vlnr.: Christoph Badelt (WIFO), Michael Landau (Caritas) und Judith Pühringer (arbeit plus), Martina Mader (INIGO SALON, sozialökonomischer Betrieb der Caritas) und Werner Liebig (ehemaliger Teilnehmer Caritas step2job)
vlnr.: Christoph Badelt (WIFO), Michael Landau (Caritas) und Judith Pühringer (arbeit plus), Martina Mader (INIGO SALON, sozialökonomischer Betrieb der Caritas) und Werner Liebig (ehemaliger Teilnehmer Caritas step2job)
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sollte oberstes Ziel der Bundesregierung sein, doch die "steht nicht auf der Seite der Schwächsten".
Caritas, das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Netzwerk "arbeit plus" prognostizieren für das kommende Jahr einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenrate.
Caritas-Präsident Michael Landau, "arbeit plus"-Geschäftsführerin Judith Pühringer und WIFO-Leiter Christoph Badelt forderten daher bei einem Pressegespräch in Wien am Dienstag, 30. Mai 2019 anlässlich des "Tags der Arbeitslosen" von der Regierung, für schwierigere Zeiten schon heute eine aktivere Arbeitsmarktpolitik vorzubereiten und dafür budgetäre Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Das Pressegespräch fand im Rahmen der Caritas-Jobmeile statt, deren Angebote rund 2.000 Menschen in Anspruch nahmen.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müsse laut Landau das erste und oberste Ziel der Bundesregierung sein. "Dafür benötigen wir eine Politik an der Seite der Schwächsten und keine, die die Not von Menschen vergrößert", unterstrich der Caritas-Präsident. In den letzten Monaten habe er jedoch den Eindruck gewonnen, "dass die Bundesregierung nicht auf der Seite der Schwächsten unserer Gesellschaft steht". 8,7 Prozent betrug die Erwerbslosenquote Ende 2018. Zum Jahreswechsel waren 355.637 Menschen in Österreich arbeitslos gemeldet. Hinzu kamen 58.299 Personen, die sich in Kursen oder Schulungen befanden.
Konkret sichtbar sei dies etwa an der in der vergangenen Woche beschlossenen Abschaffung der Mindestsicherung geworden. Denn die neu geschaffene Sozialhilfe werde die Not im Land verschärfen und nicht lindern und den Druck auf Betroffene erhöhen, mahnte Landau. Wie die neue Sozialhilfe die Situation Betroffener verändern wird, könne heute noch nicht exakt gesagt werden; sehr wahrscheinlich werde es jedoch "für viele Menschen dramatisch eng" - ebenso wie auch vorhersehbar sei, dass dass vor allem Kinder und Familien die Kürzungen spüren würden. Der Caritas-Präsident appellierte deshalb an den Bundesrat, die Entscheidung über das neue Sozialhilfegesetz zu einer Gewissensentscheidung zu machen und die Zustimmung zu verweigern.
Sorgen bereitet Landau auch die Ankündigung der Regierung, noch heuer das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe reformieren zu wollen. "Mit der Erfahrung der letzten Monate muss das in den Ohren arbeitsloser Menschen wie eine gefährliche Drohung klingen." Es gebe zwar die Zusage der zuständigen Ministerin, in Österreich werde es kein Hartz-IV-Modell wie in Deutschland geben, die ersten Konkretisierungen, die das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben, machten Landau da aber nicht so sicher. Verschlechterungen bei der Notstandshilfe hätten massive soziale Folgen und gesellschaftliche Folgekosten. Er appellierte deshalb an die Regierung, die Notstandshilfe nicht abzuschaffen oder in ein Arbeitslosengeld Neu zu integrieren.
Landau forderte auch eine systematische Senkung der Lohnnebenkosten für Geringverdiener. "Ich bin überzeugt, dass in Österreich nicht nur Unternehmens- und Börsengewinne steigen dürfen, sondern dass das auch in gleicher Weise für die Löhne der Menschen gelten muss - vor allem dann, wenn es um Menschen geht, die sehr wenig verdienen", so Landau. Laut offizieller Statistik gibt es in Österreich derzeit knapp 316.000 Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben und ihre Familien nicht mehr ernähren können.
Lobend äußerte sich Landau zum Schritt der Bundesregierung, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei niedrigen Einkommen zu senken. Doch die Entlastung solle bei der nun anstehenden Steuerreform noch weitergehen. Kritisch sieht die Caritas die Kürzung bei den Mitteln für das AMS.
Zum Thema machte der Präsident auch jene Menschen, die meist keine realistische Chance mehr haben, nachhaltig in den regulären Arbeitsmarkt integriert zu werden. "Als Caritas sind wir überzeugt: Für Menschen, für die ein Wiedereinstieg in die sogenannte normale Arbeitswelt so schnell keine realistische Option ist, brauchen wir so etwas wie einen 'erweiterten Arbeitsmarkt und ein erweitertes Chancenangebot' - ein dauerhaftes, existenzsicherndes Angebot mit Durchlässigkeit zu regulären Jobs."
Landau wünscht sich eine Politik, die den Schicksalen Betroffener stärker Rechnung trage, die Achtsamkeit und Respekt auch in der Sprache finde und die Begrifflichkeiten wie "soziale Hängematte", "Langschläfer" oder "Durchschummler" aus ihrem Wortschatz streicht. Erwerbslose Menschen dürften, so der Präsident, nicht unter Generalverdacht gestellt werden, denn Erwerbslosigkeit sei zuallererst ein strukturelles Problem und in der Regel keine Frage der individuellen Arbeitswilligkeit.
Den Forderungen schloss sich Judith Pühringer, Geschäftsführerin von "arbeit plus", an. Auch ihr Netzwerk gemeinnütziger sozialer Unternehmen registriere eine "besorgniserregende und beispiellose Wende" im Umgang mit Arbeitslosen. "Die Idee unseres Sozialstaats steht auf dem Spiel", warnte auch sie. Statt die Arbeitslosigkeit selbst zu bekämpfen, setze man davon Betroffene unter Druck. Auch Pühringer befürchtet - wie Landau - ein "österreichisches Hartz IV".
Hohe Arbeitslosigkeit sei nicht nur sozial, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht inakzeptabel, betonte WIFO-Leiter Christoph Badelt. Schon für 2020 rechnet er wieder mit einem leichten Anstieg der Beschäftigungslosigkeit. Dagegen halten müsse man vor allem auch mit Bildungs- und Integrationsmaßnahmen. Die Bundesregierung müsse zudem ihren "Weg der Entlastung von Geringverdienern weitergehen", merkte er dahin gehend positiv an.
Mehr Jobperspektiven für Jugendliche, Maßnahmen zur Sicherstellung einer "guten Arbeit, von der man leben kann", sowie menschenwürdige Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitslose: Das fordert die Katholische ArbeitnehmerInnen Bewegung Österreich (KABÖ) zum "Tag der Arbeit" am 1. Mai und zum davor begangenen "Tag der Arbeitslosen" (30. April). Das Problem der Arbeitslosigkeit bestehe weiterhin und erfordere dringend Lösungen von Seiten der Politik und Wirtschaft, mahnte KABÖ-Vorsitzende Anna Wall-Strasser in einer Aussendung vom Dienstag. Sorgen und Ängste von arbeitslosen Menschen müssten "wahr- und ernst genommen werden".
Wall-Strasser kritisierte, dass Arbeitslosen oftmals unberechtigt die Schuld an ihrer Lage zugeschoben werde. "Es wird ihnen mangelnde Arbeitsmotivation unterstellt, und mit mehr Druck auf sie soll Arbeitslosigkeit verhindert werden. Arbeitslosigkeit ist aber ein gesellschaftliches Problem aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen", betonte die KABÖ-Vorsitzende. Nötig seien daher Maßnahmen, die ein Mehr an Arbeitsplätzen, bessere Arbeitsbedingungen und eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit bewirkten. Dort, wo die Nachfrage nach qualifizierten Facharbeitskräften nicht gedeckt wird, müssten die Unternehmen entsprechende Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
Mit Nachdruck wies die KABÖ darauf hin, dass besonders junge Menschen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt benötigten. Jugendarbeitslosigkeit sei ein "Kernproblem der heutigen Gesellschaft", mit kaum unterschätzbaren Folgewirkungen für das gesamte Berufsleben: Die gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen werde erschwert, ihre Befindlichkeit nehme Schaden, und auch noch im späteren Arbeitsleben und bei den ökonomischen Belastungen ließen sich nachteilige Konsequenzen feststellen. "Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit müssen deshalb in unserer Gesellschaft und in der Politik äußerste Priorität haben", forderte Wall-Strasser.
Prekäre Arbeitsverhältnisse machte die KABÖ-Vorsitzende als weiteres Problem in der heutigen Arbeitswelt aus. So seien beispielsweise an Tankstellen, in der Gastronomie oder bei Zustelldiensten oft stundenweise Anstellungen ohne längerfristigen Vertrag üblich, welche für die Betroffenen ihre ohnehin schon prekären Lebensumstände verschärften, berichtete Wall-Strasser aus ihrer früheren Tätigkeit als Betriebsseelsorgerin. "Nicht selten muss das eigene Fahrzeug oder eigene Gerätschaft eingebracht werden ohne Aussicht auf Vergütung für Wartungs- und Reparaturarbeiten. Aber nur eine Arbeit, die für ein existenzsicherndes Auskommen sorgt und in der arbeitsrechtliche Standards eingehalten werden, kann als menschenwürdig bezeichnet werden."
Die "Tag der Arbeit"-Feiern am 1. Mai müssen aus Sicht der KABÖ ein Bekenntnis für eine "gerechte, solidarische und nachhaltige Gesellschaft" sein - schon aus Perspektive der Ursprünge dieses Tages in Chicago, wo Ende des 19. Jahrhunderts Gewerkschafter mit der Forderung nach besseren und würdigeren Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen. Darum gehe es auch heute, so der kirchliche Zusammenschluss, der auch Teil der europa- und weltweiten Christlichen ArbeitnehmerInnen Bewegung ist.
Angesichts der "viel zu hohen" Arbeitslosenzahl von derzeit etwa 360.000 Menschen in Österreich ist es dem Präsidenten des Katholischen Familienverbandes (KFÖ), Alfred Trendl, "unverständlich, warum die vielen möglichen Jobs bei den haushaltsnahen Dienstleistungen nicht durch eine Anstoßförderung gefördert werden". Damit könne ein Boom in diesem Wirtschaftsbereich ausgelöst werden, regte Trendl in einer Aussendung zum Tag der Arbeit am 1. Mai an. Das AMS könnte dafür die Lohnnebenkosten oder eine Lohnförderung in Art des Kombilohns übernehmen. "Den Familien wäre damit geholfen und die vorhandene Arbeit in offizielle, sozialversicherte Dienstverhältnisse übergeführt", erklärte der KFÖ-Präsident.
Aus seiner Sicht wäre dies "eine sinnvolle Weiterentwicklung des vor Jahren eingeführten Dienstleistungsschecks, von der auch Familien profitieren würden". Generell sollte der Tag der Arbeit dazu genutzt werden, auch Familienarbeit und Ehrenamt gesellschaftlich wertzuschätzen, so Trendl. Er kritisierte, dass unter "Arbeit" meist ausschließlich "Erwerbsarbeit" verstanden wird: "Auch Familienarbeit und Ehrenamt bringen eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts und kommt allen zugute." Dabei sei es unerheblich, ob sich Eltern in Liebe um ihre Kinder kümmern, die Freiwillige Feuerwehr bereit steht oder Menschen sich in vielen sozialen Bereichen engagieren.
Dass der Faktor Arbeit durch den Familiensteuer-Bonus Plus für Familien deutlich steuerlich entlastet wurde und durch die kommende Steuerreform weiter sinken wird, ist laut dem hauptberuflich als Steuerberater tätigen Trendl uneingeschränkt zu begrüßen. Das neue, laut Regierung Anfang 2020 in Kraft tretende Einkommensteuergesetz sollte die steuerliche Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter ausbauen, etwa durch die lohnnebenkostenfreie Übernahme von Kinderbetreuungskosten durch den Arbeitgeber.
Die relativ hohe Teilzeitquote in Österreich ist laut dem KFÖ-Präsidenten auf viele unterschiedliche Motive zurückzuführen und ein "Beweis dafür, dass nicht nur Erwerbsarbeit zählt". Es sei "definitiv nicht Aufgabe der Politik, die Menschen hier zu bevormunden" und vorzuschreiben, wie viel jeder und jede Einzelne zu arbeiten habe, nahm Trendl auf die Tatsache Bezug, dass meist freiwillig und aus je unterschiedlichen Motiven in Teilzeit gearbeitet wird.
"Die Teilzeitquote ist ein Zeichen dafür, dass Menschen eben nicht immer Vollzeit erwerbstätig sein wollen", betonte der Familienexperte. Die eigenen Kinder selber zu betreuen sei ein, aber keinesfalls der einzige Anlass für Teilzeit. "Hier sollte nicht aus ideologischen Gründen der Zugang zum gewünschte Beschäftigungsausmaß erschwert werden", so der Appell Trendls.