Die allerknappste Ressource, über die wir verfügen, ist Zeit. Die wichtigste Entscheidung, die jede Person heute trifft, ist nicht, wie sie ihren Müll trennt, sondern was sie wählt. Mit unserer Wahlentscheidung haben wir Teil am politischen System.
Die allerknappste Ressource, über die wir verfügen, ist Zeit. Die wichtigste Entscheidung, die jede Person heute trifft, ist nicht, wie sie ihren Müll trennt, sondern was sie wählt. Mit unserer Wahlentscheidung haben wir Teil am politischen System.
Der Mensch verändert und zerstört die Natur. Wie lange kann das gut gehen? Hat unsere Umwelt Zukunft? Antworten gibt die Universitätsprofessorin und Wiener Umwelthistorikerin Verena Winiwarter.
Als Kind begleitete Verena Winiwarter ihren Vater, einen Geologen, zu Ausgrabungen von Gesteinsschichten, die 65 Millionen Jahre alt waren. Damals hat sie eines gelernt: Demut vor dem Leben. Heute gräbt sie selbst in der Vergangenheit: Die Professorin an der Universität für Bodenkultur in Wien ist Österreichs einzige Umwelthistorikerin. Sie erforscht die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur.
Der Blick auf die Vergangenheit soll auch eine Frage an die Zukunft beantworten: Was können wir tun, um unsere Umwelt zu schützen?
In der Bibel steht: „Gott sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch! Macht euch die Erde untertan ...“ Haben wir da etwas missverstanden?
Das ist eine falsche Übersetzung. Das weiß man schon sehr lange. Die ursprüngliche Fassung heißt: Pfleget und bebauet sie! Statt: Macht sie euch untertan.
Dahinter steckt ja ein bestimmtes Bild von Mensch und Natur: Wir versuchen die Natur, ein komplexes System, zu kontrollieren – ist das überhaupt möglich?
Sicher nicht! Die Menschen können auch Gesellschaft nicht kontrollieren. Denn Gesellschaft ist auch ein komplexes System. Die Gesetze des Handelns liegen nicht in der Hand des Einzelnen. Natur kann man ganz bestimmt nicht immer, nicht überall und nicht langfristig kontrollieren.
Die Problematik der Kontrolle der Natur hängt mit der Technologie zusammen und dem Vermögen des Menschen mit enormen Mengen von Energie auf Natur einzuwirken. Wir haben gelernt, die gespeicherte Sonnenenergie aus Kohle, Erdöl und Erdgas für uns zu nutzen.
Wir leben in einem unfassbaren und menschheitsgeschichtlich völlig einzigartigen und einmaligen Zeitalter des Überflusses an Energie. Je mehr Energie wir zur Verfügung haben, desto mehr Gewalt können wir auf unsere Umgebung ausüben.
Haben wir überhaupt genug Zeit, um hier statt Gewalt etwas Gutes zu tun?
Schon lange sage ich: Die allerknappste Ressource, über die wir verfügen, ist Zeit. Im Augenblick finden Entwicklungen statt, die Dinge verlangsamen. Das können wir uns nicht leisten.
Die Welt scheint mir überhaupt gespalten zu sein. An dem Tag, an dem Greta Thunberg in Davos im Weltwirtschaftsforum sprach, war die große Meldung auf der Wirtschafsseite einer österreichischen Zeitung, dass die OMV jetzt die größte Raffinerie der Welt aufmacht.
Greta Thunberg ist ein Medienereignis, sie wird von den Medien, glaube ich, verschluckt. Fridays for Future hingegen ist eine Bewegung. Laut der gesellschaftswissenschaftlichen Systemtheorie sind Bewegungen das Einzige, das gegen diese starren Subsysteme von Gesellschaft, die ihren eigenen Gesetzen folgen, etwas auszurichten vermag.
Sie haben einmal gesagt: Wir brauchen weniger Zeug, mehr Zeit.
Dahinter steckt eine ganz simple Idee: Je mehr Zeug Sie haben, desto mehr Arbeit haben Sie, sich um dieses Zeug zu kümmern. Ich denke, dass jede Person heutzutage ungefähr 10.000 Dinge ihr eigen nennt, wenn sie in so einer entwickelten Ökonomie wie Österreich sitzt.
Das sind 10.000 Dinge, die Sie abstauben, wegräumen, pflegen, mit Öl einschmieren oder vor Öl schützen, die sie also ununterbrochen behandeln müssen.
Auf welches Zeug verzichten Sie?
Das ist eine Frage, die können sich nur Leute leisten, die sowieso am längeren Ende der Sonnenallee sitzen. Ich halte die Rede von Verzicht erstens für nicht mehrheitsfähig und zweitens für in die Taschen gelogen.
Eine Wandlung von Konsummustern ist notwendig, aber nicht hinreichend. Eine Wandlung greift am Einzelnen an und nicht am System.
Allerdings, das muss ich schon sagen: ich bin seit Jahren Vegetarierin. Aber ich empfinde das überhaupt nicht als Verzicht.
Sie haben von System gesprochen – es reicht nicht, wenn der Einzelne etwas tut?
Die wichtigste Entscheidung, die jede Person heute trifft, ist nicht, ob sie ihren Müll trennt, sondern was sie wählt. Mit unserer Wahlentscheidung haben wir Teil am politischen System, als Wählerinnen und Wähler. Die zweite Möglichkeit, die ich sehe, ist im politischen System einzusteigen als jemand, der sich wählen lässt. Wir alle brauchen Authentizität. Auf Englisch heißt das: „Walk the talk!“ – „Tun Sie das, was Sie predigen!“
Ihr Vater war Geologe, ihre Mutter Chemikerin, sie selbst haben einen Abschluss in Technischer Chemie. Wie sind Sie zur Umweltgeschichte gekommen?
Wissensdurst! Allerdings bin ich mit meiner Ausbildung in Technischer Chemie zunächst auf die Technische Universität in Wien gekommen – und zwar ausgerechnet an ein Institut für Umweltanalytik. Ich bin also mit dem Umweltproblem und seiner Erforschung recht schnell in Berührung gekommen.
Mein Vater hat als Geologe einen sehr langfristigen Blick auf die Erde geworfen. Aus geologischer Sicht sind wir ja nur so eine Art Augenzwinkern auf dem Planeten. Das ist eine demütige Haltung.
Haben Sie das schon früh mitbekommen?
Ja, wir waren in Steinbrüchen vermessen. Es ist für Kinder vollkommen unvorstellbar, dass irgendetwas 65 Millionen Jahre alt sein könnte. Aber man gewöhnt sich an den Gedanken, dass Dinge so alt sein können, dass man sie sich nicht vorstellen kann. Ich habe mir so eine Sedimentschichtung angesehen und dann meinen Vater gefragt: Wo sind da die Menschen? Seine Antwort: Die sind da gar nicht drauf. Das lehrt einen den eigenen Platz im Universum.
Ja, und diese Beschäftigung mit den technisch-analytischen Umweltfragen hat dann relativ – im Nachhinein logisch – dazu geführt, dass mich innerhalb der Geschichtswissenschaften auch die Umweltgeschichte interessiert hat. Das gab’s damals in Österreich eigentlich gar nicht. Ich hab in den 1980er Jahren studiert, die erste Internationale Gesellschaft für Umweltgeschichte ist in Amerika in den späten 1970er Jahren gegründet worden, American Society for Environmental History.
Sie haben zwei erwachsene Kinder, was haben Sie ihnen in Sachen Umweltschutz mitgegeben?
Meine Kinder sind aufgewachsen damit, dass sie – mein Mann ist ja auch Umweltforscher – für ihre eigenen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Ob das jetzt Kinderzimmer aufräumen ist, oder weiß Gott was. Meine Kinder wurden von uns zu verantwortungsvollen und friedliebenden Menschen erzogen.
Aber ich glaube, dass nicht ich meinen Kindern so viel mitgebe, sondern wir einander als Familie sehr viel gegeben haben und weiterhin geben. Was sie in der Familie an Konflikten haben, tragen sie ja auch in die Welt hinaus.
Konfliktarme Familienzusammenhänge sind schon eine gute Grundlage für einen konfliktarmen Umgang im größeren Miteinander.
Radiotipp
Wie unsere Umwelt eine Zukunft haben kann, sagt Verena Winiwarter im Sommergespräch auf radio klassik Stephansdom am
Montag, 22. Juli um 17.30 Uhr,
DaCapo am Sonntag, 28. Juli, 17.30 Uhr.
Univ. Prof. Ing. Dr. phil. Dr.h.c.. Verena Winiwarter
Geboren: am 26. Juli 1961 in Wien
Umwelthistorikerin
lehrt und forscht am Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien
Präsidentin
des Internationalen Dachverbands der Umweltgeschichtegesellschaften (ICEHO)
Ausgezeichnet
(Auswahl)
als Wissenschaftlerin des Jahres 2013,
Großes Ehrenzeichen des Landes Kärnten (Aau.at)
Musiktipps:
– „God Bless The Grass“ von Pete Seeger: „Ein Album mit Umweltbezug.“
– Soundtrack von Philip Glass zum Film „Koyaanisquatsi (Trailer): „Ein zivilisationskritischer Film, den ich unglaublich beeindruckend finde.“
– „Missa Pastoril Para Noite de Natal“ des brasilianischen Komponisten José Maurício Nunes Garcia (vor allem Laudate Dominum): „Die schwungvollste Messe, die man sich vorstellen kann.“
Verena Winiwarter und Hans-Rudolf Bork
66 Reisen durch die Zeit.
Verlag: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft
ISBN: 978-3806239218
Prämiert als Wissenschaftsbuch des Jahres 2015
Leben ist…
das größte Wunder, das im Universum möglich geworden ist.
Sonntag ist…
ein besonderer Tag, der einen aus der Mühsal der alltäglichen Arbeit heraushebt.
Aber ich gehe davon aus, dass Tätig-Sein – ich spreche nicht von Lohnarbeit – ein tiefes Grundbedürfnis des Menschen ist. Wer tätig sein darf, braucht keine Sonntagsregelung.
Glaube ist…
alles, was uns für die Gestaltung unseres Lebens Hoffnung und Zuversicht gibt. Auch jemand, der an wissenschaftlichen und technischen Fortschritt glaubt, ist ein Gläubiger. Glaube hat für mich nichts mit Religion zu tun, aber mit Spiritualität. Im Grunde ihres Herzens sind alle Menschen spirituell.
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E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at