Ein Kommenar von Dr. Paul Wuthe
Ein Kommenar von Dr. Paul Wuthe
Die ÖVP-Grüne-Koalition ist ein Novum für Österreich und kann dabei auch auf Unterstützung aus dem katholischen Aktivsegment rechnen - Von Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe
Seit gestern ist es fix: Mit der Angelobung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Österreich erstmals eine Koalitionsregierung auf Bundesebene mit Sebastian Kurz (ÖVP) als Bundeskanzler und Werner Kogler (Grüne) als Vizekanzler an der Spitze.
Die Reaktionen auf das politische Experiment sind überwiegend positiv - auch seitens der katholischen Kirche. Kardinal Christoph Schönborn hatte sogar noch vor der Angelobung am Dienstagmorgen "viel Erfolg und Segen" gewünscht, was so bislang auch noch nicht vorgekommen ist.
Rund drei Monate hatte die Bildung der Regierung seit der Wahl am 29. September gedauert. Dazwischen lagen Sondierungsgespräche und ab 18. November Verhandlungen zwischen Türkis und Grün, die schließlich zum Jahresbeginn in eine Einigung und ein 328 Seiten starkes Regierungsprogramm führten.
Dass Österreich dieser völlig neuen Regierungskonstellation derzeit wohlwollend gegenüber steht, überrascht auch Demoskopen, zumal diese Variante unter den Wählern von ÖVP bzw. Grünen knapp vor und nach dem Urnengang noch wenig beliebt war. Wie sehr Bewegung in das politische Gefüge in Österreich gekommen ist, das lange Zeit als großkoalitionär geprägt und auf Kontinuität bedacht galt, zeigt ein Blick auf die Ereignisse des letzten Jahres:
Die Veröffentlichung des sogenannten "Ibiza-Videos" - eines geheimen Mitschnitts, der u.a. FPÖ-Vizekanzler Heinz Christian Strache und den damaligen FP-Politiker Johann Gudenus bei einem konspirativen Treffen auf der Urlaubsinsel zeigt - führte im Mai zum Rücktritt Straches und schließlich zum Ende der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung. In der Folge wurde eine aus Experten bestehende Übergangsregierung angelobt mit einer Frau, der ehemaligen Höchstgerichtspräsidentin Brigitte Bierlein, an der Spitze.
Bei der letzten Nationalratswahl am 29. September kam es dann zu einem klaren Wahlsieg der ÖVP und zu einem deutlichen Absturz der FPÖ.
Die größte Überraschung stellte jedoch das Wahlergebnis der Grünen dar, die nach einer verheerenden Wahlniederlage 2017 zunächst aus dem Parlament geflogen waren und nun mit fast 14 Prozent zur viertstärksten Kraft im Land wurden. Grünen-Chef Werner Kogler sprach diesbezüglich und angesichts der nunmehrigen Regierungsbeteiligung der Grünen vom "größten Comeback seit Lazarus".
Mit Unterstützung aus dem katholischen Aktivsegment und der Kirchenspitze darf die neue Regierung jedenfalls rechnen, wie die Reaktionen der letzten Tage zeigen: So haben sich etwa die Katholische Aktion, der Katholische Familienverband, der Christliche Lehrerverband, aber auch die Caritas und die kirchliche Fachstelle für Entwicklungszusammenarbeit mit überwiegend positiven Stellungnahmen zu Wort gemeldet.
Der für Bildungsfragen zuständige Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl war einer der ersten, der sich aus der Kirche zum Regierungsprogramm äußerte und dabei vor allem die geplante Einführung des Ethikunterrichts für alle, die keinen Religionsunterricht besuchen, begrüßt hat. Das Projekt war unter der ÖVP-FPÖ-Regierung bereits auf Schiene gebracht worden und soll nun wie geplant umgesetzt werden. Dass die Grünen dem zustimmten, war nicht selbstverständlich, zumal sie bislang ein anderes Modell favorisierten, das aber die Stellung des Religionsunterrichts gefährdet hätte.
Diese Facette zeigt, dass sich das Verhältnis der Grünen zur katholischen Kirche in Österreich in den letzten Jahren deutlich entspannt hat. Nicht wenigen in der Öko-Partei mit einem starken links-alternativen Flügel war in der Vergangenheit die katholische Kirche nicht zuletzt wegen ihres oft inhaltlichen und auch personellen Nahverhältnisses zur ÖVP suspekt. Reibepunkte boten kirchliche Positionen zum Lebensschutz, zu Ehe und Familie, aber auch das Konkordat und "Kirchenprivilegien" waren Grün-Politiker immer wieder ein Dorn im Auge.
Demgegenüber sind in den letzten Jahren die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Kirche und Grünen immer deutlicher geworden: Der kirchliche Einsatz für den Umweltschutz ist spätestens seit der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus unbestritten. Aber auch das Engagement der Kirche für Bedürftige, Flüchtlinge oder im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit förderte thematische Allianzen mit den Grünen. So kann es nicht verwundern, dass sogar Spitzenkräfte aus kirchlichen Bereichen wie Caritas oder Katholischer Aktion auch bei den Grünen in verantwortungsvollen Stellen Fuß fassen konnten.
Mit Werner Kogler steht jetzt einer an der Spitze der Grünen, der aus seiner Wertschätzung für die vielen Leistungen der Kirche für die Gesellschaft und insbesondere der Caritas kein Hehl gemacht hat. Nicht nur vor genau einem Jahr, als die kirchliche Caritas heftig von der FPÖ attackiert wurde, sondern auch schon 2012 im Vorfeld des Volksbegehrens gegen "Kirchenprivilegien", ergriff der Grün-Realpolitiker Partei für die Kirche.
Gestärkt fühlen sich durch die neue Türkis-Grüne-Zusammenarbeit auch jene Katholiken, die sich mit dem christlichen Lager in ÖVP verbunden wissen. Das betrifft besonders jene, die sich für eine "Ökosoziale Marktwirtschaft" einsetzen. Diesen Begriff prägte bereits 1986 der ÖVP-Politiker Josef Riegler - und die von ihm bis heute getragene "Global Marshall Plan Initiative" kennt auch zahlreiche Unterstützer aus dem kirchlichen Bereich.
Die neue Koalition zwischen ÖVP und Grüne ist für Österreich in dieser Form ein Experiment und es hat gewissermaßen den Segen des Kardinals, der der neuen Regierung gleichzeitig ins Stammbuch schrieb:"Wenn wir das Gemeinsame vor das Trennende stellen, kommt es allen zugute: der bedrohten Schöpfung, den Menschen in prekären Situationen und dem Leben von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende."