Vorsichtig optimistisch hat sich Kurt Scholz, der frühere Präsident des Wiener Stadtschulrates und nunmehr Mitglied u.a. der Klasnic-Opferschutzkommission, zum gesellschaftlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch geäußert.
Vorsichtig optimistisch hat sich Kurt Scholz, der frühere Präsident des Wiener Stadtschulrates und nunmehr Mitglied u.a. der Klasnic-Opferschutzkommission, zum gesellschaftlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch geäußert.
Neues Bewusstsein in Staat und Kirche nach Jahrzehnten des Wegschauens oder Nicht-wahrhaben-Wollens.
Vorsichtig optimistisch hat sich Kurt Scholz, der frühere Präsident des Wiener Stadtschulrates und nunmehr Mitglied u.a. der Klasnic-Opferschutzkommission, zum gesellschaftlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch geäußert: Das Gesetz des Schweigens sei einem neuen Bewusstsein und einer gesunkenen Toleranzschwelle für sexualisierte Gewalt gewichen, parallel zu großen Fortschritten in Aufarbeitung und Prävention, so seine Einschätzung in der Tageszeitung "Die Presse" am Mittwoch, 20. Juni 2018. Der "Paradigmenwechsel" reiche mittlerweile weit über die Kirche und die kommunalen Heime hinaus.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit, hätten in den vergangenen Jahren eine Reihe von Einrichtungen glaubwürdige Modelle zur Vermeidung sexualisierter Gewalt geschaffen, zog Scholz Zwischenbilanz. Dazu zählten auch die teils umfangreichen Studien, die kirchliche Institutionen wie etwa die Caritas beauftragt hätten, sowie die in intensiven internen Dialogen erstellten Maßnahmenkataloge zur Verhinderung von Missbrauch. Als äußeres Zeichen des Wandels hob der Experte für Missbrauchs-Aufarbeitung die "mutige Entschuldigung" hervor, die das Präsidium des Nationalrates, Kardinal Christoph Schönborn und alle politischen Parteien im Parlament im Vorjahr ausgesprochen hatten.
Auch bei den Großorganisationen wie den Sportverbänden hätte nun ein unübersehbarer "Nachhol- und Nachdenkprozess" eingesetzt, beobachtete Scholz. Dass der nationale Skiverband ÖSV nach anfänglich reflexartiger Zurückweisung von Missbrauchsvorwürfen nun auf die Erfahrungen der Klasnic-Kommission zurückgreife, sei ein "richtiger Schritt" und beende "Jahrzehnte des Wegschauens und Nicht-wahrhaben-Wollens".
Freilich sei der Rückblick in die Vergangenheit "erschütternd", betonte der ehrenamtliche Vorsitzende des Zukunftsfonds und des Internationalen Mauthausen-Beirats. Kommunale und kirchliche Betreuungseinrichtungen seien ganz offensichtlich für pädophil Veranlagte anziehend gewesen. "Ähnlich wie potenzielle Brandstifter feuernahe Berufe wählen, versprachen sich Männer in früher weitgehend geschlossenen Anstalten mit ausgeprägter hierarchischer Macht die Erfüllung latenter Wünsche."
Es dürfe keinen Generalverdacht für die bis in den 1970er-Jahren tätigen Erzieher, Geistliche, Ordensschwestern und Lehrer geben, hob Scholz hervor. Die meisten von ihnen hätten zwar dem autoritären und strengen Zeitgeist entsprochen, seien dabei aber korrekt geblieben. Dennoch gab es handgreifliche Disziplinierungen oder sexuelle Übergriffe, gegen die öffentlicher Protest in der Logik der Arbeitgeber als "Nestbeschmutzung" verstanden wurden. Scholz: "Dieses Versagen trug massiv zur Vertuschung und zum Verschweigen von Missbrauchsfällen bei."
Die Eltern hätten laut dem früheren Stadtschulratspräsidenten angesichts der Übermacht der Institutionen die "entwürdigende Rolle, zu ahnen oder zu wissen, aber aus Hilfslosigkeit stumm zu bleiben" zugeteilt bekommen. Als "psychische Kompensation" habe dabei womöglich die Hoffnung auf Bildungskarriere des Kindes gedient. "Der soziale Aufstieg war wichtig. Sein Opfer war die Kinderseele." So habe der Schritt in eine öffentliche oder kirchennahe Institution für viele den "Beginn eines Martyriums, gegen das die staatlichen Stellen keine Abhilfe schafften" bedeutet.
Durchaus sei das Versagen der staatlichen Aufsicht als "Mittäterschaft" zu bezeichnen, so die Einschätzung. Bei in Heimen untergebrachten Kindern aus hoffnungslos zerrütteten Familienverhältnissen galt: "Man hatte die Kinder eingewiesen und seine Pflicht getan. Fortan sollte Ruhe herrschen." Kritik der zuständigen Aufsichtseinrichtungen an der Behandlung der Kinder habe es augenscheinlich nicht gegeben.
Hätten sich heute auch die Erziehungsvorstellungen gewandelt, so sei dennoch gerade in Phasen eines "Nie wieder!" nichts gefährlicher "als die Illusion, es endgültig geschafft zu haben", mahnte Scholz. Auch wenn tendenziell flachere Hierarchien heute die Wahrscheinlichkeit sexualisierter Gewalt verringerten, seien Institutionen weiterhin nicht von Rückfällen gefeit, denn das menschliche Triebleben bleibe mächtig. "Die Aufgabe, an der Humanisierung unserer Welt mitzuwirken, bleibt auch heute niemandem erspart. Sie liegt vor uns", so der Experte der Klasnic-Kommission.