Michael Kuhn ist stellvertretender Generalsekretär der COMECE, der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Union.
Michael Kuhn ist stellvertretender Generalsekretär der COMECE, der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Union.
Gespräch mit Staatssekretärin Edtstadler laut COMECE-Vizegeneralsekretär Kuhn "in herzlicher und offener Atmosphäre".
Die christlichen Kirchen in der Europäischen Union haben am Montag, 23. Juli 2018 bei einem Spitzengespräch mit der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft wesentliche Themen der Europapolitik besprochen. Ein ökumenische Delegation traf dafür mit Staatssekretärin Karoline Edtstadler in Wien zusammen, die in der Ratspräsidentschaft für die zivilgesellschaftlichen Körperschaften zuständig ist. Dabei ging es um die Bereiche Subsidiarität/Solidarität, Brexit, EU-Sozialpolitik, Asyl/Migration, Westbalkan-Integration und Klimapolitik. Im "Kathpress"-Interview sagte der Stellvertretende Generalsekretär der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE), Michael Kuhn, es sei ein "Gespräch in herzlicher und offener Atmosphäre" gewesen.
Von den sechs Teilnehmern kamen zwei aus der katholischen Kirche (COMECE und Österreichische Bischofskonferenz), zwei aus der evangelischen Kirche und zwei aus der orthodoxen Kirche, teils als Delegierte der KEK (Dachverband der Kirchen der Reformation und des orthodoxen Ostens). Bereits seit Jahren finden regelmäßig Treffen der Kirchen mit der jeweils amtierenden EU-Ratspräsidentschaft statt. Sie seien Ausdruck des in den Europäischen Verträgen verankerten und regelmäßigen Dialogs, den die EU mit den Kirchen und Religionen führt, so Kuhn.
Ausgangspunkt für die Vorbereitung der Kirchen auf das Gespräch sei die im Juni verabschiedete Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz zum Ratsvorsitz gewesen, führte Kuhn aus. Danach sei ein 20-seitiges, von COMECE und KEK gemeinsam erarbeitetes Arbeitspapier mit dem Titel "Österreichischer Vorsitz im Rat der EU - Überlegungen und Empfehlungen der christlichen Kirchen in Europa" erstellt worden.
Darin wird beim Punkt Subsidiarität/Solidarität die Sorge über ein Überhandnehmen des Rechtsinstruments der Verordnungen geäußert. Der EU-Ratsvorsitz sollte deshalb bereit sein, den Ansatz der Kommission in Frage zu stellen, wenn er der Meinung sei, "dass es keine ausreichenden Gründe gibt, sich für ein höheres Harmonisierungsniveau zu entscheiden". Eine stärkere Berücksichtigung von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit könne auch zur Erreichung des von der österreichischen Präsidentschaft des öfteren erwähnten und wichtigen Ziels der "Vereinfachung" beitragen.
Gleichzeitig setzten sich die Kirchen in Europa allerdings dafür ein, Subsidiarität und Solidarität "in einer spannungsvollen, konstruktiven Balance zu halten". Dies gelte auch für die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen und ebenso zur Zukunft der Regional- und Kohäsionspolitik, denn "als Europäische Union tragen die Staaten und Gesellschaften auch gemeinsame und gegenseitige Verantwortung", heißt es im Arbeitspapier.
Beim Thema Brexit wird besonders die Notwendigkeit von Anstrengungen zur Verhinderung einer harten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland betont: "Eine sichtbare Grenze, die die gemeinsame Errungenschaft der Versöhnung und des Friedens gefährdet und Bürger auf beiden Seiten wieder entzweit, gilt es unbedingt zu verhindern."
Dem Thema EU-Sozialpolitik schenken die Kirchen insbesondere Aufmerksamkeit, weil über die 2017 in Göteborg beschlossene "Europäische Säule sozialer Rechte" auch europäische Mindeststandards zur Vergütung und Dauer der Elternzeit, Vaterschaftsurlaub und insbesondere der Pflegezeit für Familien in Europa erreicht werden sollten. Die Kirchen appellieren aber auch an die österreichische Ratspräsidentschaft, die Konditionen für eine gerechtere Besteuerung in Europa zu schaffen und Fortschritte in den Verhandlungen zu einer gemeinsamen Körperschafts-Bemessungsgrundlage im Rat zu erzielen. Angepeilt wird von den Kirchen aber auch ein EU-"Konvent für ein Soziales Europa".
In den vier Seiten umfassenden Kirchen-Vorschlägen zur Asyl- und Migrationspolitik geht es u.a. um das große Problem, dass sämtliche bisherigen Beschlüsse immer von einem "Mischmasch aus Asyl und Migration" gekennzeichnet seien, wie sich Kuhn im "kathpress"-Gespräch ausdrückte. Während zumindest an einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem gearbeitet werde, bleibe die Suche nach Instrumenten zur Steuerung der Migration aus. Dabei sei "allen klar, dass Europa Migration braucht", so der kirchliche EU-Experte.
In diesem Bereich präsentierte die Kirchendelegation gegenüber Staatssekretärin Edtstadler interessante Vorschläge, etwa jenen einer "zirkularen Migration". Man sollte damit legale Kanäle auch für gering qualifizierte Arbeitskräfte öffnen, die den Bedürfnissen der Zielländer entsprechen. Kritik wird an der Kriminalisierung von Migranten geäußert und demgegenüber die uneingeschränkte Achtung ihrer Grundrechte sowie ihre humane Behandlung bei Rückführungsmaßnahmen gefordert. Erinnert wird an den Grundsatz der Nichtzurückweisung von Personen, die internationalen Schutz benötigen.
Die Frage der Westbalkan-Integration habe im Gespräch mit Edtstadler breiten Raum eingenommen, sagte Kuhn. Einig seien sich Kirchen und Staatssekretärin gewesen, dass möglichst früh klar werden müsse, was angestrebt wird - Vollmitgliedschaft oder besonderer Status. Seitens eines orthodoxen Vertreters sei auf den Attraktivitätsverlust der EU-Mitgliedschaft in einigen Regionen hingewiesen worden. "In das Vakuum springen andere politische Player ein. Erwähnt wurde das Engagement der Saudis in Bosnien", berichtete der Brüsseler Experte.
Thema sei zudem die Klimastrategie gewesen, nicht zuletzt weil Kirchen und kirchliche Hilfswerke stark in den bevorstehenden Klimagipfel COP24 in Kattowitz eingebunden seien. Laut Kuhn erwarten die Kirchen eine weiteren Stärkung der EU-Führung in den UN-Klimaverhandlungen und eine Führungsrolle der Ratspräsidentschaft bei der Vorbereitung eines EU-Beitrags zum Klimagipfel. Es brauche jetzt eine konkrete Umsetzung des Pariser Abkommens anhand fairer Regeln sowie Unterstützung der Drittländer, die von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind, um einer klimawechselbedingten Migration vorzubeugen.
Die fünf weiteren Teilnehmer des Treffens am Montagvormittag waren neben Michael Kuhn der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, der zur griechisch-orientalischen Metropolis von Austria gehörende Geistliche Athanasius Buk, der österreichische evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker, der Vizepräsident des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Bischof Andrej Cilerdzic sowie der Exekutivsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Pfarrer Sören Lenz.