Mag. Dr. Johann Weißensteiner ist Leiter des Diözesanarchivs der Erzdiözese Wien
Mag. Dr. Johann Weißensteiner ist Leiter des Diözesanarchivs der Erzdiözese Wien
Unter den vielen alten ehrwürdigen Diözesen Europas gehört unsere Erzdiözese Wien zu den jüngeren. Es dauert Jahrhunderte, bis Wien eine eigenständige Diözese wird. Gemeinsam mit Diözesanarchivar Johann Weißensteiner machen wir einen Blick in die Geschichte und gehen nach der Frage nach, warum die päpstliche Bulle zur Errichtung der Wiener Diözese mit dem Jahr 1468 datiert ist.
Vor 550 Jahren, am 18. Jänner 1469, wurde unsere Diözese errichtet. Wenn wir uns jedoch die Bulle von Papst Paul II. zur Erhebung Wiens zum Bistum näher anschauen und die Datierung aus dem Lateinischen übersetzen, so heißt es darin: „Gegeben zu Rom bei St. Peter im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1468 am 18. Jänner unseres Pontifikates im fünften“.
Alles ein Irrtum und das Diözesanjubiläum war schon im vergangenen Jahr? „Nein“, sagt der Wiener Diözesanarchivar Johann Weißensteiner im Gespräch mit dem SONNTAG, „die päpstliche Kanzlei verwendet im 15. Jahrhundert für die Datierung den sogenannten ‚Annunziationsstil‘.
Nach dieser Zeitrechnung ist der Jahresanfang nicht der 1. Jänner, sondern das Fest Mariä Verkündigung am 25. März. In Rom gehen die Berater des Papstes davon aus, dass mit der Empfängnis Jesu Christi und damit seiner Menschwerdung eine neue Epoche begonnen hat.“
Alles klar – nach unserem heutigen Verständnis handelt es sich tatsächlich um den 18. Jänner 1469. Aber warum dauert es solange, bis Wien eine eigenständige Diözese wird? Wir begeben uns auf historische Spurensuche.
Schon in der Zeit des Römischen Reiches leben auf dem Gebiet des heutigen Österreich Christen. Nach dem Zerfall der römischen Herrschaft im österreichischen Bereich 476/488 bricht die römische Kirchenverfassung zusammen.
Es gibt weiterhin kirchliche Stützpunkte, aber es dauert bis ins 8. Jahrhundert, bis wieder eine kirchliche Ordnung hergestellt wird. Der Heilige Bonifatius ordnet 739 die bayrische Kirche auf päpstliche Weisung und mit Zustimmung des Bayernherzogs neu und gliedert das Herzogtum Bayern in vier Diözesen – Regensburg, Freising, Salzburg und Passau. Vor allem Salzburg und Passau bestimmen von da an die kirchliche Struktur Österreichs.
Zwischen Passau und Salzburg wird 830 eine Grenzziehung vorgenommen. Salzburg erhält die Steiermark bis zum Fluss Piesting im heutigen Vikariat Unter dem Wienerwald.
„Das Bistum Passau dehnt im neunten Jahrhundert seine Diözesangrenzen bis auf die Mark östlich der Enns aus“, berichtet Johann Weißensteiner, Leiter unseres Diözesanarchivs.
„Im 10. Jahrhundert erfolgt mit dem Einfall der Ungarn ein großer Rückschlag in der Kolonisierung und Christianisierung. Nach der Schlacht am Lechfeld 955 und dem Zurückdrängen der Ungarn werden die früheren diözesanen Strukturen wieder reaktiviert.
Es entsteht die Mark der Babenberger, das Waldviertel wird kolonisiert, die Diözesangrenze von Passau wird bis zu den Flüssen Thaya, March und Leitha verschoben. Ganz Oberösterreich und weite Teile von Niederösterreich sind nun Bestandteil vom Passau.“
Und der Wiener Diözesanarchivar hat einmal ausgerechnet: „Wenn ich von Passau nach Stopfenreuth fahren möchte, sind es ungefähr 430 Kilometer. Wenn man sich die mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse vorstellt, dauert es wahnsinnig lang, dass der Bischof auch in den Osten seiner Diözese kommt.“
Ab 1200 gibt es immer wieder Versuche, in Wien ein eigenes Bistum zu errichten. Der Babenberger Leopold VI. und auch der Passauer Bischof Manegold von Berg schreiben an Papst Innozenz III.: „Die Diözese ist so groß, es soll in Wien ein Tochterbistum errichtet werden.“
Die Konsequenz: Laut Kirchenverfassung wird dadurch Passau zur Kirchenprovinz mit einem Metropoliten an der Spitze und wird aus der Kirchenprovinz Salzburg herausgenommen. Dagegen wehrt sich naturgemäß Salzburg.
Ein nächstes Projekt beginnt in den Jahren um 1240 unter dem Babenbergerherzog Friedrich II. Er verhandelt mit dem römisch-deutschen Kaiser Friedrich II. über die Erhebung Wiens zu einem Bistum und sogar über die Erhöhung des Herzogtums Österreichs zu einem Königreich.
Papst Innozenz IV. erlaubt 1245 dem Herzog, die Gebeine des Märtyrers Koloman von Melk an den Ort zu übertragen, an dem ein Bischofssitz errichtet werden soll, nämlich nach Wien. „Koloman soll der Patron des neuen Bistums werden.
Die wertvolle Reliquie braucht jedoch eine kostbare Fassung“, erzählt Johann Weißensteiner. „Es gibt eine begründete Hypothese, dass die sogenannte Virgilkapelle am Stephansplatz eigentlich als Grabstätte für den heiligen Koloman gedacht gewesen ist.
Wie so oft in der Geschichte werden große Pläne geschmiedet und dann kommt ein plötzlicher Schicksalsschlag. Herzog Friedrich II. stirbt 1246 in der Schlacht an der Leitha. So ist das ganze Projekt gescheitert.“
Ob 100 Jahre später der Habsburgerherzog Rudolf IV., der Stifter, ein Bistum geplant hat, hält der Historiker Weißensteiner für umstritten, „auf jeden Fall baut er die Stephanskirche groß aus.“ Die Pläne für eine Bistumsgründung liegen nach dem Tod Rudolfs für ein weiteres Jahrhundert auf Eis.
Erst Kaiser Friedrich III. erreicht bei seiner Romreise 1468 beim Papst, dass in Wien ein Bistum errichtet wird. Die Kirche St. Stephan wird zur Bischofskirche.
Betrachtet man die Bistumserrichtungsbulle näher, bemerkt man, dass nicht unbedingt der pastorale Aspekt im Vordergrund steht, was am Beginn des 13. Jahrhundert eine Rolle spielt.
Sondern es geht, wie Weißensteiner erklärt, um eine Rangerhöhung der Stadt. „Es gibt eine blühende Universität, viele Männer- und Frauenklöster, viele Kirchen. Das Volk ist fromm, der König und Kaiser treu zum Apostolischen Stuhl. Das ist aber damals keine Selbstständigkeit. Es gibt sogar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert Gegenpäpste.
Eine Frage steht stets im Raum: Wer hat in der Kirche wirklich letztlich das Sagen: die Gemeinschaft der Kardinäle und Bischöfe oder der Papst allein?
Friedrich hat sich für den Papst entschieden und muss dafür belohnt werden.“
Mit 1. Juni 1722 hat Papst Innozenz XIII. Wien zur Erzdiözese erhoben. Da müsse man sich sicher auch die allgemeine weltgeschichtliche Situation anschauen, sagt Weißensteiner.
„Das Ende des 17. Jahrhunderts ist eindeutig bestimmt durch die Abwehr der Osmanen durch die Europäer. Höhepunkt war sicher die Belagerung von Wien im Jahr 1683 und die erfolgreiche Entsatzschlacht und die Offensive des Kaisers und seiner Verbündeten weiter nach Ungarn hinein. Ungarn wird weitgehend von den Türken befreit und die damalige Habsburgermonarchie schiebt seine Grenzen bis weit ins heutige Serbien.
Wien gilt damals als Bollwerk des Abendlandes und kirchlicher Mittelpunkt. Dem Papst ist es deshalb ein Anliegen, dem Kaiser eine große Auszeichnung zu erweisen und erhebt Wien zur Erzdiözese.“
Damit wird eine Kirchenprovinz Wien geschaffen. Der Erzbischof ist zugleich auch Metropolit, dazu braucht es ein Suffraganbistum. „Man verfällt auf die Lösung, dass im Jahr 1469 unter Friedrich III. auch ein zweites Bistum errichtet worden ist: Wiener Neustadt. Jetzt wird die Diözese Wiener Neustadt der Kirchenprovinz Wien unterstellt“, sagt Weißensteiner.
Die Diözese Wien hat bisher nur das Stadtgebiet und die Umlandgemeinden hinaus bis Mödling und Perchtoldsdorf umfasst. Das Diözesangebiet muss etwas vergrößert werden.
„Da verhandelt man mit der Diözese Passau, die endlich bereit ist, Pfarren im Viertel Unter dem Wienerwald abzutreten aber nur bis zur Piesting, denn südlich davon gehört alles zur Erzdiözese Salzburg. Die Pfarren wie Baden, Gumpoldskirchen, Pottenstein oder Mariazell in Österreich (heutiges Klein-Mariazell) mit dem Kloster werden 1729 der Erzdiözese Wien zugewiesen.“
In der päpstlichen bulle steht eindeutig in der letzten Zeile: Anno Incarnationis Domini Millesimoquadringentesimosexagesimooctavo – im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1468
die Zeitung der Erzdiözese Wien
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