Kardinal Schönborn in der Diskussion mit Frau Wagner.
Kardinal Schönborn in der Diskussion mit Frau Wagner.
Doris Wagner im "Standard"-Interview über ihr im Bayrischen Rundfunk geführtes und anschließend u.a. im ORF gesendetes Gespräch mit dem Wiener Erzbischof. Es ist "bedrückend", wenn sich selbst Kardinal Schönborn innerhalb des Systems Kirche machtlos fühlt.
Die bewegende Begegnung zwischen dem Missbrauchsopfer Doris Wagner und Kardinal Christoph Schönborn, zieht weiter Kreise: Als "unglaublich mutig und vor allem wahnsinnig ehrlich" würdigte Wagner in einem Interview in der Tageszeitung "Der Standard", Ausgabe, Samstag, 16. Februar 2019 den Wiener Erzbischof.
Ihr sei "kein Fall bekannt, in dem ein Bischof seines Ranges diese Ohnmacht und diese Verfahrenheit so öffentlich zugibt", so Wagner. Das mehrstündige, in einem Studio des Bayrischen Rundfunks geführte Gespräch war zunächst vom Bayrischen Fernsehen und schließlich in der vergangenen Woche vom ORF in einer dreiviertelstündigen Dokumentation ausgestrahlt worden. Es hatte zahlreiche, überwiegend positive Reaktionen zur Folge.
Nach dem Gespräch und zugleich vor dem in der kommenden Woche in Rom stattfindenden Anti-Missbrauchs-Gipfel bleibe bei ihr - bei aller Anerkennung für den Wiener Erzbischof - nun eine gewisse Ratlosigkeit, so Wagner: "Was passiert, wenn jemand wie Kardinal Schönborn, mit seinem Einfluss, in Rom bestens vernetzt, nur hoffen kann?" Das genau sei letztlich das "Bedrückende" an dem Gespräch gewesen, so die frühere Ordensfrau der Gemeinschaft "Das Werk": "dieses große Fragezeichen am Ende": "Das ist gar kein Vorwurf an ihn, da wird einfach das System sichtbar, dem selbst er sich zu beugen hat, die problematische Verfassung, dass selbst jemand wie Kardinal Schönborn, ein hochangesehener Kardinal, sich innerhalb dieses Systems machtlos fühlen muss."
In Rom, wo in der kommenden Woche kirchlicherseits auf Einladung von Papst Franziskus über Missbrauch und Prävention von Missbrauch in der Kirche beraten wird, müsse sich die Kirche daher laut Wagner vor allem der Frage stellen: "Welche Struktur haben wir, dass selbst ranghohe Bischöfe nicht durchdringen?" Dennoch bleibe sie skeptisch und erwarte sich von dem Bischofstreffen "nicht viel" - hingegen freue sich sich persönlich auf Begegnungen mit Opferorganisationen, die zugleich die "Vision einer anderen, menschenfreundlicheren Kirche" transportieren würden.
Problematisch seien laut Wagner gerade auch in Deutschland und Österreich aufstrebende geistliche Gemeinschaften, die nicht nur "einen in seiner Simplizität und Überspanntheit theologisch gar nicht haltbaren Katholizismus" lebten, sondern zugleich auch Frauenrechte innerhalb dieser Gemeinschaften "ganz radikal infrage stellen". So wichtig diese Gemeinschaften für die Kirche seien, um junge Leute anzusprechen, so gefährlich werde es immer dann, wenn diese Gemeinschaften sich gegen "selbständiges Denken, kritisches Nachfragen und Bedenken von außerhalb" immunisierten und dies einfach wegwischten.
Im Anschluss an die Ausstrahlung des Gesprächs mit Kardinal Schönborn, in dem der Wiener Erzbischof Wagner zugesagt hatte, ihr und ihrer Geschichte Glauben zu schenken, hatte die Gemeinschaft "Das Werk" in einer Presseaussendung die Beschuldigung Wagners zurückgewiesen - mit dem Argument, es habe sich um eine "einvernehmliche sexuelle Beziehung" zwischen ihr und einem Geistlichen der Gemeinschaft gehandelt - von Vergewaltigung könne daher keine Rede sein. Darauf antwortete Wagner nun in der online erschienenen Langfassung des "Standard"-Interviews mit dem Hinweis: "Wenn ein Mensch vor Angst zittert, verstummt und in Schockstarre verfällt, muss man doch merken, dass das nichts mit Einvernehmlichkeit zu tun hat - und wenn es jemand tatsächlich nicht merkt, wäre es noch erschütternder, dass so jemand zum Priester geweiht wird."