Dreimal täglich wird in der Hauskapelle gebetet
Dreimal täglich wird in der Hauskapelle gebetet
Die Franziskusgemeinschaft in Pinkafeld lebt nach den Idealen der christlichen Urgemeinde. Die 15 „Geschwister“ leben, beten und arbeiten miteinander und teilen alles.
Monika Fischer hat sich auf den Weg ins Burgenland gemacht, um zu erfahren, wie das funktionieren kann.
Es ist ein herrlicher Herbsttag. Die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel, die Wiesen sind grün, das Laub der Bäume hat sich da und dort schon gelb oder rot gefärbt. Äpfel leuchten zwischen den Blättern.
Das kleine Städtchen Pinkafeld lasse ich hinter mir und folge den Kreuzwegstationen hinauf auf den Kalvarienberg. Ein barockes Kirchlein steht hier, umrahmt von einem niedrigen Vierkanthof.
„Herzlich Willkommen bei der Franziskusgemeinschaft!“, ruft mir ein Mann zu und eilt mir mit schnellen Schritten und ausgebreiteten Armen entgegen. Er trägt feste Schuhe, Knickerbocker und eine Strickweste, ein Stirnband hält seine weißen Haare zusammen.
Fritz Giglinger, oder Bruder Fritz, wie er genannt wird, ist 83 Jahre alt und hat die Franziskusgemeinschaft im August 1981 mitgegründet.
Acht Frauen und Männer waren sie damals, die sich – geführt vom Heiligen Geist, wie sie sagen – in Steinabrückl bei Wiener Neustadt zusammenschlossen, um gemeinsam zu leben, zu beten, zu arbeiten und alles zu teilen.
Am Kalvarienberg in Pinkafeld fanden sie den Ort, an dem sie ihre Vision in der Wirklichkeit erproben konnten. „Die Narren am Berg“ hat man sie damals genannt.
Rund 40 Jahre später leben 15 „Geschwister“ im sogenannten Familienkloster, das die Gemeinschaft nach und nach errichtet hat.
Bruder Fritz führt mich in den von Licht und Schatten durchzeichneten Innenhof. Eine mehr als 100 Jahre alte Linde streckt ihre Zweige über uns aus. In einer Ecke liegen, fein säuberlich aufgeschichtet, Kürbisse in vielen Formen und Farben, orange, gelb, grün gemustert, rund, lang, klein und groß.
Wir setzen uns an einen Tisch und bekommen Gesellschaft von Schwester Andrea und Bruder Franz. Die Krankenschwester und der Bauer haben einander in der Franziskusgemeinschaft kennengelernt, sich verliebt, geheiratet und hier ihre drei Kinder großgezogen. Familien bewohnen im Vierkanthof größere Einheiten, vergleichbar mit einem Reihenhaus. Einzelpersonen stehen Wohnungen oder Zimmer mit Kochmöglichkeit zur Verfügung.
Bruder Franz schenkt selbstgemachten Apfelsaft aus. Soweit es möglich ist, versorgt sich die Franziskusgemeinschaft selbst, sagt er: „Am Acker bauen wir Weizen, Roggen, Erdäpfel und Klee an, im Garten Gemüse und Blumen. Wir haben viele Obstbäume und betreuen Gärten in der Umgebung. Dann haben wir noch eine Kuh, zwei Schweine, Hasen, Hühner und Enten, die die Schnecken fressen.“
Was die Gemeinschaft nicht selbst braucht, wird verkauft, ebenso wie einige handwerkliche Produkte, die die Geschwister herstellen. Von den Einnahmen wird die Ausbildung der Kinder finanziert und alles gekauft, was nicht selbst produziert werden kann.
Bruder Fritz hat vor längerer Zeit ausgerechnet, dass die Gemeinschaft pro Person und Tag nur einen Euro ausgibt. Das Geld, das übrig bleibt, bekommen soziale Projekte, von Transnistrien bis in den Kongo oder nach Costa Rica.
„Eine Grunderkenntnis unseres Lebens ist, dass auch in einer kleinen Gemeinschaft große Kraft steckt“, sagt Bruder Fritz, „und dass man doch irgendwie nach dem Evangelium leben kann. Es ist ein gutes Leben und alle, die herkommen, sagen: Ihr habt hier ein Paradies.“
Glockengeläut schallt über den Innenhof und ruft zum Mittagsgebet. Auch aus der Umgebung kommen einige Menschen in die Hauskapelle, um mitten am Tag zu beten.
Das Gebet ist neben der Lebens-, Arbeits- und Gütergemeinschaft einer der vier Grundpfeiler der Franziskusgemeinschaft, sagt Bruder Fritz. „Ohne das gemeinsame Beten hätte es die Gemeinschaft schon zerrissen. Denn wir haben natürlich auch unsere Probleme im Miteinander. Das Gebet fordert uns heraus, untereinander im Frieden zu sein.“
Nach dem Mittagsgebet essen alle zusammen im Speisesaal, der sich genau unter der Kapelle befindet. Den Kochdienst teilen sich die Schwestern und Brüder, wie auch alle anderen Arbeiten. Alle 14 Tage setzen sie sich zusammen und sprechen über Anliegen, Probleme und Wünsche.
Das Leben in Gemeinschaft verlangt jedem und jeder Einzelnen viel ab. „Die Herausfoderung ist, den anderen so anzunehmen und zu akzeptieren wie er ist“, sagt Schwester Andrea, „die anderen halten mir einen Spiegel vor, das gibt einem genug auf und hilft mir, im Miteinander barmherzig zu sein, so wie die anderen mir gegenüber diese Barmherzigkeit an den Tag legen müssen, weil ich ja auch meine Macken und Kanten hab‘.“
Gemeinsam können sie mehr erreichen, das ist den Schwestern und Brüdern der Franziskusgemeinschaft klar. „Wir könnten als Familie nie so viele unserer Ideale umsetzen wie hier in der Gemeinschaft – eben weitgehend als Selbstversorger und nach dem Evangelium zu leben, ein Kontrast zur Gesellschaft zu sein“, meint Franz.
Die Geschwister haben miteinander und jede und jeder für sich herausgefunden, was es braucht, damit eine solche Gebets-, Lebens-, Arbeits- und Gütergemeinschaft funktionieren kann.
„Man braucht wahrscheinlich schon eine gemeinsame geistliche Basis, sonst wird es nicht länger funktionieren“, glaubt Bruder Franz, „und man muss sich einfügen können und kann sich nicht nur selbst verwirklichen. Das fällt in der heutigen Zeit den meisten am schwersten.“
Für Gründungsmitglied Bruder Fritz war „dieser Jesus von Nazareth“ immer Mittelpunkt: „Heute als – fast – alter Mann habe ich entdeckt: Zu diesem Jesus zu gehören, mit all meinen Fehlern und auch manchen Begabungen, ist für mich alles geworden.“
Die Liebe ist entscheidend, meint er – und Schwester Andrea sagt: „Ich finde es sehr spannend, bereichernd und beflügelnd dieses scheinbar tolle System zu verlassen und in eine ganz andere Freiheit hineinzugehen. Aber die erlebt man eben nur, wenn man es wagt.“
Die Reportage über die Franziskusgemeinschaft Pinkafeld können Sie im radio klassik Stephansdom-podcast unter radioklassik.at/was-passiert-wenn-wir-teilen/ nachhören.
Die Franziskusgemeinschaft lebt im Familienkloster auf dem Kalvarienberg bei Pinkafeld
Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. ... Jedem wurde ... so viel zugeteilt, wie er nötig hatte. (Apg 4,32-37)
Das Gebet hält die Gemeinschaft zusammen, sagen Bruder Fritz, Schwester Andrea und Bruder Franz
Am Kalvarienberg 5
7423 Pinkafeld
Tel:++ 43 / 33 57 / 42487
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at