Margit Appel argumentiert zum Bedingungslosen Grundeinkommen.
Margit Appel argumentiert zum Bedingungslosen Grundeinkommen.
Demokratie braucht "Sehkraftverbesserung" und konkrete Schritte gegen soziale Ungleichheit.
Auch wenn das "Bedingungslose Grundeinkommen" (BGE) noch wenig Unterstützer finde, sollte die Politik dieses Konzept auch als demokatiebildende Maßnahme ernsthaft in den Blick nehmen: Das hat die Politologin Margit Appel am Dienstag bei einer Veranstaltung der Katholischen Sozialakademie (ksoe) zur "10. Internationalen Woche für das Grundeinkommen" in Wien dargelegt. Dringend nötig seien heute Maßnahmen, um den sozialen Zusammenhalt zu fördern, der wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken und die Teilhabe der gesamten Gesellschaft - besonders der benachteiligten Gruppen - zu sichern, so die ksoe-Expertin.
Wie oft in Wahlkampfzeiten sei auch derzeit das gesellschaftliche Klima rauer als sonst, so die Wahrnehmung Appels. Für die soziale Sicherheit würden sehr unterschiedliche Signale gegeben: "Einerseits gibt man jenen ein bisschen mehr Pension, die bereits Pensionen bekommen. Zugleich kürzt man anderen die Mindestsicherung und behält Sanktionen für Erwerbslose bei." Möglich werde dies durch die Grundhaltung, "dass man nur dann schreit, wenn man selbst von Verschlechterungen betroffen ist und Anliegen anderer nur wenig wahrnimmt". Aufgabe der Politik sei es daher, die in den Grundrechten verankerte soziale Sicherheit zu garantieren, betonte Appel.
Eine "Sehkraftverbesserung" sei nötig, um die Gefährdung der sozialen Sicherheit als solche zu erkennen, so die Expertin: "Das im 20. Jahrhundert in Fahrt gekommene Projekt der Umverteilung und Gleichheit ist ins Stocken geraten und kehrt sich um. Soziale Ungleichheit und die Konzentration von Vermögen nehmen seit den letzten vergangenen Jahrzehnten wieder zu." Zunehmend trenne sich die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, was auch die Mittelschicht spalte. Ablesbar sei dies auch in Wahlslogans, welche soziale Ungleichheit durch Leistungsideologie legitimieren, etwa durch Positionierung "für Menschen, die früh aufstehen und arbeiten gehen".
Als ein Ergebnis sozialer Ungleichheit bezeichnete die ksoe-Referentin die schwindende Bereitschaft, sich an der Gesellschaft und Politik zu beteiligen. Statt von "Politikverdrossenheit" solle man daher eher von einem Strukturfehler sprechen: Von Ausgrenzung betroffenen Gruppen gingen in geringerem Ausmaß zur Wahlurne und würden in Folge seitens der Parteien als "nicht issue-fähig" angesehen bzw. kaum adressiert. Somit ergebe sich laut Appel die Situation, "dass jene, für die es besonders wichtig wäre, dass es kollektive Interessensvertretung oder Parteien gibt, zu einer geringeren Wahlbeteiligung beitragen".
Auch als Beitrag zur Demokratie sollte daher ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) - das als Rahmen zudem einen gut ausgebauten Sozialstaat benötige - gesehen werden, betonte Appel. Erst durch die Gewährleistung des Selbsterhalts würden Bürger auch als politische Subjekte anerkannt, nicht nur als Erwerbstätige, Steuerzahler oder Konsumenten. "Das Grundeinkommen unterstützt die Menschenrechte und hat auch einen politisierenden Effekt, quasi als 'Demokratie-Dividende', um nicht falschen Gehorsam zu erzwingen", so die Politologin. Damit dieses Instrument mehrheitsfähig werde, benötige die Gesellschaft allerdings Vertrauen, dass alle Menschen gleich viel wert sind. "Gegenseitige Einstufungen wie derzeit wirken dem entgegen", betonte Appel.
Das Bedingungslose Grundeinkommen wird in Europa seit 35 Jahren diskutiert, wie die aktuelle Neuauflage des bereits 1985 vom österreichischen Jesuiten P. Herwig Büchele verfassten Buches "Grundeinkommen ohne Arbeit" zeigt. Eine Europäische Bürgerinitiative, die eine Befassung auf EU-Ebene mit dem Grundeinkommen angestrebt hatte, scheiterte an zu wenig Unterschriften, so Appel zum Zwischenstand der Bemühungen. Neu gegründet habe sich jedoch infolge ein europäisches Netzwerk für das Grundeinkommen, dem alle EU-Mitgliedsstaaten angehören - "auch die postkommunistischen Länder, die Berührungsängste mit der Gleichheit haben", wie Appel betonte.
Katholische Sozialakademie: