"Der OSZE-Vorsitz bietet die Möglichkeit, politische Friedensprozesse einzuleiten", sagt die Sonderbeauftragte Ingeborg Gabriel, die lehrt Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien lehrt.
"Der OSZE-Vorsitz bietet die Möglichkeit, politische Friedensprozesse einzuleiten", sagt die Sonderbeauftragte Ingeborg Gabriel, die lehrt Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien lehrt.
Sozialethikerin Ingeborg Gabriel ist künftig eine von 15 Sonderbeauftragten in einer, wie sie sagt, "Organisation mit einigem Potenzial".
"Die Studierenden auf der Katholisch-Theologischen Fakultät werden gesellschaftspolitisch engagierter im guten Sinn des Wortes", freut sich Universitätsprofessorin Ingeborg Gabriel: "Wir hatten zwanzig Jahre lang eine ziemlich unpolitische Generation, aber jetzt spüre ich, dass diese Themen die jungen Leute bewegen. Alles, was mit sozialen Fragen zu tun, war bis vor drei, vier Jahren nicht hoch oben auf der Agenda, jetzt aber schon." Ob Gabriel, "Persönliche Vertreterin des amtierenden OSZE-Vorsitzenden im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, mit Fokus auf Intoleranz und Diskriminierung von Christen und Mitgliedern anderer Religionen", angesichts der weltpolitischen Lage, von den USA bis Russland, verzweifelt ist? "Verzweifeln würde ich nicht sagen, aber die politischen Verhältnisse sind viel instabiler als noch vor einigen Jahren. Wir haben heute teils alte, teils neue Konflikte, die aufflammen. Insofern ist die Lage besorgniserregend."
OSZE ist ein Kürzel wie UNO oder EU. Was verbirgt sich hinter OSZE?
Ingeborg Gabriel: Die OSZE ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die heute eine Vereinigung von 57 Staaten ist, vor allem in Europa. Aber sie fasst auch die Länder Zentralasiens, die USA und Kanada. Dazu kommen 11 Partnerstaaten vor allem in Nordafrika. Gegründet wurde die OSZE im Zuge des Ost-West-Konflikts. Der Gründungsakt waren die Helsinki-Verträge 1975, die einen wesentlichen Einfluss hatten auf die weitere Entwicklung in Europa. Diese Organisation hieß damals KSZE – Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sie wurde 1995 in OSZE umbenannt.
Was leistet die OSZE?
Ingeborg Gabriel: Die OSZE hat drei Dimensionen oder Aufgabenbereiche. Eine politisch-militärische, mit Beobachtern, etwa in der Ukraine und im Kosovo, eine Umwelt- und Wirtschafts-Dimension und die sogenannte menschliche Dimension, die sich u. a. mit Menschenrechten befasst. Diese menschliche Dimension, der sogenannte „Korb 3“, spielte eine wesentliche Rolle für die Beendigung des Ost-Westkonflikts. Die kommunistischen Länder haben die Vertragsbestimmungen damals akzeptiert, vor allem, um an technisches Know-how heranzukommen. Doch dann haben sich vor allem in ganz Osteuropa Menschenrechtsgruppen gebildet, die auch heute noch vielfach Helsinki-Komitees heißen, die eingetreten sind für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit, also für Menschenrechtsstandards. Und die sicherlich, neben den wirtschaftlichen Gründen, ein wesentlicher Faktor zusätzlich zum Engagement von Papst Johannes Paul II. waren, dass der Kommunismus dann zusammengebrochen ist.
Welche Chancen bietet der OSZE-Vorsitz für Österreich?
Ingeborg Gabriel: Der OSZE-Vorsitz bietet die Möglichkeit, neue politische Prozesse für den Frieden in Europa einzuleiten, und damit zu sagen, was wichtig ist. Das Erste, was Außenminister Sebastian Kurz getan hat, war seine Reise in die Ost-Ukraine, um sich dort die Lage vor Ort anzuschauen. Ein anderer Schwerpunkt des Außenministers ist jener gegen die Radikalisierung von Jugendlichen. Religions- und Gewissensfreiheit sind ein dritter Schwerpunkt, wozu auch Anfang April eine große Konferenz in Wien stattfinden wird.
Sie sind "Persönliche Beauftragte der OSZE im Kampf gegen Rassismus, Xenophobie und Diskriminierung". Was kann man sich unter dieser Aufgabe vorstellen?
Ingeborg Gabriel: Die OSZE hat an die 15 derartige Sonderbeauftragte, für verschiedene Schwerpunkte. Einer davon ist der Schwerpunkt „Kampf gegen Intoleranz, Rassismus und Diskriminierung“, wobei der volle Titel lautet: „Besonders gegen Christen und Angehöriger anderer Religionen“. Es gibt zudem einen eigenen Sonderbeauftragten gegen Antisemitismus und einen für den Kampf gegen die Diskriminierung von Muslimen. Mein Mandat ist ein doppeltes: Es geht um den Kampf gegen Intoleranz und Diskriminierung ganz allgemein und es geht speziell um Intoleranz gegenüber Christen und Angehörigen anderer Religionen. Beispielsweise gehört auch die Mongolei zur OSZE, die ist hauptsächlich buddhistisch geprägt.
Wie steht es um Intoleranz und Diskriminierung generell?
Ingeborg Gabriel: Wir erleben heute gesellschaftliche Polarisierungsprozesse, die uns allen Sorge bereiten. Das hat zum Teil ökonomische Gründe, aber es zeigt auch eine abnehmende Bereitschaft, sich mit den Anliegen anderer ernsthaft diskursiv auseinanderzusetzen. Da ist eine gewisse Leichtfertigkeit im Umgang mit dem sozialen Frieden, als einem sehr hohem Gut, an das wir uns gewöhnt haben und das wir daher nicht mehr ausreichend schätzen und pflegen. Das ist leider ein allgemeiner Trend in demokratischen Staaten. Man ist nicht nur in der Politik weniger bereit zum geduldigen Aushandeln von Kompromissen, sondern agiert einseitig und oft rücksichtslos. Und es gibt in allen Gesellschaften eine zunehmende Diskriminierung verschiedener Gruppen durch einen Teil der Bevölkerung. Man ist einerseits sehr genau in der Anti-Diskriminierung, andererseits werfen Leute gerade auch im Internet mit Hass-Postings und mit einer Hass-Sprache um sich.
Der Einsatz für Religionsfreiheit ist eine Kernaufgabe.
Und die Lage der Christen?
Ingeborg Gabriel: Die Christen sind von Diskriminierung besonders betroffen, vor allem in jenen Ländern, wo sie oft kleine Minderheiten darstellen, etwa in zentralasiatischen Ländern, wo jedoch überhaupt die Menschenrechtsstandards allgemein ungenügend sind. Insofern ist es eine wesentliche Aufgabe, sich für Menschenrechte im Allgemeinen und vor allem auch für die Religionsfreiheit einzusetzen. Hierin sehe ich eine meiner wichtigsten Aufgaben. In den europäischen Ländern ist eine größere Skepsis gegenüber Christen zu beobachten, das würde ich schon sagen. Das hat aber mit einer zunehmenden negativen Einschätzung von Religion überhaupt zu tun. Das finde ich sehr bedenklich und man wird sich überlegen müssen: Wie kann man die positiven Beiträge des Christentums und der anderen Religionen hervorstreichen?
Welche Beiträge kann die Katholische Soziallehre dazu leisten?
Ingeborg Gabriel: Die Katholische Soziallehre hat ein sehr gutes Grundkonzept, mit ganz bestimmten Vorstellungen, zum Beispiel von Solidarität und Gemeinwohl. Und sie baut auf den Menschenrechten auf. Die Anerkennung der Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanische Konzil hat hier zu einem weltweiten Schwerpunkt der Katholischen Kirche geführt, den es weiter zu stärken gilt, auch in der öffentlichen Debatte, in die sich ChristInnen am besten ökumenisch noch differenzierter und selbstbewusster einbringen sollten.
Wird man bis Ende des Jahres des OSZE-Vorsitzes mit einer Erklärung rechnen können? Die etwa von allen 57 Mitgliedsstaaten gemeinsam unterzeichnet wird?
Ingeborg Gabriel: Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Es passiert viel in der OSZE, was Friedenssicherung angeht, was Wahlbeobachtung in vielen Staaten angeht, was Erziehung und Bewusstseinsbildung betrifft. Auf der politischen Ebene ist die Institution auch wichtiger als vor fünf Jahren. Weil aber das Einstimmigkeits-Prinzip herrscht, ist es schwierig, auf der obersten politischen Ebene zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Die OSZE bietet allerdings einen wichtigen Ort des Zusammentreffens, eine Art Plattform.
Freuen Sie sich auf Ihre Aufgabe?
Ingeborg Gabriel: Ja, da diese Aufgabe die Möglichkeit mit sich bringt, einige Akzente zu setzen. Die OSZE ist eine große Organisation mit, wie ich meine, auch einigem Potential. Was man wirklich machen kann, wird sich freilich erst entlang des Weges weisen.
Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) ist aus der 1975 im Rahmen der Entspannung zwischen Ost und West etablierten Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen. Die Schlussakte von Helsinki (1975), die Charta von Paris (1990), die Europäische Sicherheitscharta von Istanbul (1999) sowie die Erklärung von Astana (2010) sind die bedeutendsten Vereinbarungen der OSZE, in denen ein beständig gewachsenes System politischer Verpflichtungen - auf der Grundlage eines umfassenden und kooperativen Sicherheitsbegriffs - festgelegt ist. Das bedeutet, dass die OSZE mit dem Prinzip der Einstimmigkeit agiert und Zwangsmaßnahmen grundsätzlich nicht vorgesehen sind. Im Krisen- und Konfliktfall muss also die Zustimmung der betroffenen Staaten gesucht werden.
Seit 1995 ist Wien Sitz des Sekretariats der OSZE. Die OSZE zeichnet sich durch eine umfassende Zusammensetzung aus: Die 57 teilnehmenden Staaten decken die nördliche Hemisphäre von Vancouver bis Wladiwostok ab und umfassen neben allen europäischen Ländern auch die USA, Kanada und die zentralasiatischen Staaten sowie die Mongolei. Weitere Staaten aus Asien und dem Mittelmeerraum sind als Partner eingebunden.