Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott, Alfred Delp
Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott, Alfred Delp
„In einer halben Stunde weiß ich mehr als Sie.“, so verabschiedete sich Alfred Delp unmittelbar vor seiner Hinrichtung vom Gefängnispfarrer.
Berlin - Plötzensee am 2. Februar 1945. In den frühen Morgenstunden wird der 37 jährige Jesuit P. Alfred Delp durch Erhängen hingerichtet. Sein Leichnam wird, auf oberste Anweisung Hitlers hin, umgehend verbrannt, seine Asche verstreut. Der Versuch dieser völligen Auslöschung ist allerdings vergeblich. Alfred Delp bezeugt bis heute, was kompromisslose Christusnachfolge bedeuten kann, wie Mystik und politisches Engagement zutiefst zusammenhängen.
Am 15. September 1907 als Sohn eines evangelischen Vaters und einer katholischen Mutter zunächst unehelich geboren, wird er von der Großmutter evangelisch erzogen und im Alter von 14 Jahren konfirmiert. Im selben Jahr wendet er sich nach einer Auseinandersetzung mit dem evangelischen Pfarrer der katholischen Kirche zu, empfängt Erstkommunion und Firmung. Dass er mit dieser etwas komplizierten Geschichte unmittelbar nach seiner Matura 1926 in das Noviziat der Jesuiten aufgenommen wird, verdankt er wohl vor allem seinen beeindruckenden intellektuellen Fähigkeiten. Lange noch leidet er allerdings unter dem Vorwurf seiner Mitbrüder, er denke zu protestantisch. Später wird er, aus heutiger Sicht visionär, erklären: “Wenn die Kirchen der Menschheit noch einmal das Bild einer zankenden Christenheit zumuten, sind sie abgeschrieben.”
Bereits im Studium befreundet er sich mit seinem Mitbruder Karl Rahner, der gleichzeitig sein Lateinlehrer ist. Er promoviert mit einer Arbeit über Martin Heidegger und wird 1937 von Kardinal Michael Faulhaber in München zum Priester geweiht.
München bleibt auch sein Einsatzort. Er ist Arbeiterseelsorger in Bogenhausen und Redakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ bis zu deren Verbot durch die Gestapo 1941. Von Anfang an überzeugt, dass Christentum und Nationalsozialismus unvereinbar sind, fallen seine kritischen Predigten auf.
Exemplarisch soll hier eine Predigt zur Gestalt der Hl. Elisabeth von Thüringen erwähnt werden, in der er deutlich das Menschenbild der Nazi-Ideologie kritisierte: „Was sich da um Elisabeth sammelte, das waren nicht die Menschen mit dem klingenden Schritt, das waren nicht die Menschen mit den blitzenden Augen und den gestrafften Rücken, das waren nicht die Menschen der großen Positionen, das waren die Krüppel und die Kranken und die Bresthaften und die Armen und die Verstoßenen des Lebens und des Daseins.“
Delp war innerhalb des Ordens ein geschätzter Berater und brachte die Impulse der Päpstlichen Sozialenzyklika "Quadragesimo anno" aus dem Jahr 1931, mit den Forderungen nach der sozialen Gerechtigkeit, nach der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, nach einem Familienlohn, nach Mitbestimmung der Arbeiterschaft, häufig in Gesprächen ein. Die Frage, die ihn aber am meisten umtrieb, war, wie die weitgehend gottlos gewordenen Gesellschaft wieder zu Gott zurückgeführt werden konnte. Die Glaubensweitergabe hatte in seiner Sicht nicht erst seit Hitler einfach versagt. Eines seiner zentralen Bekenntnisworte lautet: „Die große Sinnerfüllung des Lebens liegt in der Begegnung mit Gott.“
Über Vermittlung von Rahner war Delp in den Vierziger Jahren auch immer wieder Gast im „Schmid‘schen Salon“ in Wien, einem Treffpunkt zahlreicher katholischer Intellektueller. Delp war ein kritischer Denker. Er sah die Kirche gelähmt von der Angst vor dem Kommunismus und gab dem „1000-jährigen Reich“ keine Chance. Sein klarer Blick brachte ihn in Verbindung mit dem „Kreisauer Kreis“, einem Art Thinktank für die Zeit nach dem Nationalsozialismus.
Genau diese Verbindung wurde ihm zum Verhängnis. Unmittelbar nach dem misslungenen Attentat Stauffenbergs auf Hitler, wurde er mit vielen anderen Regimekritikern gefangengenommen und in einem Schauprozess zum Tod verurteilt. Am 8. Dezember 1944 konnte er im Gefängnis noch, wenn auch mit gefesselten Händen seine letzten Ordensgelübde ablegen.
Wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er:
„Der Mensch muss sich selbst hinter sich gelassen haben, wenn er eine Ahnung von sich selbst bekommen will. Das ist es, was uns so selten gelingt und so schwerfällt. Und was den Menschen heute so unsinnig erscheint, weil sie die unendlichen Gluten und die schimmernde Bläue und die grenzenlose Weite des göttlichen Wesens nicht mehr kennen, denen man sich überantworten muss. Man muss die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind. …"Adoro", "ich bete an", und "Suscipe", "nimm an!" sind die beiden Urworte der menschlichen Freiheit. Das gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die beiden Urgebärden des freien Menschen. …“
In dieser tiefen Glaubensgewissheit ging er am 2. Februar 1945 in den Tod. Sein Lebenszeugnis und seine Schriften haben nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Delps Spiritualität könnte man mit einem Ausdruck des kürzlich verstorben Theologen Johann Baptist Metz als „Mystik der offenen Augen“ bezeichnen.
Dass sein Todestag jährlich mit dem „Tag des geweihten Lebens“ zusammenfällt, regt schließlich dazu an, auf die widerständige und prophetische Berufung der Männer und Frauen in den Orden und den anderen Formen des geweihten Lebens - im Sinne Delps durchaus auch kritisch - zu reflektieren.
"Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott. Ob Gott nun einen Menschen aus sich herauszwingt durch die Übermacht von Not und Leid, ob er ihn aus sich herauslockt durch die Bilder der Schönheit und Wahrheit, ob er ihn aus sich selbst herausquält durch die unendliche Sehnsucht, durch den Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, das ist ja eigentlich gleichgültig. Wenn der Mensch nur gerufen wird und wenn er sich nur rufen lässt! …"
Ob das nun eine Erziehung des Menschen zu Gott ist? Erst die unterste Voraussetzung. Erst die Bemühung um eine Ordnung und Verfassung des Lebens, in der ein Blick auf Gott für den Menschen nicht mehr eine übermenschliche Anstrengungbedeutet.Die Mühe um eine Verfassung des Daseins,in der das Menschenherz auch in seinen Sehnsüchten wieder gesund wird und so unruhig in jener heiligen Unruhe,die erst in Gott zusich kommt und deshalb auch Gott wieder meint. Dann allerdings bedarf es erst der Hauptsache,des von Gott erfüllten und Gottes mächtigen gleichartigen Menschen,der den andern anspricht und anruft. Alle die direkten religiösen Bemühungen halte ich in der gegenwärtigen geschichtlichen Stunde für ohne dauerhafte Fruchtbarkeit. So lange der Mensch an der Straße liegt, blutig geschlagen und ausgeplündert,wird ihm der der Nächste und damit der Zuständigste sein, der sich seiner annimmt und ihn beherbergt, nicht aber einer, der zum „heiligen Dienst“ vorbeigeht,weil er hier nicht zuständig ist.