Prof. Christoph Jacobs und Andreas Günther erläuterten den 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die zwölf Thesen.
Prof. Christoph Jacobs und Andreas Günther erläuterten den 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die zwölf Thesen.
Bei einem Studientag am 17. Februar konnten 400 Priester, Diakone und Laien im pastoralen Dienst aus erster Hand die Ergebnisse der großen Seelsorge-Umfrage der Erzdiözese Wien erfahren.
In einer Kirche im Wandel stehen die Seelsorger besonders unter Druck. Daher wollten wir genau hinschauen, wie es unseren Seelsorgenden geht, und herausfinden, wie wir sie am besten unterstützen können.“ So beschreibt Veronika Prüller-Jagenteufel, Pastoralamtsleiterin der Erzdiözese Wien, den Beweggrund, eine umfangreiche Befragung aller 1361 hauptberuflichen Seelsorgenden der Erzdiözese zu beauftragen.
Die Rücklaufquote von 55 Prozent bezeichnete der Paderborner Pastoralpsychologe Prof. Christoph Jacobs vom Studienteam als sehr hoch.
Die wichtigsten Ergebnisse der im Spätherbst 2016 durchgeführten Studie wurden am 17. Februar den Seelsorgenden selbst präsentiert. Über 400 Seelsorgende – Priester, Diakone und Laien im pastoralen Dienst – hatten sich in der Aula der Alten Universität in Wien eingefunden.
Aus der Studie wird u.a. ersichtlich: Die Lebenszufriedenheit der Seelsorger ist groß (7,9 auf einer Skala von 1-10): Größer als im Durchschnitt von 22 befragten deutschen Diözesen (7,6) und auf demselben Niveau wie die österreichische Bevölkerung. Auch die Arbeitszufriedenheit liegt im Durchschnitt. Seelsorger zu sein, ist offensichtlich eine große Motivation für die meisten.
Der Gesundheitszustand der Seelsorgenden liegt im österreichischen Normalbereich. Besonders niedrig ist die Burnout-Gefährdung, die Neigung zum Übergewicht ist gegenüber der Durchschnittsbevölkerung aber leicht erhöht. Nur ein Viertel der Seelsorgenden macht ausreichend Bewegung. Etwa ebenso viele müssten beim Alkoholkonsum aufpassen.
Ein wesentlicher Treiber für die Zufriedenheit, aber auch für Gesundheit und das Engagement ist die Spiritualität. Die Studie zeigt: Je intensiver die Gottesbeziehung, desto besser die meisten Parameter. Relevantestes Element dabei ist das persönliche Gebet. Auch bezüglich Teamarbeit zeigt sich: Je mehr geistliche Elemente die Teamarbeit aufweist, desto größer sind Arbeitszufriedenheit und das Engagement der Teammitglieder.
Die Größe der Pfarren hat hingegen keinen Einfluss auf Lebens- oder Arbeitszufriedenheit oder Stressbelastung. Wichtig sind hingegen die Faktoren vor Ort: Vorgesetzte, Team, Wertschätzung. Die Organisation Kirche wird als mittelmäßig hilfreich empfunden (3,0 auf einer Skala von 1 bis 5). 72 Prozent der Priester empfinden den Zölibat als eine für ihre Seelsorge hilfreiche Lebensweise. Eine Minderheit, 25 Prozent, sehen ihn als Belastung. Gleichzeitig bezeichnen 35 Prozent der verheirateten Diakone und Laien ihre Lebensweise als belastend.
Viele Prämissen des Diözesanen Entwicklungsprozesses APG2.1 werden von einer großen Mehrheit der Seelsorgenden geteilt: Zusammenarbeit in größeren Räumen, Arbeit in Teams, neue Formen von Kirche-Sein, Einsatz der Seelsorgenden nach ihren Charismen... Über die konkrete Durchführung des Prozesses, insbesondere die Zusammenführung von Pfarren zu größeren Einheiten, gibt es aber innerhalb der Seelsorger unterschiedliche Positionen. Eine knappe Mehrheit sieht den Prozessfortgang skeptisch.
In Arbeitsgruppen haben die mehr als 400 anwesenden Seelsorger erste Gedanken und viele Vorschläge erarbeitet – für den Erzbischof, die Diözesanleitung, die Standesvertretungen der Priester, Diakone und Laien. Aber auch unter dem Denkanstoß „Was ich selber tun kann“ gab es viele Anregungen. Diese ersten Reaktionen sowie die Studienergebnisse selbst werden in den kommenden Wochen und Monaten in den Gremien und Dienststellen der Erzdiözese Wien weiter behandelt und als Input dienen. Etwa in den Standesvertretungen der Seelsorgenden, aber auch in der Personalentwicklung, der Priesterbegleitung usw.
Der Studientag in der Akademie der Wissenschaften bot den Seelsorgenden aber nicht nur Auszüge aus den Umfrageergebnissen, dargeboten in 12 Thesen von Mitautor Christoph Jacobs (Paderborn) und Andreas Günther (siehe "Weitere Informationen"). Sondern es gab auch ein gemeinsames Gebet, Austausch untereinander, das „offene Mikrofon“ und eine Podiumsdiskussion mit Andreas Brandstetter, Vorstandschef der UNIQA-Versicherungsgruppe, und Elisabeth Burgis, Personalchefin bei Bipa.
Brandstetter gratulierte der Erzdiözese für „den Mut, eine solche Untersuchung in Auftrag zu geben und sich ihren Ergebnissen zu stellen“. Die Kirche solle sich bewusst sein, dass sie eine „tolle Marke“ sei: „Niemand in Österreich macht eine sinnstiftendere Arbeit als die Kirche. Die Versicherungen kommen allerdings ziemlich bald dahinter.“ Zuletzt sagte er: „Sucht euch Partner! Wir müssen uns alle ständig adaptieren und optimieren, da gibt es so viel Erfahrung. Sie sind sicherlich nicht alleine!“
Elisabeth Burgis griff ein Einzelergebnis auf: „Wenn ein Unternehmen feststellt, dass 18 Prozent der Mitarbeiter in Schonhaltung verharren, würde es als erstes feststellen, was im Einzelfall dahinter steckt – ist es das Wollen oder das Können des Mitarbeiters?“ Dann gelte es, an den Ursachen im Detail zu arbeiten. Personalarbeit hat keine Wirkung, wenn sie nicht gemeinsam mit der Führungsriege gemacht wird: „Das muss Hand in Hand gehen.“
Burgis lobte auch das bereits umfangreiche Begleitungs- und Coaching-Programm der Erzdiözese. Gelebte Feedback-Kultur helfe, Talente zu entdecken und Menschen an der richtigen Stelle einzusetzen. Gute, bunt zusammengesetzte Teams, in denen Menschen einander stärken, seien dafür wichtig.
Berichte über die Seelsorgestudie zum nachhören:
These 1: Die Lebenszufriedenheit in der Erzdiözese Wien ist hoch. Die Arbeitszufriedenheit liegt im Durchschnitt. Die Tätigkeit in der Seelsorge ist bedeutsam und prägt das Leben der Seelsorgenden.
These 2: Wichtig ist nicht die Größe der Pfarre, sondern die „Klimafaktoren vor Ort“: die Vorgesetzten, das Team, die Arbeitsabläufe, vor allem die Wertschätzung. Das Engagement ist durchschnittlich. Wichtigste Kraftquelle ist die Spiritualität.
These 3: Die Freude an der Seelsorge steht in beachtlicher Spannung zu der als problematisch empfundenen Qualität der Organisation. Es gibt gesundes Arbeitsverhalten, aber auch Überengagement, Überforderung und Schonhaltung. Engagement wird gefördert durch Investition in die Spiritualität und die Persönlichkeit.
These 4: Die Spiritualität ist ein ganz wichtiger „Hebel“ für eine gute Zukunft! Eine stärkere geistliche Alltagserfahrung der Gegenwart Gottes hängt zusammen mit Lebensqualität und Engagement. Es gibt unterschiedliche spirituelle Profile, aber auch große Gemeinsamkeiten.
These 5: Die Basisdaten der Persönlichkeit liegen im „Normalbereich“. Die Herausforderung lautet: Stärken stärken!
These 6: Investition in Gesundheit lohnt sich! Burnout ist eher ein geringeres Problem. Eine individuelle und diözesane „Initiative für Gesundheit“ wäre sinnvoll: Es gibt Potential für Gesundheitsförderung.
These 7: Die Lebenskultur hat große Bedeutung für die Pastoral. Das zeigt sich auch im Bereich von Beziehungsgestaltung und der Lebenskultur des Zölibats.
These 8: Die Seelsorgestudie ermöglicht die Erstellung eines Ressourcenprofils für Seelsorgende. Das vierfache Ressourcenprofil „Stärke der Lebensbewältigung“ bietet die Chance für einen passgenaueren Personaleinsatz.
These 9: Spirituelle Ressourcen, „charismenorientierter Personaleinsatz“ und gegenseitige Wertschätzung der Stärken und Schwächen sind Schlüssel für gelingende Entwicklung.
These 10: Die Seelsorgenden sehen die Ziele des Diözesanen Entwicklungsprozesses sowohl auf struktureller als auch auf inhaltlicher Ebene noch lange nicht als erreicht an.
These 11: Priester der Erzdiözese Wien, die ursprünglich aus anderen Ländern kommen, bringen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre Kultur mit. Dies ist für alle eine Herausforderung!
These 12: Es lassen sich drei Haltungen zum Gestaltwandel in der Pastoral in der Erzdiözese Wien herausarbeiten: „idealisierende Reformer“, „liberale Strukturkonservative“ und „klassische Bewahrer“.
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