Aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid hat der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, eine klare Absage erteilt.
Aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid hat der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, eine klare Absage erteilt.
Experten: Mehr Mitgefühl und Demut in Medizin und Pflege nötig. IMABE-Jahressymposium mit 250 Teilnehmern widmet sich den "Grenzsituationen in Medizin und Pflege".
Aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid hat der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, eine klare Absage erteilt. Er beobachte die immer wieder aufflammende Diskussion darüber mit Sorge, verwies er am Freitag, 22. November 2019 bei einer Tagung zum Thema "Grenzsituationen in Medizin und Pflege" in Wien auf die rechtlich anders geartete Lage in der Schweiz und den Niederlanden. Der Ärztekammerpräsident war einer der Teilnehmer des hochkarätig besetzten Jahressymposiums des "Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik" (IMABE), das im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz medizinethische Fragen behandelt.
Laut Szekeres haben Ärzte die Aufgabe, "Kranke zu heilen, Leid zu lindern, Leben zu erhalten und Sterbenden beizustehen". Es sei für sie keine Option, aktiv in den Tod zu "befördern". Dazu habe kein Mensch das Recht, auch nicht ein Arzt. In seiner Zunft habe diese Überzeugung eine klare Mehrheit, sagte der Kammerpräsident vor rund 250 Teilnehmern des Symposions.
In diesem Sinne äußerte sich auch Martin Schaffenrath von der Österreichischen Gesundheitskasse: In Österreich gebe es eine "Kultur des Beistands". Menschlicher Zugang und nicht Tötung sei hierzulande "gute Tradition". Schaffenrath sprach sich für eine flächendeckende Versorgung mit Palliativmedizin und Hospizeinrichtungen aus; diesbezüglich sei man in Österreich noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg.
Bei der IMABE-Tagung im Wiener Raiffeisenforum war mehrfach die Rede davon, dass Ärzte und Pflegende in ihrem Berufsalltag oft an ihre Grenzen stoßen. Dies sei z.B. der Fall, wenn am Lebensende Entscheidungen über einen Behandlungsabbruch oder -verzicht getroffen werden müssen, wenn Patienten und Angehörige in schwierigen Situationen mehr Zeit bräuchten oder wenn wirtschaftlicher Druck und Zeitknappheit auf dem Personal lasten. "Menschen in Heilberufen erleben die positiven Möglichkeiten ihres Tuns, sie erfahren aber zugleich ihre Ohnmacht angesichts von Krankheit, Leid und Tod", teilte das veranstaltende Institut mit. Vor welche emotionalen, strukturellen und ethischen Grenzsituationen Medizin und Pflege gestellt sind, stand im Mittelpunkt des interdisziplinären Symposiums.
Das Wort "Grenzsituation" für Phänomene wie Leid, Schuld und Tod geht auf den deutschen Philosophen Karl Jaspers zurück, wies IMABE-Direktor und Tagungsleiter Johannes Bonelli hin. "Grenzsituationen erschüttern und ängstigen uns, gleichzeitig sind sie Möglichkeiten zum individuellen Lernen." Auch Mediziner müssten lernen, "die Grenzen unserer menschlichen Verfasstheit positiv in den Berufsalltag zu integrieren", sagte der Internist. Dazu brauche es Demut als Grundhaltung: "Sie bewahrt vor Selbstüberschätzung und hält die Grenzen des eigenen Wissens wach."
Ingrid Marth, Leiterin des Mobilen Palliativteams der Caritas Socialis in Wien, erwähnte den "allgegenwärtigen Anspruch", für alles eine Lösung anbieten zu müssen. Um Menschen an deren Lebensende angemessen begleiten zu können, müssten sich in Gesundheitsberufen Tätige "zuallererst selbst mit Verunsicherung, Irritation und den grundlegenden Fragen des Lebens auseinandergesetzt haben", betonte die Expertin. Nur dann könne man "Mitgefühl entwickeln, ohne dabei selbst den Boden unter den Füßen zu verlieren".
Thomas Sören Hoffmann, Philosoph an der Fernuniversität Hagen, hält einen Paradigmenwechsel für angezeigt: Momentan herrsche das Bild einer Medizin vor, die sich vor allem als technisch-naturwissenschaftliche Disziplin definiert. Dies höhle aber den innersten Kern des medizinischen Auftrags aus. Statt um Regelanwendung gehe es um ein Aufspüren, was im konkreten Fall das Richtige ist, so Hoffmann. Das habe nicht nur mit Physiologie, sondern auch mit ethischer Kompetenz zu tun. Medizin sieht er als eine Kunst des Heilens, in der ein konkreter, besonderer Mensch in seiner Ganzheit im Mittelpunkt stehen muss - "und nicht bloß eine Krankheit".
Elisabeth Medicus, die bis 2019 mehr als 20 Jahre ärztliche Leiterin in Einrichtungen der Tiroler Hospiz-Gemeinschaft war, richtete ihren Fokus auf die Betreuung von Angehörigen schwerkranker und sterbender Menschen. Professionell Betreuende müssten Angehörige in ihren Kompetenzen bestärken und vorhandene Ressourcen heben, betonte die Palliativmedizinerin. Dazu zähle ein solides Wissen über das Lebensende und über Symptomlinderung, Know-how in Kommunikation und Entscheidungsfindung sowie eine Haltung des Mitgefühls.
Zur Sprache kam beim Symposium auch das angesichts der demographischen Entwicklung sozialpolitisch brennende Thema Pflege: Bereits heute leben in Österreich rund 150.000 ältere Menschen, die professionelle Pflege durch ambulante Versorgungsdienste erfahren, mehr als 80.000 Menschen in stationären Einrichtungen. Der Bedarf wird in den kommenden Jahrzehnten rasant zunehmen. Das Problem wird sich nach den Worten des deutschen Pflegewissenschaftlers Michal Isfort aber nicht allein durch mehr professionelle Pflege lösen lassen. Der Vorstand des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung in Köln sieht die Zukunft - wie er ausführte - vor allem in lokal abgestimmten, kleinräumigen Alternativen. Als Beispiele nannte Isfort präventive Hausbesuche bei Senioren, die in den Gemeinden selbst organisiert werden, neue Mischformen der ambulanten und stationären Versorgung sowie eine altersgerechte Quartiersentwicklung in der Kommune. Pilotprojekte in Deutschland zeigten, dass solche innovativen Ansätze den Ausbau kosten- und personalintensiver stationärer Einrichtungen langfristig eindämmen können.
Laut einer Erhebung der Österreichischen Ärztekammer sind Ärzte überproportional oft von Burnout betroffen. Studien zeigen laut dem Wiener Psychiater Raphael M. Bonelli, dass ein großer Stressfaktor bei Medizinern durch das Wissen entsteht, den Tod nicht besiegen zu können. Die Versöhnung mit den eigenen Grenzen und das Annehmen von Fehlern schützen laut dem Fachmann vor Burnout und dem zugrunde liegenden Streben nach Perfektionismus.
Der Tagungsband "Grenzsituationen in Medizin und Pflege" über das Symposium erscheint im Frühjahr 2020 und kann unter postbox@imabe.org beim Veranstalter IMABE www.imabe.org bestellt werden.