Sandra Schulz ist in der 13. Woche schwanger, als sie nach einer Blutuntersuchung den Satz hört: „Ich habe leider kein komplett unauffälliges Ergebnis für Sie.“
Sandra Schulz ist in der 13. Woche schwanger, als sie nach einer Blutuntersuchung den Satz hört: „Ich habe leider kein komplett unauffälliges Ergebnis für Sie.“
Wie können werdende Eltern begleitet werden, die im Rahmen der Pränataldiagnostik einen auffälligen Befund für ihr ungeborenes Kind bekommen?
Im AKH und bei der „aktion leben österreich“ versucht man Betroffenen mit psychologischer und psychosozialer Beratung und der sogenannten „Vorgeburtlichen Beziehungsanalyse“ (Bindungsanalyse) Halt und – soweit als möglich – Sicherheit zu geben.
Sandra Schulz ist in der 13. Woche schwanger, als sie nach einer Blutuntersuchung den Satz hört: „Ich habe leider kein komplett unauffälliges Ergebnis für Sie.“ Plötzlich ist das Baby in ihrem Bauch nicht mehr nur ein Baby, sondern vor allem eine Diagnose. Und die lautet: Trisomie 21, Down-Syndrom.
Von einem Moment auf den anderen keine Spur mehr von „in guter Hoffnung sein“. Von einem Moment auf den anderen vor allem Trauer und Enttäuschung.
Plötzlich müssen sich Sandra Schulz und ihr Mann mit Fragen auseinandersetzen über die sie davor nie nachgedacht hatten, die in ihrem Universum in all den Jahren, in denen sie sich ein Kind wünschten, gar nicht existierten:
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen schildert sie zutiefst berührend und wortgewaltig in ihrem Buch „Das ganze Kind hat so viele Fehler“ (Verlag rowohlt POLARIS). Sie berichtet von Zweifeln und Ängsten. Und sie berichtet davon, wie sie und ihr Mann schließlich die Herausforderung annehmen und sich auf die Suche nach Antworten auf all diese Fragen begeben.
Schritt für Schritt arbeiten sie sich aus der tiefen Krise heraus, in die sie der Befund gestürzt hat und versuchen in Gesprächen mit Ärzten, Psychologen, mit Familie, Freunden und anderen Betroffenen jenen Halt zu finden, der sie schließlich in eine Position bringt, die es ihnen ermöglicht, alle notwendigen und wichtigen Informationen aufzunehmen, abzuwägen und zu verarbeiten.
Eine Position, die es ihnen schließlich auch ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen, was weiter geschehen soll.
Werdenden Eltern, die im Rahmen der Pränataldiagnostik einen auffälligen Befund bekommen in genau diese Position zu bringen – das versucht man auch in der psychologischen Beratung im Wiener AKH auf der Station für Geburtshilfe und feto-maternale Medizin.
Anita Weichberger ist hier seit 13 Jahren als klinische Psychologin tätig. „Die meisten Frauen, die während ihrer Schwangerschaft eine Untersuchung machen, haben den Eindruck, dass alles in Ordnung ist und für diesen Eindruck wollen sie sich dann in dieser Untersuchung eigentlich einfach nur die Bestätigung holen“, erzählt sie.
Wenn das dann nicht so ist, dann „wird den Frauen, den Paaren der Boden unter den Füßen weggezogen. Von einem Moment auf den anderen befinden sie sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Die Aussage, dass mit dem Baby etwas nicht stimmt ist traumatisierend – zumindest potentiell traumatisierend.“ Für die werdenden Eltern bricht eine Welt zusammen.
„Im ersten Moment spüren sie einen unheimlichen Druck, dass jetzt sofort etwas geschehen muss, um das Problem zu lösen“, sagt Anita Weichberger. Viele versuchen sich von ihrem Kind zu distanzieren. Empfinden etwa die Bewegungen des Kindes, die sie spüren, als unangenehm.
Es gibt Frauen, die in einem ersten starken Impuls, das Kind regelrecht „loswerden“ wollen. „Dabei – und das muss man ganz klar sagen – befinden sie sich eigentlich in einem psychischen Zustand, in dem man keine Entscheidungen treffen kann“, so Anita Weichberger.
Es sei ein besonders sensibler Moment für alle. Vor allem auch für jene, die in diesem Moment professionell beratend zur Seite stehen. „Die kognitiven Funktionen, wie etwa die Aufnahme und das Verständnis von Informationen sind eingeschränkt. Handlungsalternativen können nur begrenzt wahrgenommen werden.“
Die Betroffenen haben das Gefühl, dass sie keine Kontrolle mehr über die Situation haben. „Wir versuchen ihnen in einem ersten Schritt das Gefühl zu geben, dass wir da sind und dass wir dieses furchtbare Gefühl mit ihnen aushalten: Wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass sie nicht gezwungen sind, sofort etwas zu tun, versuchen diesen enormen Druck, den sie spüren, zu thematisieren und zu relativieren.
Und wir versuchen ihnen so viel Sicherheit und Halt zu geben, damit sie sich die Zeit nehmen können, gemeinsam einen Weg finden und sich klar werden, was sie als Paar wirklich möchten. Die intensive klinisch-psychologische Begleitung wie sie am AKH stattfindet, hilft da sehr.“
In der „aktion leben österreich“ hat man langjährige Erfahrung damit, werdende Mütter, werdende Eltern, in schwierigen Situationen zu begleiten. In den vergangenen Jahren wurde in der Beratungsstelle auch intensiv auf die sogenannte Vorgeburtliche Beziehungsförderung (Bindungsanalyse) gesetzt. „Beziehung beginnt vor der Geburt“, sagt dazu Christina Gerstbach, Beraterin bei der „aktion leben österreich“.
Nach einem auffälligen Befund aber bestehe die Gefahr, „dass die Beziehung in Frage gestellt wird und dass dieses In-Frage-Stellen zu einem kompletten Beziehungsabbruch führt, der niemandem guttut und der in dieser schwierigen Situation auch niemandem hilft.“
Das von den ungarischen Psychoanalytikern György Hidas und Jenö Raffai entwickelte Verfahren der Bindungsanalyse könne in solchen Situationen dazu beitragen, die Beziehung und Bindung zwischen Mutter und Kind wieder wachsen zu lassen.
„Grundsätzlich wurde die Methode mit dem Ziel entwickelt, psychische Erkrankungen zu vermeiden und Kinder seelisch gut verankert auf die Welt kommen zu lassen“, sagt Christina Gerstbach.
Die Methode hilft schwangeren Frauen zur Ruhe zu kommen, sich tief zu entspannen und sich auf ihr Baby einzustellen, in sich hinein zu hören, hinein zu spüren, die Signale des Babys wie auf einem inneren Bildschirm zu empfangen, aber genauso Signale an das Baby zu schicken.
Sie kann die Beziehung zwischen Mutter und Kind vertiefen – auch wenn die Schwangere sich in einer schwierigen Situation befindet –, sie kann Ängste nehmen und mehr Sicherheit und Halt geben. „Einer unserer Klientinnen, die nach einem auffälligen pränatalen Befund eine sehr schwere Zeit hatte, hat die Bindungsanalyse geholfen, sich auch einmal ,ganz normal schwanger zu fühlen‘ und die Freude auf und über ihr Kind zu spüren. Das ist in dieser Situation enorm wichtig gewesen.“
Sandra Schulz hat ihr Kind übrigens bekommen. Trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Probleme und mit allen gesundheitlichen Einschränkungen. „Danke, Marja, dass du bei uns bist“, schreibt sie am Ende ihres Buches: „Du großartiges Kind.“
Nähere Informationen bekommen Sie unter:
www.aktionleben.at,
E-Mail: info@aktionleben.at
Telefon: 01/ 512 52 21
Buchtipp
Sandra Schulz
Das ganze Kind hat so viele Fehler.
Die Geschichte einer Entscheidung aus Liebe.
Verlag rowohlt POLARIS
ISBN: 978-3499632211