Taizétreffen 2019 in Breslau
Taizétreffen 2019 in Breslau
Frere Alois in Breslau: Menschen kommen über politische Grenzen hinweg zusammen, ohne auf Trennendes zu achten .Gelebte Völkerverständigung "ist viel stärker als jeder spalterische Populismus"
Von Polen nach Italien: Das nächste Europäische Taize-Treffen über Silvester 2020 findet in Turin statt. Das kündigte der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, Frere Alois, am Montag in Breslau an. Dort findet derzeit das aktuelle Taize-Treffen mit rund 14.000 Jugendlichen aus ganz Europa statt.
Europa und sein Fundament hätten mit großen Problemen zu kämpfen, sagte Frere Alois. In vielen Ländern gebe es zunehmend Konflikte und Egoismus. "Wir dürfen das Zuhören nicht verlernen", sagte der Leiter der Taize-Gemeinschaft. Das Jugendtreffen zeige, dass es jedoch auch viel Grund für Optimismus gebe. Menschen kämen über politische Grenzen hinweg zusammen, ohne auf das zu achten, was sie trenne. Die Kirche sei in vielen Ländern vertreten und habe deshalb die Strukturen und die Pflicht, Menschen zu verbinden, betonte er. Zudem würdigte er das Engagement vieler Jugendlicher für die Umwelt und die Bewahrung der Schöpfung.
Der Turiner Erzbischof, Cesare Nosiglia, der für die Ankündigung eigens nach Breslau gekommen war, zeigte sich erfreut über die Wahl der Stadt Turin. "Endlich - es ist ein tolles Gefühl, dass all die jungen Menschen schon in einem Jahr zu uns kommen und ihren Esprit mitbringen werden", sagte er. Die norditalienische Stadt sei immer schon ein Ort pulsierenden Lebens und Glaubens gewesen. Pilger seien dort jederzeit willkommen. Turin stehe für Aufgeschlossenheit und eine lange ökumenische Tradition.
Das Treffen im nächsten Jahr wird das erste in Turin sein - das siebte in Italien. 1980, 1982, 1987 und 2012 fand die Begegnung in Rom statt. Mailand war 1998 und 2005 Gastgeber. Die Einladung seitens der Turiner bestand laut Frere Alois schon seit Jahren. "Es kommen viele Jugendliche aus der Region um Turin zu den Treffen." Nun sei die Entscheidung für die Stadt als Veranstaltungsort beinahe überfällig gewesen.
Die jährlichen Europäischen Treffen über Silvester sind Teil eines "Pilgerwegs des Vertrauens auf der Erde", der seit mehr als 40 Jahren von Taize angeregt wird. Die Jugendlichen kommen zu Gebet und Miteinander zusammen. Themen sind Völkerverständigung, Frieden, Glauben und soziales Engagement.
Gemeinsames Gebet und Begegnung mit der Ortskirche stehen im Mittelpunkt des Treffens in Breslau. Frere Alois hatte für die Teilnehmer vorab fünf "Vorschläge für 2020" unter dem Titel "Immer unterwegs, nie entwurzelt" formuliert. Das Unterwegssein sei es, so der Prior, das zum Frieden und zur Versöhnung unter den Völkern führe. Die Vorschläge drehen sich auch um Gastfreundschaft und Nächstenliebe, um die eigenen Grenzen und um Großzügigkeit. Begegnung und Gastfreundschaft brächten Menschen verschiedener Religionen mit unterschiedlichem Weltbild und gegensätzlicher politischer Gesinnung zusammen.
5.500 Teilnehmer kommen aus Polen, 1.500 aus der Ukraine, 1.100 aus Deutschland, 700 aus Kroatien, 700 aus Frankreich, 400 aus Italien und 400 aus Spanien. Einige sind sogar aus Hongkong, Japan oder Korea angereist. Insgesamt seien 60 Nationen vertreten, teilte die Bruderschaft mit.
Wer sich auf das Taize-Treffen einlässt, geht während der Veranstaltung zum täglichen Abendgebet, sitzt auf dem Boden und gibt sich der Stille, der Musik und dem Gesang hin. So wie viele andere hier: Tausende Jugendliche singen, beten und lernen sich kennen. Unter ihnen ist auch die 21-jährige Lucretia aus Italien. Europa habe viele Probleme und ständige Auseinandersetzungen wegen der Flüchtlingspolitik, sagt sie. Das Treffen sei aber ein Zeichen des Zusammenhalts. "14.000 junge Menschen, die Völkerverständigung leben - das ist viel stärker als jeder spalterische Populismus", meint die junge Frau.
Matteo Salvini, Boris Johnson und andere kontroverse Politiker sind beim Taize-Treffen in Breslau nicht mit dabei. "Und das ist gut so", sagt der 23-jährige Pablo aus Spanien. Er ist gemeinsam mit einigen Freunden nach Polen gekommen. Einen ganzen Tag hätten sie für die Reise gebraucht. "Hier wollen wir zu uns selbst finden und unseren Glauben mit anderen leben", erzählt der Spanier.
Der Weg zum Treffen führt oft durch mehrere Länder. Für Joao (20) aus Portugal gleicht die Reise einer Europa-Tour. Von Lissabon aus hat er sich mit seiner Gruppe mit dem Zug nach Polen aufgemacht. Über Madrid, Montpellier, Paris, Hannover und Berlin. In seiner Heimat engagiert sich der Mathematik-Student bei den Aktionen der Bewegung "Fridays for Future". Zugfahren, sagt er, sei für ihn "einfach Pflicht".
Vielseitige Workshops in Breslau widmen sich dem Thema gegenseitige Verantwortung. Es geht um Spiritualität, Kirche, Solidarität und Gesellschaft, Kunst und Glauben. So berichten die Brüder von Taize und polnische Familien über ihre Erfahrungen mit Flüchtlingen. Zum Beispiel erzählt Tommec, dass er, seine Frau und Kinder zum Halt für zwei junge Syrer geworden seien. "Aus dem 'Wir' und 'Ihr' ist ein 'Uns' geworden", sagt er.
In einem Workshop setzten sich die Teilnehmer mit der Frage auseinander, wie man zugleich ein guter Christ und ein guter Staatsbürger sein könne. Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten, stellen dabei ihre Geschichte vor. Eine andere Gruppe befasst sich damit, wie Arbeits- und Privatleben gut zu vereinbaren sind.
Christina aus München hat ein "Mix aus Glaube und Lebensart" ins "sehr kalte Breslau" gezogen, wie sie sagt. "Taize klärt meinen Blick auf mich selbst", meint sie. Herkunft, Religion oder gar die Hautfarbe seien nicht so wichtig. "Wir sind doch einfach alle zunächst mal Menschen." Der Rest komme danach.
Die Gemeinschaft von Taize ist selbst sehr international: Ihr gehören etwa 100 Brüder aus rund 30 Ländern an, Katholiken und Christen aus verschiedenen evangelischen Kirchen. Sie wollen durch ihr monastisches Leben ein Zeichen der Versöhnung zwischen den gespaltenen Christen und zwischen getrennten Völkern sein.