Kardinal Schönborn im Interview mit dem deutschen Magazin "Stern".
Kardinal Schönborn im Interview mit dem deutschen Magazin "Stern".
Wiener Erzbischof in "Stern"-Interview über Aufarbeitung und Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche. "Es wird ein schmerzlicher und langer Prozess“.
Kardinal Christoph Schönborn dämpft die Erwartungen an das weltweite Bischofstreffen zum Missbrauchsskandal im Februar im Vatikan. "Man darf keine Wunder erwarten", sagte der Wiener Erzbischof in einem Interview für die aktuelle Ausgabe des deutschen Wochenmagazins "Stern", Erscheinungsdatum: Donnerstag, 31. Jänner 2019.
"Es wird ein schmerzlicher und langer Prozess." Dass Papst Franziskus darauf setze, einen gemeinsamen Weg zu finden, bezeichnete der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz jedoch als klug. Die Missbrauchskrise sei "zweifellos die größte Herausforderung" für den Papst und die ganze Kirche. Franziskus' Sensibilität bei diesen Fragen beschrieb Kardinal Schönborn als "hellwach".
Bei der Missbrauchskrise gehe es zuerst ums Handeln, und zwar "im Sinn der Opfer", hob der Kardinal hervor. Wichtigste Lektion für die Kirche aus dem Missbrauchsskandal sei, dass sie für die Opfer Empathie empfinden müsse. "Die Ehre eines Kardinals darf nie über dem Schutz der Betroffenen stehen. Das muss die Leitlinie sein", hielt Schönborn auch unter Verweis auf die "Causa Groer" fest. In der Vergangenheit sei es vielen in der Kirche darum gegangen, die Institution zu schützen: "Das war ein großer Fehler."
Dass er seinen Amtsvorgänger, Kardinal Hans Hermann Groer (1919-2003), zunächst gegen Missbrauchsvorwürfe verteidigt hatte, nannte Schönborn rückblickend "naiv". Er habe als Theologieprofessor in der Schweiz in der Zeit vor seiner Bestellung zum Weihbischof von Wien und auch danach nichts von den Gerüchten in der Diözese gehört. "Deshalb reagierte ich im ersten Moment fassungslos", berichtete der Wiener Erzbischof über die Zeit unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Groer.
Auch der damalige Papst Johannes Paul II. (1978-2005) sei "zu lauter" gewesen, um sich vorstellen zu können, was da passiert war. "Es ging nicht in seinen Kopf, dass überhaupt jemand so etwas verbricht, geschweige denn ein Priester", beschrieb Kardinal Schönborn die damaligen "intensiven Gespräche" mit dem Papst über Groer.
"1995 haben uns die Ereignisse überrumpelt, wir waren hilflos. Es dauerte viel zu lange, bis wir erkannten, dass die schonungslose Wahrheit der einzige Weg ist", fasste der Kardinal zusammen: "Dabei ist Jesus in dieser Frage ganz klar, er sagte: Die Wahrheit wird euch frei machen."
In Österreich sei die Kirche seither beim Umgang mit Missbrauch in der Kirche "einen Weg gegangen, der inzwischen als Vorbild gilt". Der Wiener Erzbischof bekannte, dass auch die direkte Auseinandersetzung mit den Täter ihn vor allem in den Jahren 2010 bis 2012 "seelisch enorm belastet" habe, und zwar "weil einige absolut uneinsichtig sind". "Wir haben mit Beschuldigten gesprochen, gefragt, was passiert ist, und es wurde nur abgeblockt. Verleugnung des eigenen Täterverhaltens", so der Kardinal.
Zu den weiteren Themen des "Stern"-Interviews zählte neben der gleichgeschlechtlichen Ehe und dem Umgang mit Flüchtlingen auch der Pflichtzölibat für Priester. Er stelle sich selbst im Gebet oft die Frage, ob der Zölibat wirklich so wichtig sei, sagte Schönborn. "Ich bekomme keine eindeutige Antwort. Jesus sagt aber ganz klar: Fürchtet euch nicht! Er betonte in seinen Reden, dass man Traditionen nicht höher stellen sollte als seinen zentralen Satz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."
Persönlich finde er es "berührend, dass sich in einer Zeit, in der die Ehe an Strahlkraft verliert, gleichgeschlechtlich empfindende und lebende Paare diese Höchstform der Partnerschaft wünschen", sagte Schönborn zur Öffnung des Rechtsinstituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. "Sie empfinden den Sinn für eine Verbindlichkeit in der Partnerschaft. Indirekt ist es ein Zeugnis, dass die Ehe ein wichtiges Gut ist." Seine Überzeugung sei dennoch, dass die "Ehe für Mann und Frau ist - jene Beziehung, aus der neues Leben entstehen kann", betonte der Kardinal.
Wenn eine parlamentarische Mehrheit für eine zivile Ehe gleichgeschlechtlicher Partner sei, "soll der Staat es bitte so machen", meinte Schönborn, er akzeptiere das: "Aber man sollte uns als Kirche zubilligen, dass wir es anders definieren und uns zu Wort melden, wenn wir glauben, dass der Weg für die ganze Gesellschaft nicht gut ist. Das muss auch möglich sein. Die Kirche hat keine Deutungshoheit - aber es gilt Deutungsfreiheit, wir dürfen und sollen mitreden."
In der Flüchtlingsfrage bereite es ihm Sorge, dass in der aktuellen Debatte der humanitäre Aspekt ganz in den Hintergrund trete, so Kardinal Schönborn. "Wir müssen daran erinnern, dass es sich um Menschen handelt." Die meisten hätten ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. "Aber ich stimme mit Bundeskanzler Sebastian Kurz überein, dass es eines Ordnungsrahmens bedarf", fügte der Wiener Erzbischof hinzu.
Themen wie Integration und Abschiebung dürften gleichzeitig nicht getrennt betrachtet werden. "Wenn Familien sich in die Gesellschaft einfügen, sollen sie hierbleiben dürfen", sagte der Kardinal.
Abschließend äußerte sich Kardinal Schönborn in dem Interview auch erneut zu seinen eigenen Glaubenszweifeln als junger Theologiestudent und Ordensmann im Deutschland der 1960er Jahr. Er habe den Wortführer der damaligen Studentenbewegung, Rudi Dutschke, zwar persönlich nie getroffen, dessen Umfeld aber gut gekannt. "Und mein Herz schlug links. Ich habe damals viel gezweifelt, habe vieles Theologische infrage gestellt", erinnerte sich der heutige Kardinal.
Insgesamt habe er einige Krisen in der Kirche erlebt. Zurückgeführt habe ihn die Erfahrung mit sozialer Not, so Kardinal Schönborn. "Mein Weg zurück führte über die Begegnung mit den Armen. Das ist mein Grundraster bis heute", sagte der Wiener Erzbischof und verwies auf die Wichtigkeit des Jesusworts "Was ihr dem Geringsten tut, das habt ihr mir getan". Ihn, so Schönborn, "interessiert nicht, wer welches Parteibuch hat oder welche Konfession, sondern wie jemand mit den Bedürftigen umgeht".