nicht verwandt war, in Russland als eigenes Kind registrieren, ohne dabei anzugeben, dass es von einer Leihmutter geboren wurde. Während Leihmutterschaft in Italien verboten ist, ist sie in Russland möglich.
Zurück in Italien, verweigerten die dortigen Behörden eine Anerkennung der Elternschaft. Zudem stellte sich nach einem Vaterschaftstest heraus, dass der italienische Ehemann nicht der biologische Vater des Kindes ist. Somit stammten weder Eizelle noch Samenzelle von den italienischen Klägern, das Kind war eltern- und staatenlos und in unsicherer Rechtssituation. Im Oktober 2011 entschied ein italienisches Gericht, das Kind sofort in staatliche Obhut zu geben. Dem Ehepaar wurde jeder Kontakt mit dem zu diesem Zeitpunkt neun Monate alten Kind verweigert. Nach rund einem Jahr in einem Kinderheim kam der Junge 2013 in eine Pflegefamilie und wurde mittlerweile adoptiert.
Das Paar klagte und wandte sich nach dem Ausschöpfen des Rechtswegs in Italien an den Straßburger Menschenrechtsgerichtshof. Dort erhielten sie in einem ersten Verfahren im Jänner 2015 Recht. Mit fünf zu zwei Stimmen entschieden die Richter damals, dass das Vorgehen der italienischen Behörden das Kindeswohl nicht angemessen berücksichtigt habe. Die staatliche Inobhutnahme sei ein extremes Mittel, das nur bei unmittelbarer Gefahr für ein Kind zulässig sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, auch wenn das Ehepaar durch die Leihmutterschaft in Russland gezielt das italienische Verbot umgangen habe.
In zweiter Instanz bestätigte nun der EGMR jedoch die Einschätzung der italienischen Behörden und stellte fest, dass in diesem Fall bloß eine mögliche Verletzung des Rechts auf Privatleben der Erwachsenen, aber nicht eines etwaigen Familienlebens zu prüfen sei. Da die Antragsteller mit dem Kind weder in biologischer, noch in rechtlicher Hinsicht verwandt seien, läge kein Familienleben vor. Aufgrund der kurzen gemeinsamen Zeit und der Illegalität ihres Verhaltens könne auch kein de-facto Familienleben angenommen werden. Die Kindswegnahme sei gerechtfertigt, um das hohe staatliche Interesse an Einhaltung der Gesetze sicherzustellen.
Das Verbot der Leihmutterschaft im italienischen Fortpflanzungsmedizinrecht und die internationalen Auflagen bei Auslandsadoptionen seien gerade auch zum Schutz von Kindern eingeführt worden, heißt es im Urteil weiter. Deshalb dürfe die bewusste Umgehung solcher Vorschriften nicht nur aus Sicht des betroffenen Kindes, sondern auch im Hinblick auf andere Kinder, nicht durch de-facto Überlassung belohnt werden. Zudem sei im konkreten Fall eine Kindswegnahme auch deswegen gerechtfertigt, da - entgegen den Ausführungen eines psychologischen Gutachtens - die Wohlfahrtsbehörden von den elterlichen Qualitäten des Paares nicht überzeugt waren. Vielmehr befürchteten sie, das Kind müsse als Mittel zur Befriedigung narzisstischer Wünsche herhalten.
Die "umfassenden Ausführungen" der rechtlichen Prüfung zeigen laut Merckens, "dass sich nicht nur die Richter der Großen Kammer, sondern auch die italienischen Behörden eingehend mit den relevanten Fragen und Sachverhaltselementen auseinander gesetzt haben". Dass dem staatlichen Interesse an Einhaltung der Gesetze in der rechtlichen Begründung ein so hoher Stellenwert eingeräumt wurde, lobte Merckens als "besonders positiv"; sei es doch Ziel des Verbotes der Leihmutterschaft und der Auflagen bei ausländischen Adoptionen, den Handel mit Kindern und die Ausbeutung von Frauen zu verhindern.
Als bemerkenswert hob Merckens zudem hervor, dass sich die italienischen Jugendwohlfahrtsbehörden gegen die Beurteilung eines von den Antragstellern vorgelegten psychologischen Gutachtens ausgesprochen hatten. "Sie stützten sich lieber auf ihre eigene, durchaus sachverständige und auf Erfahrung aufbauende Einschätzung", so die Juristin.
Zuvor hatte bereits die Föderation der Katholischen Familienverbände in Europa (FAFCE) das EGMR-Urteil begrüßt. Die Entscheidung stärke den Schutz der Kinder und sei ein deutliches Signal gegen Leihmutterschaft und Menschenhandel, teilte FAFCE am Dienstag in Brüssel mit. Es sei "sehr positiv", dass der EGMR Italiens Recht anerkannte, Leihmutterschaftsvereinbarungen nicht zu legitimieren, erklärte FAFCE-Präsident Antoine Renard. Das Urteil bestätige die Notwendigkeit, gegen das "Recht auf ein Kind" vorzugehen.