Psychiater Gernot Sonneck, Marlies Matejka und Carola Hochhauser beim Pressegespräch in Wien.
Psychiater Gernot Sonneck, Marlies Matejka und Carola Hochhauser beim Pressegespräch in Wien.
50-Jahres-Feier mit Tagung zum Thema Zuhören.
Bereits ein halbes Jahrhundert lang bietet die Telefonseelsorge für Menschen in akuten Krisen und schwierigen Lebenssituationen ein offenes Ohr, Beratung und Begleitung. Einsamkeit, seelische Nöte und Beziehungsprobleme sind die häufigsten Gründe, die kostenfreie Nummer 142 anzurufen, erklärten die beiden Leiterinnen des ökumenischen Projekts in Wien, Marlies Matejka und Carola Hochhauser, am Dienstag, 3. Oktober 2017 in einem Pressegespräch. Für das "24-Stunden-Zuhörangebot" sind derzeit österreichweit 860 geschulte Ehrenamtliche tätig, davon 150 in Wien. Allein in der Bundeshauptstadt verzeichnete man seit Beginn 1,13 Millionen Gespräche, darunter nur im Vorjahr 35.000 Gespräche in 18.000 Stunden, so die beeindruckende Bilanz.
Markant sei in den Jahrzehnten der Anteil von psychischen Problemen gestiegen, von einem Fünftel auf derzeit rund ein Drittel der Anrufe, berichteten die beiden Seelsorgerinnen. "Das Tempo unserer Zeit ist merklich höher geworden. Viele kommen nicht mehr mit", erklärte Matejka. Auch Mobbing oder Probleme mit Arbeitsplatzverlust im Alter ab 50 seien zunehmend Thema, Süchte würden hingegen seltener als früher angesprochen. Die Expertin führte dies darauf zurück, dass in den vergangenen Jahrzehnten im Sozialbereich viele neue Einrichtungen entstanden seien, auf die man nun verweisen könne.
Rückblickend auf die fünf Jahrzehnte hat sich Telefonseelsorge parallel zur Technik weiterentwickelt, vom Vierteltelefon und mit Kosten verbundenen Anrufen in der Anfangsphase hin zur kostenlosen Notrufnummer 142 ab 1998. 2012 wurde die Email-Beratung eingeführt, 2016 der datenverschlüsselte Chat über Smartphone oder PC. "Onlineberatung wird von manchen Menschen in Anspruch genommen, da sie noch anonymer und daher angstfreier ist", berichtete Matejka. Auch in Zukunft wolle man mit der Zeit gehen und plane auch eine Beratung in anderen Sprachen, wofür Mitarbeiter mit entsprechenden Kenntnissen gesucht würden.
Am Telefonhörer in der Beratung tätig sind ausschließlich Ehrenamtliche, die eine einjährige Schulung durchlaufen haben und weiterhin regelmäßig Supervision erhalten. Ihre vier-Stunden-Dienste vollbringen sie "gerne und mit viel Freude", betonte Carola Hochhauser, schließlich sei die Aufgabe eine sehr dankbare: "Die meisten Anrufer sind froh darüber, dass jemand da ist, der einen begleitet. Oft hören wir am Schluss: Danke, dass sie mir zugehört haben." Die Freiwilligen - in Wien sind drei Viertel von ihnen weiblich - seien bewusst als Seelsorger tätig, nicht zuletzt da etliche Anrufe Glaubensfragen oder Glaubenskrisen berührten. Dabei gelte aber: "Wir sollen und wir wollen nicht missionieren."
"Telefonseelsorge kann, was Profis nicht so leicht bieten können", würdigte der Psychiater Gernot Sonneck, ehemaliger Vorstand des Instituts für Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Wien, das gemeinsame Angebot der katholischen und evangelischen Kirche. Gründe dafür seien vor allem die 24-Stunden-Erreichbarkeit wie auch Niederschwelligkeit. Besonders in psychischen Notlagen sei es wichtig, sich den "Kummer von der Seele reden" zu können, da durch die Gefühlsäußerung eine "Spannungsabfuhr" geschehe, erklärte der Mediziner. Krisen könnten auf diese Weise rechtzeitig entschärft werden.
Dass in Österreich die Suizidrate seit 1986 ständig - und sogar in der Wirtschaftskrise nach 2008 - gesunken ist, bezeichnete Sonneck als ein Ergebnis des dichten sozialen Netzes im Land, in dem auch die Telefonseelsorge einen fixen Platz einnehme. Dennoch gab es im Vorjahr täglich mindestens ein Gespräch, bei dem es um Suizidabsicht ging, ergänzte Matejka. Über die Telefonseelsorge geschehe in derartigen Situationen oft bloß die "erste Kontaktaufnahme": Psychotherapie, Krisenintervention oder Lebensberatung wolle man nicht ersetzen, sondern kooperiere eng mit derartigen Einrichtungen.
Ihr 50-jähriges österreichweites Bestehen feiert die Telefonseelsorge mit einer Tagung: Von Freitag bis Sonntag geht es im Wiener Don Bosco Haus um das Thema "Hier hört ein Mensch - Vom Wert des Zuhörens", mit Workshops und Vorträgen u.a. des Soziologen Franz Kolland, der Sozialpädadogin Margret Aull oder des Jesuiten Josef Maureder. Auftakt bildet am Freitag ab 19 Uhr ein Empfang im Wiener Rathaus unter dem Motto "Fest der Dankbarkeit", gemeinsamer Abschluss am Sonntag ein ökumenischer Gottesdienst mit Weihbischof Franz Scharl und Superintendent Hansjörg Lein.
Telefonseelsorge:
www.telefonseelsorge.at