Martin Luther als Augustinermönch (Lucas Cranach der Ältere, 1520)
Martin Luther als Augustinermönch (Lucas Cranach der Ältere, 1520)
Der Wiener Kirchenhistoriker Univ.-Prof. Thomas Prügl über die Reformation und die katholischen Reformansätze
Univ.-Prof. Thomas Prügl: Ob Luther am 31. Oktober an der Schlosskirche von Wittenberg seine 95 Thesen gegen die zeitgenössische Ablasspraxis aushing oder nicht, lässt sich bis heute nicht zweifelsfrei entscheiden.
Vieles spricht dafür, dass die Szene erst nach Luthers Tod durch Philipp Melanchthon in Umlauf gebracht wurde, der allerdings kein Augenzeuge des Vorgangs sein konnte, da er erst 1518 nach Wittenberg kam. Andere Augenzeugenberichte gibt es nicht, auch Luther selbst hat die Episode nie erwähnt.
Historisch gesichert ist, dass Luther im Oktober 1517 die lateinisch abgefassten Thesen zusammen mit einem Brief an den Erzbischof von Mainz und weitere kirchliche Würdenträger geschickt hat. Da diese nicht darauf reagierten, trat der Reformator an die Öffentlichkeit. Zum einen gab er die Thesen an Kollegen und Freunde weiter und legte sie in den Kirchen Wittenbergs aus.
Kirchentüren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit erfüllten auch die Funktion eines Schwarzen Bretts, wo offizielle Ankündigungen ebenso wie anonymer Protest veröffentlicht wurden.
Somit wären die Thesen an den Türen der Schlosskirche von Wittenberg ein plausibles Szenario gewesen. Zum anderen legte Luther seine Ablasskritik nun auch in der Volkssprache dar, und zwar in seinem mehrmals nachgedruckten "Sermon von Ablass und Gnade" . Vor allem durch diese Schrift erlangte Luther über Nacht Berühmtheit.
Univ.-Prof. Thomas Prügl: Die Thesen waren zunächst ein Frontalangriff auf eine populäre Frömmigkeitspraxis, die gleichzeitig enorme Summen lukrierte. Davon profitierten im übrigen nicht nur der Papst und seine Unternehmungen, sondern auch zahlreiche Ortskirchen und Bankhäuser. Der Geldstrom aus Ablässen riss nach 1517 spürbar ab, und die Menschen spendeten vermehrt in soziale und karitative Institutionen vor Ort.
Daneben stellte Luther mit den Thesen das traditionelle kirchliche Bußverständnis in Frage. Seine Ansichten führten in theologischer Konsequenz schnell zu einer radikalen Ablehnung der päpstlichen Gewalt.
Die Hammerschläge wurden später als Symbol für den furchtlosen Protest Luthers und für seinen unerschrockenen Pragmatismus gesehen, mit der er die alte Ordnung zertrümmerte und den Umbau der Kirche begann.
Univ.-Prof. Thomas Prügl: Luther hatte 1517 keinen Generalplan für eine Reformation, sondern wurde weithin von den Ereignissen getrieben, die er ausgelöst hatte.
Seine Kerneinsicht war, dass der Mensch allein aus dem Glauben, und nicht durch irgendwelche Werke gerechtfertigt wird. Von dieser zentralen Botschaft her wollte er die Glaubenspraxis seiner Zeit neu justieren. Daher wehrte er sich zunächst gegen Bestrebungen, neue Regeln oder liturgische Praktiken einzuführen, da diese wiederum nur eine Werkgerechtigkeit hervorbringen würden.
Als radikale Anhänger der Reformation eigenmächtig Neuerungen begannen, die zu Unruhen führten, waren es die Fürsten und städtischen Obrigkeiten, die verbindliche Regeln und Praktiken aufstellten bzw. von Luther formulieren ließen.
Nach dem Anstoß, den Luther gegeben hatte, bemächtigten sich also bald andere Kräfte der Reformation. Luther selbst wurde nach 1521 mehr und mehr zu einer Randfigur derselben.
Univ.-Prof. Thomas Prügl: Luther wollte zu keiner Zeit eine Kirchenspaltung oder eine alternative Kirche errichten, sondern Missstände, die sich in seinen Augen über Jahrhunderte eingeschlichen hatten, ausmerzen. Als ärgsten Widersacher des Glaubens identifizierte er schon früh das Papsttum, das er mit dem teuflischen Widersacher der Kirche, dem Antichrist, identifizierte.
Diese Papstkritik, verbunden mit der Ablehnung des Weihepriestertums und einem unbedingten Schriftprimat (sola scriptura), stellte die traditionelle Kirchenverfassung radikal in Frage. Dass die Reformation zu einem grundlegenden Riss in der abendländischen Christenheit führte, war den Zeitgenossen schon bald bewusst.
Univ.-Prof. Thomas Prügl: Die schärfsten Gegensätze zwischen dem "alten" und dem "evangelischen" Glauben lagen für den frühen Luther im Gnadenverständnis, in der Lehre von den Sakramenten und im Kirchenbild. Was die Lehre von Gnade und Rechtfertigung betrifft, so näherte man sich schon in den Religionsgesprächen des 16. Jahrhunderts weit aneinander an.
Seit der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die der Lutherische Weltbund mit der Katholischen Kirche 1999 unterzeichnet hat, gibt es einen Konsens in dieser Frage. Annäherungen gab es auch im Verständnis der Eucharistie, weniger hingegen hinsichtlich des Weihepriestertums, das die Katholische Kirche für die Eucharistie als konstitutiv erachtet.
Auch in der Ekklesiologie gibt es dank der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils weitaus größere Übereinstimmungen als in früheren Jahrhunderten.
Nach wie vor ungelöst und umstritten im ökumenischen Dialog ist die Rolle des Papsttums und die Frage nach der Apostolischen Sukzession der Bischöfe.
Luther verdankte seinen Erfolg auch der Tatsache, dass das späte Mittelalter den Ruf nach Reform gleichsam verinnerlicht hatte. Reformforderungen unterschiedlichster Art hatten einer weit verbreiteten Klerus- und Papstkritik Vorschub geleistet.
Eine nicht zu unterschätzende Reformbewegung, die breite Schichten der Gläubigen erreichte, war die sog. "Devotio moderna", die v.a. die private Schriftlesung und eine einfache, aber innige Spiritualität favorisierte und die ein lesekundiges Publikum ansprach.
Luther kam wie die meisten Humanisten aus diesem geistigen Umfeld. Auch Erasmus von Rotterdam, der berühmteste Humanist der Zeit, trug zur Erneuerung der Theologie und des Schriftstudiums bei. Den radikalen Ansichten Luthers konnte er jedoch wenig abgewinnen.
Für die Seelsorgsreform war Spanien Vorreiter. Die spanischen Könige sorgten dafür, dass die Bischöfe v.a. vorbildliche Hirten und Theologen waren. Sie wurden Jahrzehnte später das Modell für das neue Bischofsbild des Konzils von Trient.
Univ.-Prof. Thomas Prügl: In der Kirchengeschichtsschreibung wurde sehr lange Luther als das epochale Ereignis betrachtet, von dem aus alle anderen Entwicklungen bewertet wurden. Erst allmählich rückt man von diesem sehr deutschen Fokus ab und verortet die Reformation in den größeren kulturellen und religiösen Verschiebungen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa.
Zu den wichtigsten Reformimpulsen, die zu einer Erneuerung der katholischen Kirche unabhängig von der Reformation führten, zählten die Ordensgründungen des 16. Jahrhunderts, allen voran die Jesuiten. Die Bewegung des Ignatius von Loyola wurde aber von der Geschichtsschreibung sehr schnell mit der Gegenreformation und gewaltsamen Rekatholisierungen gleichgesetzt, so dass die positiven Ansätze und die Modernisierungen, die die Jesuiten brachten und worin sie auch andere Orden beeinflussten, lange unbemerkt blieben.
Daneben gab es an der päpstlichen Kurie reformaufgeschlossene Gestalten, die mit teils bemerkenswerten Ansätzen und Überzeugungen hervortraten, wie die Kardinäle Gasparo Contarini, Giovanni Morone oder Reginald Pole.
In dem Maße, in dem die Reformation an der Kurie als bedrohlich empfunden wurde, gerieten diese frühen Reformer selbst unter Häresieverdacht, was ihnen nicht selten Kerkerhaft einbrachte.
Das Papsttum war nicht nur Anlass der Reformation, es beschleunigte mit einer selbstgefälligen und kurzsichtigen Haltung auch deren Verbreitung. Die Einberufung eines Konzils, auf dem die theologischen Streitpunkte und angestoßenen Reformen einer Lösung zugeführt werden sollten, wurde von den Päpsten – aus Angst vor Machtverlust – viel zu lange hintertrieben.
Daneben ließ sich das Papsttum in den entscheidenden Jahren der Reformation stärker von einer gegen das Haus Habsburg gerichteten, antikaiserlichen Politik leiten, anstatt sich der religiösen Herausforderungen zu stellen.
Die Pontifikate der Päpste Hadrian VI., Marcellus II. oder Julius III., die als Hoffnungsträger der Reform galten, waren dagegen viel zu kurz, um eine Kursänderung herbeizuführen und der Zeit ihren Stempel aufzudrücken.
Das Konzil von Trient nahm gegenüber den theologischen Anfragen der Reformatoren sehr überlegt und und umfassend Stellung. Seine Dekrete umschrieben die katholische Lehre in deutlicher Abgrenzung von den reformatorischen Neuerungen und wurden damit zum Grundstock für das theologische Selbstverständnis der katholischem Kirche in der Neuzeit.
Das Tridentinum war aber auch ein Reformkonzil, das zwar keine der markanten Änderungen der Reformation sanktionierte (wie etwa Klerikerehe oder Kelchkommunion), dafür aber die Weichen für eine seelsorgerliche, liturgische und auch geistliche Neuausrichtung stellte.
Kirchenhistoriker Univ.-Prof. Thomas Prügl, Katholisch-Theologische Fakultät, Uni Wien.
„Umbrüche & Aufbrüche“ lautet das
Semester-Thema der „Theologischen Kurse“. Ort: Stephansplatz 3, Wien 1.
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29. 3., 18.30-21 Uhr: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ – Vom Thesenanschlag zum Augsburger Religionsfrieden, mit Mag. Michael Simmer, Evangelische Jugend Niederösterreich.
5. 4., 18.30-21 Uhr: „Die Reformation und die Katholische Reform. Akteure – Akzente – Ergebnisse“, mit Univ.-Prof. Dr. Thomas Prügl, Universität Wien.
19. 4., 18.30-21 Uhr: „Eigen-sinnig oder marktförmig? Aufbruch aus der ständigen Selbstoptimierung zur Freundschaft mit sich selbst“, mit Sr. Dr. Melanie Wolfers SDS.
26. 4., 18.30-21 Uhr: „Frauen der Reformationszeit – Impulse für die Zukunft“, mit Kirsten Beuth, Evangelische Akademie.
27. 4., 18.30-21 Uhr: „Vom Dialog zur Kooperation. Chancen und Risken des Pluralismus der Religionen“, mit Prof. Dr. Christoph Schwöbel, Universität Tübingen.
3. 5., 18.30-21 Uhr: „Die Bedeutung der Renaissance und Reformation für die Moderne. Ein philosophischer Streit“, mit
ao. Univ.-Prof. Mag. DDr. Johann Schelkshorn, Universität Wien.
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