Wie haben die Dinge gemeinsam angeschaut. Das war ein Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema.
Wie haben die Dinge gemeinsam angeschaut. Das war ein Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema.
Wortlaut des "Kathpress"-Interviews mit Kardinal Christoph Schönborn nach Ende des vatikanischen Anti-Missbrauchsgipfels.
Der von Papst Franziskus einberufene Kinderschutzgipfel brachte einen "Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema." Das betonte Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag im folgenden Interview mit "Kathpress"
Kathpress: Herr Kardinal, wie haben Sie den Gipfel erlebt?
Kardinal Schönborn: Ich habe noch nie eine so offene, direkte, ehrliche, unverschlüsselte Begegnung erlebt wie in diesen vier Tagen. Es wurde zur Sache gesprochen, die Dinge lagen auf dem Tisch. Man hatte nicht den Eindruck, dass irgendetwas nicht gesagt werden darf. Ich habe Synodalität erlebt; wir haben die Dinge gemeinsam angeschaut. Das war ein Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema.
Kathpress: Heißt "offen und ehrlich", dass es auch Kontroversen gab?
Schönborn: Das starke Erlebnis war die große Einmütigkeit. Es gab keine Parteien, wie man das bei anderen Themen schon erlebt hat, sondern eine große gemeinsame Betroffenheit durch das direkte Hören und Sehen von Betroffenen. Dass die Opfer im Mittelpunkt stehen, beginnt jetzt wirklich ein gemeinsames Bewusstsein zu werden.
Kathpress: Wenn Sie jetzt den Menschen in Wien sagen sollen, was der Gipfel in Rom konkret erbracht hat: Welche drei Punkte nennen Sie?
Schönborn: Der erste und wichtigste ist das Bewusstsein: Dieses Thema betrifft uns alle. Keiner kann sagen, das gehe ihn oder seine Ortskirche nichts an. Das war das Anliegen des Papstes. Deswegen gab er allen vorher die Hausaufgabe: Ihr müsst mit Betroffenen sprechen.
Kathpress: Aber für Österreich wäre das doch nicht nötig gewesen, oder?
Schönborn: Für Österreich ist es nicht notwendig, weil wir seit 1995 einen langen, schmerzlichen, aber - so glaube ich - auch vorbildlichen Weg gegangen sind. Österreich gilt als eines der Länder, das schon einen langen Weg gegangen ist, aber genug ist das deswegen sicher noch nicht.
Kathpress: Ein weiteres Ergebnis, das Sie mitbringen?
Schönborn: Die Verbindlichkeit gemeinsamen Handelns. Es geht dem Papst um weltweit verbindliche Standards. Aber wir brauchen nicht nur diese Standards, sondern auch deren Überprüfung: Hält man sich daran? Das Dritte ist eines der Hauptthemen dieser Tage, die Prävention. Was wird getan, dass so etwas künftig nicht mehr geschieht.
Kathpress: Was muss sich bei der Überprüfung der Standards konkret verbessern?
Schönborn: Es geht auch darum, uns auf nationaler Ebene zu helfen und uns gegenseitig auf die Finger zu schauen. Wir haben das in Österreich versucht und praktizieren das auch. Es wird sicher in den nächsten Tagen von Rom konkrete Vorschläge geben.
Kathpress: Sie haben zuletzt resigniert davon berichtet, dass Amtsbrüder im Süden das Problem des Missbrauchs nicht so wichtig nehmen. Sehen Sie die Chance, dass es eine solche Haltung jetzt nicht mehr gibt?
Schönborn: Ob es sie nicht mehr gibt, wage ich nicht zu behaupten. Die Negationshaltung ist weit verbreitet, gelegentlich auch bei uns. Ich war in einer mehrheitlich afrikanischen Sprachgruppe und erstaunt, wie ernsthaft das Thema dort angegangen wird. Es gab dort wichtige Hinweise auf kulturelle Unterschiede. Wo etwa die Christen in der Minderheit sind gegenüber Muslimen, da muss die Kirche in der Art der Veröffentlichung anders handeln, aber sicher nicht in der Behandlung der Fälle. Zu den kulturellen Unterschieden gehört auch, dass afrikanische Bischöfe sagen: Wir haben Traditionen, wie Missbrauch in der Dorfgemeinschaft aufgearbeitet wird, aber diese Traditionen schwinden langsam wegen der Verstädterung und des modernen Lebensstils.
Kathpress: Welche österreichischen Vorgehensweisen oder Regeln zum Umgang mit Missbrauch konnten Sie anderen empfehlen?
Schönborn: In meiner Sprachgruppe habe ich immer wieder auf Rückfragen nach unserer Praxis in Österreich geantwortet. Wir dürfen aber auch nicht so tun, als wären wir die Lehrer der Weltkirche. Wir haben unsere lokale Erfahrung, dürfen uns aber nicht besser vorkommen, nur weil wir früher auf dieses Thema gestoßen wurden - wir haben das ja anfangs nicht freiwillig gemacht.
Kathpress: Was hat umgekehrt der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz gelernt, so dass er sagt: Schau her, darüber sollten wir bei uns auch nachdenken?
Schönborn: (überlegt) Gelernt habe ich einen weiteren Blick auf kulturelle Stärken und Schwächen. Was mich bei den Afrikanern beeindruckt hat, sind Wege, wie man wieder zusammenleben kann. Eine Familie ist betroffen, ein Dorf, es gibt einen Täter, Sanktionen ... Aber wie geht das Leben weiter, wenn die Schuld offengelegt, der Täter klar identifiziert und zur Rechenschaft gezogen ist? Das hat mich nachdenklich gemacht. Das ist ein schwieriges Thema, das nicht dadurch zu lösen ist, indem man sagt: Jetzt seid wieder nett zueinander. Christliches Verzeihen geht nur, wenn es eine wirkliche Aufarbeitung von Schuld gegeben hat, eine echte Einsicht, ein Schuldbekenntnis und eine Wiedergutmachung in irgendeiner Form. Das andere Extrem wäre die Situation: Da ist das Opfer, da ist der Täter - und es geht nichts mehr. Beides sind keine Lösungen. Da können und müssen wir noch lernen.
Kathpress: Konkrete Ideen haben Sie noch nicht dazu?
Schönborn: Nein, wir haben ja nicht das Dorf und die Ältesten, die das auspalavern und einen Weg in die Zukunft finden. In unseren anonymen Gesellschaften ist das illusorisch. Ob das in einer Gemeinde gelingen kann, weiß ich nicht. Das Thema ist ja heikel.
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