Die Caritas warnt vor einem absehbaren Anstieg von Armut.
Die Caritas warnt vor einem absehbaren Anstieg von Armut.
Caritas-Präsident Landau zu Regierungsbeschluss: "Punktuelle Korrekturen" gegenüber Regierungsentwurf vom Jänner nicht ausreichend - Kritik auch von Diakonie, Armutskonferenz und Plattform für Alleinerziehende
"Hier wird Kinder- und Familienarmut verschärft, statt sie zu bekämpfen": Dieses Resümee hat Caritas-Präsident Michael Landau zur von der Regierung am Mittwoch beschlossenen "Mindestsicherung neu" gezogen. Die Caritas-Aussendung am Donnerstag reiht sich in eine neuerliche Welle an Kritik auch durch kirchliche Gruppierungen und die Armutskonferenz ein; bereits die Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf im Rahmen des Begutachtungsverfahrens hatten im Jänner u.a. die Bischofskonferenz und die Caritas zu Nachbesserungsforderungen veranlasst. Die nunmehr vorgelegten "punktuellen Korrekturen" seien jedoch nicht ausreichend, befand Landau. Denn: "Ziel der Mindestsicherungsreform sollte eine Verbesserung für armutsbetroffene Menschen sein."
Im Ministerrat am Mittwoch beschloss die türkisblaue Regierung eine Reform der Mindestsicherung, die künftig Sozialhilfe heißen wird. Nach dem Beschluss des Grundsatzgesetzes, dem die Länder mit ihren Ausführungsgesetzen folgen müssen, gilt bis 1. Juni 2021 eine Übergangsfrist. Die ÖVP-regierten Länder äußerten Zufriedenheit mit dem deklarierten Ziel von Kanzler Sebastian Kurz, Anreize für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu geben und Zuwanderung in "unser Sozialsystem" zu verhindern; die SPÖ-geführten Bundesländer und die Opposition kritisierten mangelnde Einbindung in den Entscheidungsprozess und dessen Ergebnis.
Für Caritas-Präsident Landau ist es zwar "erfreulich", dass bei der "Mindestsicherung neu" in einzelnen Aspekten - etwa bei den Ansprüchen für Menschen mit Behinderung - Nachbesserungen gegenüber dem Begutachtungsentwurf erreicht werden konnten. "Allerdings macht es uns als Caritas sehr betroffen, dass mit den beschlossenen Kürzungen - insbesondere ab dem dritten Kind - ein Anstieg der Kinder- und Familienarmut in Österreich in Kauf genommen wird." Ziel sollte es nach den Worten Landaus "doch bleiben, die Armut der Menschen zu bekämpfen und nicht Menschen, die von Armut betroffen sind, noch weiter an den Rand zu drängen".
Die Caritas warnt vor einem absehbaren Anstieg von Kinderarmut. Mehr als 330.000 Menschen hätten 2017 zumindest einmal eine Leistung aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung erhalten - "rund ein Drittel davon waren Kinder". Ab dem dritten Kind will die Regierung künftig nur fünf Prozent des Ausgangswertes zusätzlich an "Mindestsicherung Neu" zugestehen - 2019 etwa 44 Euro pro Monat. Das mache es "für Familien mit Kindern noch viel schwerer, im ohnehin prekären Alltag zurechtzukommen", gab Landau zu bedenken: "Wer bei der Mindestsicherung für Kinder kürzt, kürzt bei der Zukunftstauglichkeit unserer Gesellschaft insgesamt."
Auch wenn es stimme, dass beim Zusammenleben in einem Haushalt Einsparungseffekte entstehen, ist die vorgesehene Kürzung aus Sicht der Caritas "bedenklich". Das gelte auch dann, wenn man die Familienleistungen des Bundes mit einrechnet. "Mehrkindfamilien, egal ob mit oder ohne Erwerbseinkommen, haben in unserem Land ein erhöhtes Armutsgefährdungsrisiko. Daher plädieren wir dafür, hier alle Familien besser zu stellen - und nicht mit dem Sparstift anzusetzen", so der Caritas-Präsident.
Die Mindestsicherung sei für viele Menschen in Österreich die letzte finanzielle Absicherung, die ihnen der Sozialstaat bietet. "Diese Hilfe muss das Mindeste sichern, unabhängig davon, wie sie benannt wird", erklärte Landau mit Blick auf die neue Bezeichnung "Sozialhilfe". Nun liege ein Grundsatzgesetz vor, das "keine Mindest-, sondern nur Maximalleistungen vorsieht, die von den Ländern beliebig unterschritten werden können", kritisierte der Caritas-Chef.
Auch dass der Anspruch auf die volle Leistungshöhe von den Deutschkenntnissen der Bezieher abhängig gemacht wird, findet keinen Beifall Landaus: "Selbstverständlich ist es sinnvoll, wenn Menschen die Sprache rasch erlernen. Sachleistungen kann man aber nicht essen. Wer nicht weiß, wie er die Miete zahlen soll, dem hilft ein Deutschkurs nicht unmittelbar." Es gehe hier nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch, betonte Landau.
Er appellierte an die Verantwortung der Mitglieder des Nationalrates, wenn es demnächst gilt, der Gesetzesinitiative die Zustimmung zu erteilen. Landau hoffe weiter, "dass im Sozialstaat Österreich die am meisten Benachteiligten in unserer Gesellschaft nicht vergessen werden".
Scharfe Kritik äußerte auch Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich: "Anstatt die Situation jener, die es ohnedies schwer haben, zu verschärfen, wäre es - gerade angesichts der guten wirtschaftlichen und budgetären Situation - jetzt an der Zeit, Österreich armutssicherer zu machen." Moser machte auf "working poor" - also Menschen, die von ihrem Job nicht leben können - als "das große verschwiegene Thema" in der Mindestsicherung aufmerksam. Es gebe viele "Aufstocker". Durch Arbeit verbessere sich nicht immer automatisch die Lebenssituation, wenn es sich um prekäre, schlecht bezahlte oder krankmachende Jobs handle.
Im Blick auf ausländische Mindestsicherungsbezieher sagte Moser, Integration könne "nur auf Basis einer stabilen abgesicherten Existenz gelingen". Sie misslinge, "wenn man nicht mehr weiß, wie man seine Wohnung halten kann oder die eigene Familie ernähren soll". Der Arbeitsqualifizierungsbonus stelle sich bei näherer Betrachtung als "Malus" heraus, so Moser: "Malus deswegen, weil das Mindeste gekürzt wird und dann soll man Deutsch lernen." Nach den bisherigen Mindestsicherungsgesetzen der Länder erhalte man zunächst volle Leistungen und müsse mit Sanktionen rechnen, wenn man sich nicht an die Integrationspflichten hält. "Vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig dem AMS die Mittel für Deutschkurse gekürzt werden, erscheint der Malus doppelt unvernünftig", ärgerte sich die Diakonie-Direktorin.
Auf negative Folgen für ihre Klientel machte die kirchlich getragene Österreichische Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) aufmerksam. Kürzungen bei den Kinderzuschlägen seien fix, der Bonus für Alleinerziehende bleibe weiter unsicher. "Besonders die im vorliegenden Gesetzesentwurf genannte Mehrleistung der Alleinerziehenden wird durch den Bonus als Kannbestimmung lächerlich gemacht", kritisierte ÖPA. Vertreterin Evelyn Martin.
"Ziel muss es doch sein, Existenz und Chancen zu sichern, nicht Leute weiter in den Abgrund zu treiben", kommentierte die Armutskonferenz die "Sozialhilfe" der Regierung. "Die Chancen für tausende Kinder weiter zu verschlechtern, Familien in krankmachende Lebensbedingungen zu treiben und Menschen bis weit in die unteren Mittelschichten großer sozialer Unsicherheit auszusetzen, all das sind nicht die Werte, die uns stark gemacht haben", erinnerte die von zahlreichen NGOs getragene Plattform in einer Aussendung.