Von Trisomie 21 betroffene Menschen sind für die Gesellschaft „ein großer Gewinn“ sagt Neurowissenschaftler Raphael Bonelli.
Von Trisomie 21 betroffene Menschen sind für die Gesellschaft „ein großer Gewinn“ sagt Neurowissenschaftler Raphael Bonelli.
Zur bewussten Zuwendung zu Kindern und Personen mit Trisomie 21 hat der Wiener Psychiater Raphael Bonelli aufgerufen. Der vermehrte Kontakt mit betroffenen Menschen sei für die Gesellschaft "ein großer Gewinn", da man von ihnen "sehr viel lernen kann an Fröhlichkeit, Spontaneität, Authentizität und liebevollem Umgang miteinander".
Anlässlich des internationalen Down-Syndrom-Tags am 21. März hat Raphael Bonelli, der Leiter des Wiener Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP) auf seiner Institutsseite ein Internetvideo veröffentlicht, in dem er einmal mehr betont, dass der vermehrte Kontakt mit von Trisomie 21 betroffenen Menschen für die Gesellschaft „ein großer Gewinn“ sei, da man von ihnen „sehr viel lernen kann an Fröhlichkeit, Spontaneität, Authentizität und liebevollem Umgang miteinander“. Down-Syndrom-Kinder seien auch der Gegenbeweis dafür, „dass wir nicht alle hochbegabt sein müssen“, betonte der Neurowissenschaftler.
Es sei auffällig, dass Menschen mit Trisomie 21 aus dem Straßenbild heute fast verschwunden seien, bemerkte Bonelli. „Auch etliche Betroffenen-Gruppen wurden eingestellt, da es immer weniger Menschen mit Down-Syndrom gibt. Das ist erstaunlich, da die Mütter bei der Erstgeburt immer älter sind und mit dem Alter auch die Wahrscheinlichkeit eines Down-Syndrom-Kindes steigt.“ Bei Unter-25-Jährigen betrage diese Wahrscheinlichkeit weniger als 0,5 Prozent, bei Müttern mit 48 Jahren hingegen bereits 8 Prozent. Dass es statt mehr betroffene Kinder viel weniger gebe als noch vor einigen Jahrzehnten, liege eindeutig daran, dass die meisten von ihnen - der Studie „Eurocat“ zufolge 90 Prozent - bereits vor der Geburt abgetrieben werden.
Krankhaftes Leistungsdenken
Als einen Hauptgrund für diese Entwicklung sah Bonelli ein „krankhaftes“ Leistungsdenken und Perfektionismus in der Gesellschaft. „Wenn man nun schon die Mühe eines Kindes auf sich nimmt, so soll es hochbegabt und hochintelligent sein, es weit bringen“, erklärte der Psychiater den Grundgedanken. Uneigennützig seien die Eltern dabei nicht: Mit der ersehnten Hochbegabung des Kindes wolle man im Grunde angeben und protzen – „und dass man dann sagt: Ein hochintelligentes Kind lässt schließen auf unheimlich intelligente Eltern“.
Diese Denkweise vereinnahme und instrumentalisiere die Kinder bloß für eigene Zwecke, verliere die Menschlichkeit aus den Augen, kritisierte Bonelli. In seiner Praxis beobachte er immer öfter „Helikopter-Eltern, die stets über ihrem Kind schweben und sehen, dass ihm nichts passiert“, oder auch „Curling-Eltern, die ihrem Kind alles aus dem Weg räumen und auf Knien den Boden schrubben, damit es dahingleiten kann“. Beide Erziehungsformen seien „krankhaft“ und schadeten den Kindern.
Ein großes Glück
Eltern von Down-Syndrom-Kindern sind diesen Gefahren laut Bonelli nicht ausgesetzt: Ihre Kinder seien ja „nachweislich nicht hochbegabt“ und zeigten zugleich, dass man dies für ein glückliches Leben auch gar nicht sein müsse. Es sei völlig falsch zu denken, Trisomie 21 stehe einem Glücklichsein im Weg, so die Erfahrung des Experten aus der Begleitung einer Down-Syndrom-Kindergruppe während seiner Studienzeit sowie aus der Freundschaft mit betroffenen Familien. „Solche Menschen sind oft viel glücklicher als die sogenannten Hochintelligenten." Dies stehe auch im Einklang mit Studien, denen zufolge eher die besonders intelligenten Menschen die Unglücklichsten sind.
Manche betroffenen Familien sprächen vom Down-Syndrom sogar als „großes Glück“, berichtete Bonelli: „Eltern sagen, dass ihnen ihr Kind lehrt, besser aufeinander Rücksicht zu nehmen, sich vom verkopften Denken zu befreien und zu verstehen, was es heißt, wenn einer nicht so begabt ist.“ Dass die betroffenen Kinder besondere Bedürfnisse haben, sei dabei allerdings klar. Der 21. März - das Datum des 2006 eingeführten Welttages spielt an auf die Dreifach-Ausstattung des 21. Chromosoms - ist in den Augen des Wiener Psychiaters eine „Erinnerung an die Würde jedes Menschen, egal wie viel Leistung er oder sie bringt“, sowie ein notwendiger Appell zur Solidarität mit Betroffenen.