Mit der Beichte hat die Kirche nach Ansicht des Wiener Psychiaters Raphael Bonelli einen "Riesenschatz", um den sie selbst viel zu wenig weiß.
Mit der Beichte hat die Kirche nach Ansicht des Wiener Psychiaters Raphael Bonelli einen "Riesenschatz", um den sie selbst viel zu wenig weiß.
Entschuldigungs-Bitte macht verletzlich, bringt jedoch Beziehung wieder ins Lot.
Mit der Beichte hat die Kirche nach Ansicht des Wiener Psychiaters Raphael Bonelli einen "Riesenschatz", um den sie selbst viel zu wenig weiß: "Das Prinzip hinter dem Beichtgebot, dass jeder etwas falsch macht und somit ein Sünder ist, entlastet den Menschen und holt ihn aus dem Perfektionismuszwang heraus, dem wir heute überall begegnen", erklärte der Neurowissenschaftler und Buchautor am Mittwoch im Interview mit "kathpress". Anlass dazu gab eine von Bonelli geleitete Tagung am Samstag, 5. Mai 2018 über "Schuld und Vergebung" an der Hochschule Heiligenkreuz.
Das Aussprechen und Eingestehen von eigener Schuld sei nachweisbar heilsam, betonte der Psychiater und Psychotherapeut. "Wenn ich um Entschuldigung bitte, mache ich mich verletzlich und vom Gegenüber abhängig. Es tut der Beziehung jedoch wahnsinnig gut, da dabei etwas geradegerichtet wird." Hohen Wert habe auch das ehrliche Reuegefühl, da es Distanz zwischen einem selbst und den eigenen Taten schaffe, somit eine "gewisse Garantie, dass ich nicht mehr rückfällig werden möchte" darstelle und nicht zuletzt dem Opfer das Verzeihen erleichtere.
Beim Beichtsakrament ist nach katholischem Verständnis Gott derjenige, der als Gegenüber um Verzeihung gebeten wird und diese durch den Priester gewährt. Dies kann Therapie nicht leisten, unterstrich Bonelli. Anders als der Beichtpriester, müsse sich der Psychiater oder Therapeut zudem in der Schuld-Frage völlig zurückhalten mit Bewertungen, denn "die therapeutische Praxis ist moralfreie Zone", so der Experte. "Unprofessionell" wäre auch das Exkulpieren - "wenn man dem Patienten sagt: Sie konnten ja nicht anders" - sowie der Kausalrückschluss - "wenn man den Eltern, der Gesellschaft oder der Kirche die Schuld für das eigene Versagen zuschiebt".
Dabei ist das Schuld-Problem heute hochaktuell, wie der Psychiater erklärte: "Wir haben die Kompetenz verloren, mit eigener Schuld umzugehen." Innere "Dogmen" wie "Ich darf keine Fehler machen, sonst bin ich nicht mehr liebenswert", das narzisstische "Fehler zugeben ist Scheitern" oder "Der Schwächere muss sich entschuldigen" seien weit verbreitet, bis hin zur Haltung "Sünden gibt es nicht", zu der die Psychiatrie selbst Vorschub geleistet habe. Bonelli: "Sigmund Freud kannte das Schuldgefühl nur als pathologische Form und Funktionsstörung - da er dem Mensch keine Freiheit und somit keine Verantwortung zuerkannte. Viele Therapeuten glauben bis heute, der Mensch sei nicht schuldfähig, und wollen daher Schuldgefühle einfach ausreden."
Vielmehr sei das Schuldbewusstsein jedoch eine sinnvolle "Alarmanlage, die anzeigt, was los ist" und Gewissensbisse ein "Zeichen psychischer Gesundheit", sagte der Leiter des Wiener Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP), der auch an der Sigmund-Freud-Privatuniversität lehrt. Werde Schuld verdrängt, verschwinde sie nicht, sondern es werde bloß ein "innerer Scheinfrieden" hergestellt, der weiteres Verdrängen nach sich ziehe. Das mache den Menschen unfrei, beziehungsunfähig und verbittert, zudem komme das Verborgene immer irgendwann ohnehin ans Licht. Ein weit besserer Umgang mit dem "Schmerz" des Schuldgefühls sei, ihn danach zu überprüfen, ob er Vernunft und der "inneren Wahrheit" standhalte.
Diese "innere Wahrheit" beschrieb der Psychiater als ein von der Psychologie zunehmend anerkanntes Lebensprinzip jedes Menschen, das sowohl die Selbst- wie auch die Arterhaltung umfasst und somit die Fähigkeit für den richtigen Umgang mit sich und den anderen bezeichnet. Immanuel Kant habe es als "moralisches Gesetz in mir" und Viktor Frankl als "unbewussten Gott" bezeichnet, ähnlich wie auch das Zweite Vatikanische Konzil - in "Gaudium et spes" - von einem Gesetz im Menschen spreche, das er sich selbst nicht gegeben habe. "Im Grunde sind das die Zehn Gebote. So divers die Patienten sind, jeder hat das Gefühl für das Böse - zumindest dann, wenn ihm selbst Unrecht geschieht", so Bonelli.
Erst wenn der Mensch selbst für seine Entscheidungen und Taten - auch die schlechten bzw. misslungenen - Verantwortung übernimmt, nehme er das Steuer in die Hand, so der Wiener Psychiater. "Erst gelungene Integration der eigenen Schuld ermöglicht geglücktes Leben." Auf dem Weg dorthin seien Beichte und Psychotherapie zwei nicht konkurrierende, sondern ergänzende Angebote. "Das innere Gesetz und die schuldhafte Handlung kann ich in der Therapie gut herausarbeiten, doch selbst wenn der Patient Reuegefühle hat, kann in diesem Rahmen keine Vergebung stattfinden. Das Beste wäre daher die Kooperation."