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03.12.2019 · Karitatives · Barmherzigkeit

„Niemand stellt sich freiwillig auf die Straße zum Betteln“

Klaus Schwertner: „Das Wichtigste ist: Hinsehen und nicht wegsehen!“

Jetzt im Advent beginnt für die meisten von uns die schönste Zeit des Jahres. Für einige Menschen hingegen beginnt jetzt die schwierigste, gefährlichste und leidvollste. Wie die Caritas diesen Menschen hilft – und was wir alle tun können, um ebenfalls zu helfen – erklärt Klaus Schwertner von der Caritas unserer Erzdiözese.

 

 

Wer Klaus Schwertner kennt, weiß, dass derzeit die „turbulenteste Zeit des Jahres“ ansteht, wie er sagt. Für unser Interview gönnt er sich eine Stunde Auszeit, ansonsten ist er derzeit täglich unterwegs, um Menschen zu helfen.

 

„Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit haben wir mehrere Schwerpunkte speziell für obdachlose Menschen. Als Caritas haben wir zahlreiche zusätzliche Notquartiere aufgesperrt und in den Pfarren gibt es Wärmestuben.

 

Das Schöne ist, dass heuer im Advent jeden Tag immer mindestens eine Wärmestube offengehalten wird, aufgrund der vielen großartigen Freiwilligen in den Pfarren, die sich dafür engagieren. Und auch unser Kältetelefon ist wieder scharfgeschaltet, bei dem bis zum 30. April rund um die Uhr zu jeder Zeit jemand erreichbar ist.

 

Zudem verteilen wir laufend winterfeste Schlafsäcke und Kleidung, denn das Leben auf der Straße ist im Winter tatsächlich lebensgefährlich – und unsere Hilfe deshalb lebensrettend und notwendig“, betont Schwertner.

 

An vielen dieser Einsätze nimmt Schwertner auch selbst aktiv teil. Denn es gibt ihm Kraft und Hoffnung, erzählt er: „Es ist sehr beeindruckend, wie hoch die Sensibilität und Empathie der Menschen ist, wenn es darum geht, zu helfen.

 

Alleine im vergangenen Jahr hat es mehr als 6.400 Anrufe beim Caritas Kältetelefon (01/4804553) gegeben, bei denen wir auf notleidende und frierende Menschen auf der Straße hingewiesen wurden. Und außerdem sind auch immer die Begegnungen mit den Menschen, denen wir helfen können, extrem motivierend.

 

Wenn man sieht, dass die Hilfe tatsächlich etwas bewirkt und wie dankbar notleidende Menschen dafür sind. Und letztendlich wie wenig die Vorurteile, die wir über armutsbetroffene Menschen manchmal haben, tatsächlich zutreffen.“


Wie hilft man eigentlich „richtig“?


Das Wichtigste ist: Hinsehen und nicht wegsehen! Es ist sinnvoll, die Menschen anzusprechen und zu fragen, ob sie Hilfe brauchen. Auch zu beobachten, wie ist die Person bekleidet – hat sie winterfeste Schuhe und Kleidung an?

 

Und lieber einmal zu oft am Kältetelefon anzurufen als einmal zu wenig. Und ich betone zudem, dass wir nicht die Rettung sind und dass man deshalb auf jeden Fall den Notruf wählt, wenn es um einen medizinischen Notfall geht.


Unabhängig von Obdachlosen, die im Stadtbild sichtbar sind: Auch die Aktion „Schenken mit Sinn“ ist seit Jahren sehr beliebt ist. Warum?


Weil viele Menschen zu Weihnachten etwas schenken wollen, das doppelt Freude bereitet. Also sie wollen einerseits etwas weitergeben und damit gleichzeitig Gutes tun. Genau das gelingt mit der Aktion „Schenken mit Sinn“ (www.schenkenmitsinn.at).

 

Wir haben einen Online-Shop, bei dem man bis wenige Stunden vor dem Weihnachtsfest zum Beispiel eine Ziege für eine Familie in Burundi kaufen kann, oder einen Schlafsack für einen Obdachlosen in Österreich etc. Damit unterstützt man sehr zielgerichtet notleidende Menschen und bekommt gleichzeitig eine Bescheinigung, die man seinen Lieben zu Weihnachten schenken kann.


Wie soll man mit Bettlern umgehen? Soll man Geld geben – ja oder nein, und wenn ja - wem?


Das muss jeder selbst entscheiden. Ich kann aus Erfahrung sagen und es ist eine ganz wichtige Botschaft: Bettelnde Menschen sind in erster Linie immer von Armut betroffene Menschen. Denn niemand stellt sich freiwillig auf die Straße zum Betteln.


Wie soll man mit Menschen umgehen, die Hilfe bräuchten, aber nicht darum bitten?


Wir sehen in unseren österreichweit 36 Sozialberatungsstellen - und auch immer wieder im persönlichen Gespräch, dass Menschen, die von Armut betroffen sind und nicht wissen, wie sie zum Beispiel Miete oder Heizkosten bewältigen sollen, sich häufig schämen, Hilfe anzunehmen. Weil sie Sorge haben, was die Nachbarn oder Freunde dazu sagen würden. Oder weil sie hoffen, doch noch irgendwie alleine aus der Situation herauszukommen.

 

Ich habe zum Beispiel erst vor Kurzem einen Mann kennengelernt, dem man nie ansehen würde, dass sein Geld einfach nicht zum Leben reicht. Zweimal ist er deshalb vor der Gruft der Caritas im 6. Bezirk gestanden, aber jedes Mal ist er wieder umgekehrt, weil er sich schlichtweg geschämt hat. Erst beim dritten Anlauf – als der Hunger offensichtlich unerträglich geworden ist – ist er reingegangen, um sich für ein Essen anzustellen.

 

Solche Fälle gibt es oft und es hat immer auch mit der Würde eines Menschen zu tun. Deswegen ist es wichtig, dass wir auf die Menschen in unserer Umgebung besser hinschauen und darauf achten, wie es Menschen in unserer Gemeinde und in unserem Umfeld geht, ob sie vielleicht Hilfe brauchen, auch wenn sie sich nicht trauen, darum zu bitten.


Haben Sie selbst schon einmal Hilfe angenommen?


Ich habe das Privileg, dass ich sehr behütet aufgewachsen bin und dass es mir auch jetzt sehr gut geht. Aber auch ich nehme klarerweise regelmäßig Hilfe an, so wie alle von uns. Schon alleine, wenn ich krank bin und medizinische Hilfe brauche. Aber auch, wenn es um Beistand im Beruf geht.

 

Bei der Caritas sind wir keine Einzelkämpfer, sondern wir haben ein großartiges Team – wir unterstützen und helfen uns gegenseitig. Man merkt, was möglich ist, wenn sich viele Menschen gleichzeitig für andere einsetzen.


In Österreich gibt es 50.000 Freiwillige bei der Caritas – Tendenz sehr stark steigend. Gleichzeitig geht der Bezug der Kirche bei vielen verloren. Wie geht das zusammen?


Ich habe das Gefühl, dass auch Menschen, die der Kirche nicht unbedingt nahestehen, die Hilfe, die hier geleistet wird, wichtig finden. Deshalb engagieren sie sich. Aber es gibt zwei Tendenzen in diesem Zusammenhang: Es gibt zwar wesentlich mehr Menschen, die sich für andere einsetzen wollen, gleichzeitig sind sie aber spontaner und oft kurzfristiger engagiert. Dass sich Menschen über längere Zeit einbringen, wird also seltener.

 

Deshalb haben wir uns als Caritas so weiterentwickelt, dass es mittlerweile viel mehr Projekte gibt, an denen man punktuell, nur für ein paar Stunden oder ein paar Tage, mitarbeiten kann.

 

Wir haben auch einen erfreulichen Zuwachs bei rüstigen Pensionisten, die nach dem Erwerbsleben einer sinnvollen Aufgabe nachgehen möchten und sich für die Caritas engagieren.  


Wie entwickelt sich die Spendenbereitschaft der Österreicher?


Es wird definitiv nicht leichter und deshalb müssen wir laut auf unsere Hilfe aufmerksam machen. Wir brauchen eine sehr starke Unterstützung durch Spenden, gerade jetzt in dieser Phase des Jahres.

 

Wir sind dankbar für jeden Euro, der gespendet wird, wenn ich etwa an die Obdachlosen auf der Straße denke, die bei diesen Temperaturen draußen schlafen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Aktion „Aufrunden“ hinweisen, bei der es möglich ist, in allen Billa-, Merkur-, Penny- und Bipa-Filialen beim Zahlen aufzurunden. Selbst wenn es nur ein paar Cent sind: Wenn viele zusammenhelfen, kann Großartiges geschehen. 

erstellt von: Der SONNTAG / Michael Ausserer
03.12.2019
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Weitere Informationen:

 

Aktion „Schenken mit Sinn“ (www.schenkenmitsinn.at).

Aktion „Aufrunden“


Klaus Schwertner


ist ...
verheiratet und hat vier Kinder, ein Mädchen und drei Buben.


geht gerne ...
Radfahren, Laufen und Skifahren


Arbeitet ...
seit 2008 für die Caritas der Erzdiözese Wien. Zuerst als Pressesprecher, seit sechs Jahren ist er Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien.


Schön findet er ...
„Dass ich das Gefühl habe, dass wir an so vielen Orten mit so vielen Menschen Begegnungen schaffen können. So besuchen wir zum Beispiel mit erfolgreichen Menschen regelmäßig Einrichtungen der Caritas, wo sie mit Obdachlosen und armutsbetroffenen Menschen in Kontakt kommen und im Idealfall feststellen, dass sie so unterschiedlich gar nicht sind.“


Bereichernd ist ...
„Aktiv etwas tun zu können und dazu beizutragen, dass ein Perspektivenwechsel möglich ist.“

 

privat

Leben ist…
jeden Abend auf den Tag zurückzuschauen und zu sagen, es war ein guter Tag, an dem ich mich dafür eingesetzt habe, dass diese Welt ein Stück besser, freundlicher und heller geworden ist.

Sonntag ist…
Zeit mit der Familie zu haben, die Kindermesse zu besuchen und nicht online sein zu müssen.

 

Glaube ist…
für mich etwas sehr Persönliches und Kraftgebendes, um mein Leben gut meistern zu können. Ich bezeichne mich als gläubigen Menschen und deswegen ist mir es wichtig, meinen Kindern den Glauben auch weiterzugeben.



weitere Informationen zu

 

Der SONNTAG
die Zeitung der Erzdiözese Wien
Stephansplatz 4/VI/DG
1010 Wien
T +43 (1) 512 60 63
F +43 (1) 512 60 63-3970

E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at

 

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