„In den Gängen“ richtet den Blick auf Menschen am Rande, über die normalerweise kein großes Kino gemacht wird.
„In den Gängen“ richtet den Blick auf Menschen am Rande, über die normalerweise kein großes Kino gemacht wird.
Der Film läuft aktuell in ausgewählten Programmkinos.
Ein Großmarkt in der ostdeutschen Provinz ist der Schauplatz des poetischen Films "In den Gängen" von Regisseur Thomas Stuber. Der schüchterne Christian (Franz Rogowski) beginnt hier als Lagerarbeiter und Stapelfahrer und verliebt sich in Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung. „In den Gängen“ richtet den Blick auf Menschen am Rande, über die normalerweise kein großes Kino gemacht wird.
Dennoch gelingt es Regisseur Thomas Stuber die großen menschlichen Themen wie Liebe, Freundschaft, Tod im Mikrokosmos Großmarkt eindrucksvoll durchzuspielen. Der Film wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Preis der Ökumenischen Jury auf der Berlinale 2018. "Wenn das Leben ein Supermarkt ist, dann ist das, was wir brauchen, nicht in den Regalen zu finden, sondern 'Zwischen den Gängen'.
Künstlerisch überzeugend erzählt der Film, was es heißt: Selig, die reinen Herzens sind (Matthäus 5)“, heißt es in der Begründung der Jury für den Film-Preis.
erzdiözese-wien.at fragte die Praktische Theologin Viera Pirker von der Uni Wien, was „In den Gängen“ sehenswert macht.
Frau Pirker, wie beurteilen Sie den Film?
Viera Pirker: Mit einem fulminanten Einstieg zu den Klängen von „an der schönen blauen Donau“ à la Stanley Kubrick nimmt uns Regisseur Thomas Stuber in ein neues Universum mit: 2018 geht die Odyssee nicht in den Weltraum, sondern in die Gänge eines Hochregallagers, in dem Menschen miteinander arbeiten und menschlich bleiben in der Überfülle der Warenwelt. Wir erfahren fast nichts über ihre Geschichten, über ihr woher und wohin. Es wird deutlich, dass das „Woher“ keine großen Erfolge verzeichnet und ein „wohin“ im Leben für diese Menschen nicht mehr vorgesehen ist. Sie sind gewissermaßen gestrandet unter der Fototapete mit Palmenstrand im Aufenthaltsraum, sie begegnen sich dort mit Wohlwollen, Witz und Menschlichkeit und kommen sich behutsam nicht zu nah.
Viera Pirker: Hier entwickelt sich ein langsamer und stiller, sehr wahrhafter Film, der einen Einblick öffnet in den Alltag und das Miteinander der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Großhandelsmarkt im Osten Deutschlands, in dem sich eben keine Liebesgeschichte, sondern eine ganz zurückhaltende Annäherung entwickelt. Die Schauspieler sind hervorragend besetzt - Franz Rogowski vollzieht in der männlichen Hauptrolle des Christian, fast stumm und ziemlich unbeholfen, eine unglaubliche schauspielerische Leistung, die ihm den Deutschen Filmpreis eingebracht hat. Sandra Hüller verleiht der Marion vom Süßwarenregal schalkhafte Präsenz, und Peter Kurth als Bruno ist der bärbeißige Chef der Getränkeabteilung, der Christian zeigt, wie die Welt „in den Gängen“ funktioniert. In weiteren Hauptrollen: die Fahrgeräte des Marktes, Gabelstapler und Ameisen, die ein erstaunliches Eigenleben entwickeln. Der oftmals überraschende Soundtrack polarisiert und interpretiert das Geschehen auf der Leinwand.
Viera Pirker: Die Ökumenische Jury hat bei der Berlinale 2018 diesen Film ausgezeichnet. Ich kann diesen Preis unbedingt nachvollziehen. Denn „im den Gängen“ ist ein hervorragend fotografierter, ästhetisch durchkomponierter und bestechend entschiedener Film, der die Frage nach dem Menschsein heute ganz genau verfolgt. Doch die Menschen finden in diesem Film nicht, was sie brauchen, sie pflegen zwar einen starken Zusammenhalt im Wissen, dass es keinen anderen Ort gibt, aber sie entwickeln keine weiterführende Idee. Der Film sensibilisiert für soziale und menschliche Werte, denn die Mitarbeiter halten die sozialen Aspekte innerhalb des Alltags in der durchökonomisierten Welt des Großmarkts sehr hoch.
Ich habe bei diesem Film jedoch sicherlich nicht an die Bergpredigt Jesu gedacht, die einen Hoffnungsstrahl aussendet, der in diesem Film in einer Neonröhre verflackert. Sondern an Chancen und Möglichkeiten in einer Gesellschaft, die so stark geschichtet ist wie die deutsche. Wieviel Gefühle sind erlaubt, was bringt das gemeinsame Gefüge in Gefahr, wie wahrt man den angemessenen Abstand und behält sich einen liebevollen Blick? Das Programmkino-Publikum schaut „in den Gängen“ in eine andere Welt, doch diese andere Welt schaut nicht zurück.