Aber im Herzen des Evangeliums steht die Liebe, und diese Liebe ist universal. Der Mensch wurde nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Das bedeutet, die Würde aller Menschen ist gleich. Dadurch haben wir eine Verantwortung für alle Menschen.
Aber im Herzen des Evangeliums steht die Liebe, und diese Liebe ist universal. Der Mensch wurde nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Das bedeutet, die Würde aller Menschen ist gleich. Dadurch haben wir eine Verantwortung für alle Menschen.
Die Theologin Rita Perintfalvi forscht über die Rolle von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Derzeit arbeitet sie an einer Gender-Forschungsstelle der Grazer Theologischen Fakultät. Ihr Heimatland ist Ungarn. Gender-Forschung ist dort verboten, und die Theologie noch nicht reif für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Rita Perintfalvi pendelt zwischen Graz und Budapest. Auf dem Weg nach Ungarn macht sie Halt in Wien und ist Gast im radio klassik-Studio.
Wir sprechen zunächst über den Artikel „Ungarn ist verloren“, der vor kurzem in der „Zeit“ erschienen ist. Es geht darin um die Zerschlagung der Demokratie durch die rechtspopulistische Regierung unter Victor Orbán.
Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Wissenschaft, aber auch die Pressefreiheit ist in Ungarn nicht mehr gegeben.
Mit welchen Gefühlen fähren Sie nach Hause? Denken Sie auch, „Ungarn ist verloren“?
Rita Perintfalvi: „Ich will natürlich glauben, dass Ungarn noch nicht ganz verloren ist. Ich bin Theologin, da muss ich immer eine Hoffnung haben. Doch leider kann ich diesen Beobachtungen nur zustimmen.
Die EU-Wahl aber war ein Hoffnungszeichen. Zwei pro-europäische Parteien, die liberale Werte vertreten (Demokratische Koalition und Momentum), haben Stimmen gewonnen. Allerdings nimmt die rechtspopulistische Gesinnung auch in Westeuropa zu. Das zeigen Studien. Die Frage ist, was machen wir mit dieser Herausforderung?“
Wie stehen für Sie die Chancen, in Ungarn Professorin zu werden?
Das ist praktisch nicht möglich, sowohl als Theologin als auch als Genderforscherin. Die Gender-Studien sind seit letztem Jahr an den beiden staatlichen Unis verboten worden. Und die Theologie, die ich in Österreich gelernt habe, kann ich in Ungarn nicht lehren.
Befreiungstheologie oder Feminismus, aber auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das ist alles „viel zu viel“ für Ungarn. Vielleicht kommt einmal die Zeit.
Gibt es Theologie-Professorinnen in Ungarn?
Frauen gibt es nur an einer einzigen Fakultät, an der Sapientia, aber das ist eine Universität für Ordensleute. Frauen wie mich, also Laien, gibt es überhaupt nicht.
Wozu brauchen wir die Gender-Forschung?
Die Gender-Forschung ist wichtig für die Humanwissenschaften, für die Theologie und die Kirche.
Dieses Fach analysiert die Diskriminierung der Frau in der Gesellschaft – aber auch in der Kirche. Die Frage ist auch, wo sind die Männer diskriminiert? Wir finden es ja noch immer komisch, wenn Männer im Kindergarten arbeiten. Weil wir in unserem Kopf diese Bilder haben. Das zeigt, dass wir kulturell geprägt sind. Aber diese Prägungen können sich ändern.
Was halten Sie von dem jüngsten Gender-Dokument des Vatikans?
Positiv finde ich, dass der Vatikan den Dialog mit der Gender-Forschung sucht. Das ist neu. Nicht gut ist, dass das Wort Gender-Ideologie verwendet wird. Denn das ist ein Kampfbegriff. Damit ist gegen Philosophinnen und andere Wissenschaftlerinnen gehetzt worden. In Ost-Mitteleuropa wurden viele bedroht.
Wenn der Vatikan den Dialog sucht, dann braucht es auch eine Sprache des Dialogs.
Warum haben rechte Parteien mit der Gender-Forschung ein Problem?
Die Gender-Forschung stellt kritische Fragen an die Gesellschaft, an das Arbeitsmilieu oder an die Kirchen; und sie strebt nach Veränderung. Veränderung stört immer.
Die Rechtspopulisten haben ja eine ganz alte Vision von Familie. Da kümmern sich die Frauen um die Kinder, aber sie haben keine öffentliche Stimme.
Warum hat sich das Problem gerade in Ungarn zugespitzt?
In den vergangenen Jahren hat eine halbe Million Menschen das Land verlassen. Wir haben große demographische Probleme. Ungarn braucht einfach mehr Kinder. Das brauchen alle Länder in Europa, aber andere haben Einwanderung. Nach Ungarn kommt praktisch niemand.
Die ungarische Regierung will das Problem nicht durch Migration lösen, sondern durch Familienpolitik. Frauen mit 3 oder 4 Kindern bekommen große Steuererleichterung. Das ist ein neues Gesetz.
Frauen sollen also das Bevölkerungsproblem lösen?
Ja, und das ist diskriminierend. Wo bleiben die Väter? Sind sie nicht verantwortlich für den Bestand der Nation? Das ist ein nationalistisches Frauenbild.
Gender-Forschung ist auch von der Vielfalt der Geschlechterrollen überzeugt…
Wenn wir das Leben anschauen, dann gibt es auch homosexuelle Paare oder alleinerziehende Mütter. Sie bekommen in Ungarn keine Steuerermäßigung.
Auch unverheiratete Paare bekommen nichts, obwohl sie Kinder haben! Ein Freund von mir hat ein Roma-Kind adoptiert, er ist aber homosexuell, so wird er nie Ermäßigungen bekommen. Das würde die Gender-Forschung kritisieren, wenn es sie in Ungarn noch gäbe.
Wie sehen Sie die Situation der Kirche in Ungarn?
Nach der Wende gab es eine Blüte der Kirche. Endlich frei! Viele Menschen wollten etwas für die Kirche tun. Aber sie wurden enttäuscht.
Die ungarische Kirche konnte die Fragen der modernen Menschen nicht beantworten. Wir hatten eine ganz veraltete Theologie. Die Öffnung der Kirche für die Moderne, für die Menschenrechte etc. geschah beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). In dieser Zeit aber war in Ungarn die kommunistische Diktatur und das kirchliche Leben nicht erlaubt.
Und jetzt erfahren wir, dass die Kirche in Ungarn die rechtspopulistische Strömung ganz stark unterstützt. Warum? Weil eben der Öffnungsprozess nie stattgefunden hat.
Ist die Kirche in Ungarn fundamentalistisch?
Die klassische konservative Haltung, wie ich sie in Westeuropa sehe, gibt es in Ungarn nicht. Für mich ist konservativ immer noch fähig für den Dialog. In Ungarn haben wir Ultrakonservativismus oder Fundamentalismus. Das sind geschlossene Denkweisen.
Sie sind geprägt durch Angst vor Veränderung und sind eine Abwehrreaktion - bis zu Hass und Gewalt. Leider war die Kirche beim Kampf gegen Gender-Gerechtigkeit aktiv dabei.
Sie kritisieren, dass die politischen Rechten und die religiösen Rechten einander unterstützen…
Ja, es ist ein „gefährlicher Flirt“! Es geht nicht nur um die Frauen. So oft haben wir in den Predigten z.B. gehört, dass die Muslime Europa zerstören wollen…
Aber im Herzen des Evangeliums steht die Liebe, und diese Liebe ist universal. Der Mensch wurde nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Das bedeutet, die Würde aller Menschen ist gleich. Dadurch haben wir eine Verantwortung für alle Menschen.
Die Kirche muss Widerstand leisten, wenn eine politische Strömung die Gleichberechtigung aller Menschen in Frage stellt. Widerstand bis zum Martyrium, das ist meine Überzeugung. Christus ist unser Beispiel.
Rita Perintfalvi
ist gebürtige Ungarin, katholische Theologin, promovierte Alttestamentlerin, Kulturmanagerin und Bloggerin.
Seit 2019 arbeitet sie an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz mit Schwerpunkt „Theologische Frauen- und Geschlechterforschung“.
In der ökumenischen „Europäischen Gesellschaft für Frauen in der Theologischen Forschung“ (ESWTR) ist sie Präsidentin der ungarischen Sektion.
Was mir heilig ist…
der Kampf um die Gerechtigkeit. Gott hat uns alle als Geschwister geschaffen, wir sind berufen die Zivilisation der Liebe aufzubauen. Wir müssen für Menschen kämpfen, die ausgegrenzt sind, die keine Stimme und keine Rechte haben.
Wofür ich dankbar bin…
für meine Berufung als Theologin. Obwohl dieser Weg ein ganz schwierig ist. Man will ja immer weglaufen von einer Berufung. Wie der Prophet Jeremia, er wollte nicht sprechen, aber er hat in seinem Herzen ein Feuer gespürt und er musste sprechen. Egal was es kostet. Und das spüre ich auch.
Sommergespräch: Gefährlicher Flirt – Politik und Kirche in Ungarn. Hoffnung statt Populismus. Über die „unheilige Allianz“ zwischen kirchlichen Traditionalisten und der rechtspopulistischen Regierung in Ungarn.
Die ungarische Theologin und Gender-Expertin d. Universität Graz, Dr. Rita Perintfalvi. Mit Stefanie Jeller.
Montag, 1. Juli um 17.30 Uhr,
Dacapo am Sonntag, 7. Juli , 17.30 Uhr.
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E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at