Erzbischof Lackner (links) bei der ICO-Tagung.
Erzbischof Lackner (links) bei der ICO-Tagung.
Syrisch-orthodoxer Bischof Polycarpus: Westen muss endlich seiner Verantwortung für Frieden und Stabilität im Nahen Osten gerecht werden.
Die Kirchen im Westen können von den orientalischen Kirchen bzw. Christen vieles lernen. Das betonte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner in seinem Grußwort am Montagabend, 24. September 2019 bei der Jahrestagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) in Salzburg.
Lackner zeigte sich beeindruckt von der Glaubensstärke der Christen im Nahen Osten, die in einem meist sehr schwierigen Umfeld Zeugnis von ihrem Glauben ablegten. Und so wären sicher auch die diversen kirchlichen Reformbemühungen im Westen von mehr Erfolg gekrönt, "wenn wir zum Ursprung zurückkehren", wie der Erzbischof meinte. Die Kirchen im Orient hätten tiefste Wurzeln, die fast bis in die apostolische Zeit zurückreichen.
Lackner verwendete als Bild für die Kirche bzw. den Glauben das biblische Bild vom Weinstock. Der kirchliche Weinstock drohe im materiell üppigen Europa zu einem "Flachwurzler" zu verkommen, während Weinstöcke in der kargen Umgebung des Orients tiefe Wurzeln schlagen würden.
Den Hauptvortrag bei der diesjährigen ICO-Tagung hielt der für die Niederlande zuständige syrisch-orthodoxe Bischof Mor Polycarpus Augin Aydin, der über den Tur Abdin, eine kleine Bergregion in der Südosttürkei mit Jahrhunderte langer Glaubenstradition sprach. Er bezeichnete den Tur Abdin als das Herzstück des syrischen Christentums. Heute leben nur mehr wenige Christen in der Region und in der Diaspora hätten sich längst viele weitere kirchliche Zentren gebildet. Trotzdem bleibe der Tur Abdin für die syrisch-orthodoxen Christen weltweit der spirituelle Brennpunkt. Ob die Christen vor Ort eine Zukunft haben, liege auch am Westen, so Mor Polycarpus: "Der Westen ist gefordert, sich endlich ernsthaft für einen stabilen Frieden in der Region stark zu machen."
Wie sehr die syrischen Christen nach wie vor mit dem Tur Abdin verbunden sind, zeige sich etwa auch daran, dass über die Sommermonate jedes Jahr tausende aus aller Welt die Region und ihre Klöster und Kirchen aufsuchen, so der Bischof. Hunderte Kinder aus dem Ausland würden in den Klöstern mit der syrisch-aramäischen Sprache und den kirchlichen Traditionen vertraut.
Die Syrisch-Orthodoxe Kirche geht auf die erste christliche Gemeinde in Antiochien (heute Antalya in der Südosttürkei) zurück. Antiochien war eines der führenden Zentren in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Die Liturgie wird in der Syrisch-orthodoxen Kirche bis heute in altaramäischer (syrischer) Sprache - der Sprache Jesu - gefeiert und in abgewandelter Form im Tur Abdin im Alltag noch gesprochen. Die syrisch-orthodoxe Kirche umfasst nach eigenen Angaben zwischen 5,5 und 6 Millionen Gläubige. Im ganzen Nahen Osten leben maximal noch 250.000.
Zum Kernland des syrisch-orthodoxen Christentums wurde der Tur Abdin aufgrund seiner abgeschiedenen Lage. Die syrisch-orthodoxe Kirche war seit dem 5. Jahrhundert immer wieder Verfolgungen ausgesetzt, das Bergland des Tur Abdin war das letzte Rückzugsgebiet. Zu Blütezeiten gab es vor Ort etwa 80 Klöster. Die ältesten Klöster und Kirchen gehen ins 4. oder sogar ins 3. Jahrhundert zurück. Letztlich sei der Tur Abdin deshalb auch nicht nur für die Christen der syrischen Tradition, sondern für alle Christen von enormer spiritueller und kultureller Bedeutung, wies Bischof Polycarp hin.
In den 1960er-Jahren betrug die christliche Bevölkerung des Tur Abdin noch mehr als 70.000. Militärische Konflikte und wirtschaftliche Not führten von den 1970 bis 1990er-Jahren zu einer massiven Abwanderung. Heute sind nur mehr rund 2.500 Christen übrig. Nur einige wenige, vielleicht 100 Familien, sind in den vergangenen 15 Jahren in ihre alte Heimat zurückgekehrt.
Mor Polykarpus zeigte sich davon überzeugt, dass viel mehr syrisch-orthodoxe Christen den Schritt zurück in ihre alte Heimat wagen würden, wenn es in der gesamten Region endlich Sicherheit und Stabilität gebe. Der Tur Abdin in der Südosttürkei liegt mitten in jenem Gebiet, wo es immer wieder zu Kämpfen zwischen dem türkischen Militär und der kurdischen PKK kommt. Zudem ist Syrien nur wenige Kilometer entfernt, wo seit acht Jahren ein blutiger Krieg tobt, der die gesamte Region destabilisiert.
Der Tur Abdin stand deshalb im Mittelpunkt der bis Dienstag anberaumten Salzburger Tagung, weil die ICO heuer ihr 30-Jahr-Jubiläum begeht und das Hilfswerk im Tur Abdin seine Anfänge genommen hat. Der Linzer Liturgie-Professor Hans Hollerweger unternahm Mitte der 1980er-Jahre erste Reisen in den Tur Abdin und war mit der Not der Menschen vor Ort konfrontiert, bedingt nicht nur durch Krieg und Armut, sondern auch ein ablehnendes muslimisches Umfeld.
Damit wenigsten die letzten Christen in ihrer Heimat bleiben konnten, gründete Hollweger 1989 den "Verein der Freunde des Tur Abdin", aus dem später die "Initiative Christlicher Orient" (ICO) wurde. Hollerweger besuchte über viele Jahre die Menschen in ihren Dörfern und gab ihnen das Gefühl, nicht vergessen zu sein. Bald weitete der Linzer Professor die Arbeit auf den ganzen Nahen Osten aus.
Mor Polycarpus würdigte ausführlich den Einsatz Hollerwegers. Er habe nicht nur materielle Hilfe geleistet, sondern durch seine Solidarität den Menschen vor allem Mut gemacht und Hoffnung geschenkt.
Im Rahmen der Tagung wurde auch eine neue ICO-Broschüre präsentiert, die ganz dem Tur Abdin gewidmet ist. Das Vorwort stammt von Timotheos Samuel Aktas, Erzbischof des Tur Abdin und Abt des Klosters Mor Gabriel. Auch er würdigt darin das Lebenswerk Hollerwegers und ruft zugleich dazu auf, die letzten Christen in der Südosttürkei nicht zu vergessen. Die Umstände vor Ort hätten sich zuletzt deutlich verbessert, verglichen mit der Situation vor einigen Jahrzehnten. "Doch der Tur Abdin braucht nach wie vor Eure Hilfe, moralische wie auch finanzielle", so der Appell des Erzbischofs an den Westen.