Tagung "Leben und Lernen von und mit Flüchtlingen" am 20. September 2017 im Wiener Kardinal-König-Haus.
Tagung "Leben und Lernen von und mit Flüchtlingen" am 20. September 2017 im Wiener Kardinal-König-Haus.
Theologin Polak: Ziel ist es, "positive Narrative" zu entwickeln, um Menschen zu motivieren, sich für Flüchtlinge zu engagieren.
Ein neuer Leitfaden soll dazu beitragen, Menschen für die Flüchtlings- und Integrationshilfe fit zu machen und zum Engagement zu motivieren. Der Leitfaden, der derzeit im Entstehen ist, wird vom Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und der Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary Society" verantwortet. Er basiert auf einer Erhebung unter religiösen und kirchlichen Communities und in privaten und öffentlichen Schulen und deren Erfahrung bei der Flüchtlingshilfe. Vorrangiges Ziel des Leitfadens sei es, "positive Narrative" aufzugreifen, d.h. etwa Geschichten gelungener Integration und positiver Hilfserfahrungen, betonte die Wiener Pastoraltheologin und Initiatorin Regina Polak gegenüber "Kathpress".
"Positive Narrative zu entwickeln heißt nicht, mit Zuckerguss bestehende Probleme abzudecken, sondern es bedeutet, ohne Ressentiment und Hass solche Probleme zur Sprache zu bringen und lösungsorientiert zu denken", so Polak weiter. Tatsächlich gebe es zahlreiche positive Beispiele gelungener und gelingender Flüchtlings- und Integrationshilfe, die es bekanntzumachen gelte. Flucht und Migration sei eine "Jahrhundertaufgabe", die sich "ohne positive Bilder und Visionen von einer gemeinsamen Zukunft" nicht lösen lasse, zeigte sich Polak überzeugt. "Wir müssen wegkommen von unserem defizitorientierten Blick auf Migration", mahnte die Theologin. Ohne eine solche positive Blickumkehr drohe Integration zu einem "technokratischen Expertenprojekt" zu werden und damit letztlich zu scheitern.
Die Bedeutung der Schule für gelingende Integration unterstrich indes gegenüber "Kathpress" die Wiener Professorin für Religionspädagogik Andrea Lehner-Hartmann. Sowohl in der Hochphase der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 als auch in der Folgezeit sei an Schulen und dort speziell im Religionsunterricht viel an positiven Akzenten im Umgang mit und in der Betreuung von Flüchtlingen geschehen. Daher richte sich der geplante Leitfaden nicht zuletzt auch an Lehrer, die "helfen wollen, aber nicht wissen, wie sie das mit ihren Schülerinnen und Schülern gemeinsam angehen sollen", so Lehner-Hartmann.
Polak und Lehner-Hartmann äußerten sich am Rande einer Tagung, die am Mittwoch im Wiener Kardinal-König-Haus zu Ende gegangen ist. Die Tagung stand unter dem Motto "Leben und Lernen von und mit Flüchtlingen" und diente der Vorbereitung des Leitfadens. An der Tagung nahmen u.a. Terezija Stoisits (Flüchtlingsbeauftragte "Die Grünen"), Michael Kuhn (ComECE), Doris Peschke (CCME, Kirchliche Kommission für Migranten), Linda Jones (Caritas Europe), Krzysztof Zadarko (Weihbischof von Koszalin-Kolobrzeg), Niraj Nathwani (EU-Grundrechte-Agentur), Antoine Savary (Referat für Migration und Inneres der Europäischen Kommission) und der EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer (SP) teil.
Niraj Nathwani von der Grundrechte-Agentur der Europäischen Union mit Sitz in Wien zeigte in einem Kurzvortrag am Mittwochnachmittag auf, wie tief das Asylrecht im europäischen Recht verankert ist - auch wenn es einen differenzierten und nicht konsensfähigen Begründungsdiskurs in der Fachliteratur gebe. Tatsächlich nämlich sei das Asylrecht als ein Grundrecht in der EU ein sehr junges Phänomen; rechtsverbindlichen Charakter habe es erst mit den Lissabon-Verträgen bekommen, die die Charta der Grundrechte inklusive Artikel 18 zum Asylrecht in den Rang des EU-Primärrechts erhob.
Weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die späteren UN-Menschenrechtskonventionen enthielten indes Artikel zum Asyl - somit könne man die Geschichte des Asylrechts und seine Implementierung in der Europäischen Union durchaus als "positives Narrativ" bezeichnen, so Nathwani: "Diese Art von Schutz des Asyls gibt es mit dieser Verbindlichkeit nur in der EU".
Positiv wertete der Grundrechts-Experte auch die Integrationsbemühungen auf EU-Ebene. Seit 2004 seien die gemeinsamen Grundprinzipien der Integration in EU in einem gemeinsamen Dokument festgehalten. Zentral sei darin etwa, dass Integration stets ein bidirektionales Geschehen darstelle: Es gebe nie nur Verpflichtungen seitens der Migranten, sondern stets auch Verpflichtungen seitens der Aufnahmegesellschaft, so Nathwani. Und auch in der 2020-Strategie der Europäischen Union, die vornehmlich Jobs und Wirtschaftswachstum betreffe, schlage sich das Integrationsthema nieder.
Antoine Savary betonte in seinem Vortrag, dass Asyl nicht nur eine rechtliche Seite kenne, sondern auch eine "moralische Verpflichtung" darstelle, die aus der Solidarität der Mitgliedsstaaten erwachse. Notwendig sei jedoch die Entwicklung eines "effektiven gemeinsamen europäischen Migrationsprogramms", so der Mitarbeiter des Referats für Migration und Inneres der Europäischen Kommission. Europa brauche kontrollierte Zuwanderung "allein schon aus ökonomischen Gründen" und aufgrund der demografischen Entwicklung.
"Außerdem brauchen wir eine effektive Integrationspolitik, ansonsten verlieren wir die dringend benötigten Migranten wieder". Versäumnisse bei der Integration würden die Union auch finanziell mit viel höheren Folgekosten belasten als nunmehrige gezielte Investitionen in Integrationsprogramme, warnte der Experte.
Kein gutes Haar lässt indes EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer (SP) an der europäischen Asyl- und Integrationspolitik. Im Blick auf diese Themen könne er von "lauter Frustrationserlebnissen" sprechen. Die 2015 ausgebrochene Flüchtlingskrise bezeichnete der Politiker als "europäisches Multiorganversagen". Die Dysfunktionalität der EU im Bereich der Asyl- und Integrationspolitik habe in den letzten Jahren dazu geführt, "dass das EU-Projekt insgesamt Schaden genommen hat", so Weidenholzer, der u.a. bis 2015 Präsident der Volkshilfe Österreich war.
Das Problem bestehe heute darin, "dass wir nicht zu viel, sondern zu wenig Europa haben", brachte es Weidenholzer auf den Punkt. Dazu gehöre etwa das Problem, dass sich die Union nie auf eine gemeinsame Migrationspolitik verständigen konnte und zugleich die Mittel für die Flüchtlingsbetreuung in den Krisenregionen 2015 reduziert hat. Auch das Dublin-II-Verfahren habe sich als Holzweg erwiesen: "Wir, die reichen Ländern, haben ein wenig Zeit gewonnen, mehr nicht." Konkret sprach sich Weidenholzer daher u.a. für die Schaffung "legaler Wege der Einreise" in die Europäische Union ein. Nur so lasse sich langfristig dem Schlepperwesen das Handwerk legen.