Das Schreiben "Querida Amazonia" von Papst Franziskus lässt Fragen offen.
Das Schreiben "Querida Amazonia" von Papst Franziskus lässt Fragen offen.
Papstschreiben sorgt für Überraschung und Enttäuschung.Statt Machtworte zu sprechen, hält der Papst Strittiges in der Schwebe. Kommentar von Kathpress-Korrespondent Roland Juchem
Dieser Papst, der so einfach und bewegend reden kann, ist mitunter schwer zu verstehen.
Was meint Franziskus damit, wenn er mit seinem am Mittwoch präsentierten nachsynodalen Schreiben "Querida Amazonia" das Abschlussdokument der Amazonien-Synode "offiziell vorstellt"?
Der Papst macht es sich nicht explizit zu eigen - womit es Teil seines Lehramts würde. Er erkennt ihm aber die Autorität von Menschen zu, "die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie".
Franziskus fordert dazu auf, all das komplett zu lesen, was die Synodenväter in ihrem Schlussdokument Ende Oktober verabschiedet haben. Und er ermutigt, sich um eine "Umsetzung zu bemühen".
Doch was bedeutet das, wenn im Abschlussdokument angeregt wird, verheiratete Männer in Ausnahmefällen zu Priestern zu weihen, wenn dort für Diakoninnen geworben wird, für einen amazonisch-katholischen Ritus und die Definition einer "ökologischen Sünde"? Franziskus greift dies in "Querida Amazonia" kaum auf. Bei der Vorstellung seines Schreibens im Vatikan mochten sich die Kardinäle Michael Czerny und Lorenzo Baldisseri am Mittwoch ebenso wenig festlegen.
Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn erinnert in einem Kommentar zum nachsynodalen Papstschreiben an die Einleitung zu "Amoris laetitia". In diesem Schreiben nach den Ehe- und Familiensynoden von 2014/2015 wies der Papst darauf hin, dass nicht alle Diskussionen "durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen". Franziskus zufolge "können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden" und dürfen "verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre" weiterbestehen - bis irgendwann Gottes Geist die Gläubigen zu einer tieferen Einsicht führe.
Daran knüpft er nun an. Am Ende von "Querida Amazonia" wird erwähnt, dass eine "wahre Antwort" auf "scheinbar entgegengesetzte" Herangehensweisen darin bestehe, "beide Lösungsansätze zu überwinden und andere, vielleicht ungeahnte, bessere Wege zu finden".
Lockerungen der Zölibatspflicht, Diakoninnen, ein neuer katholischer Ritus sind für Franziskus (derzeit) Schnellschüsse, die zu kurz greifen. Nichts davon schließt er kategorisch aus - wählt jedenfalls keine Formulierung wie Johannes Paul II. in seinem Schreiben "Ordinatio sacerdotalis" von 1994 gegen die Priesterweihe von Frauen.
Da Franziskus als Papst die Kirche zusammenhalten muss und er sieht, dass einige Reformideen (noch) nicht genügend mitgetragen werden, mag die teils heftige Kritik konservativer Kreise bei ihm Wirkung zeigen. Ex-Glaubenspräfekt Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der sich mehrfach kritisch zur Synode äußerte, billigt dem Papstschreiben jedenfalls versöhnende Wirkung zu.
Deswegen wohl auch sucht sich Franziskus in "Querida Amazonia" für seine oft deutlichen, an biblische Propheten erinnernden Worte gegen Ungerechtigkeit oder Zerstörung der Schöpfung unverdächtige und unterschiedliche Zeugen. Als Globalisierungskritiker stützt er sich auf seine heiligen Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. Für das Leid der Menschen Amazoniens zitiert er Augenzeugenberichte, Dichter und andere Schriftsteller.
Für das von der Kirche geforderte ökologische Engagement beruft er sich auch auf Benedikt XVI. Und für eine mutige Inkulturation des Evangeliums zitiert er neben dem Zweiten Vaticanum und Johannes Paul II. auch Joseph Ratzingers Interviewbuch "Zur Lage des Glaubens", den brasilianischen Dichter-Bischof Pedro Casaldaliga - und Thomas von Aquin. Seine Warnung, indigene Symbole und Traditionen nicht vorschnell als "heidnisch" zu verurteilen, verbindet Franziskus mit der Aufforderung, den eigenen katholischen Glauben mutig zu vertreten und zu leben.
Gegliedert hat Franziskus seine "Liebeserklärung" an das ökologisch, sozial und kirchlich weltweit bedeutsame Amazonien in vier "Träume" - einen sozialen, einen kulturellen, einen ökologischen und einen kirchlichen. Allein die deutsche Fassung übersetzt das spanische "sueno" mit "Vision". In der Tat beschreibt der Papst über ganze Strecken noch einmal Alpträume, von denen die Synodenteilnehmer berichteten und die auch im Arbeitsdokument zusammengetragen waren.
Dieses zitiert Franziskus öfter. Im Sinne der vielen vorbereitenden Konsultationen vor der Synode plädiert er nun für neue, faire Dialoge in Amazonien - zwischen Politik, Wirtschaft, Indigenen, Menschenrechtsvertretern, Kirche, Wissenschaft, Bildung.
Innerhalb der Kirche betreibt Franziskus Synodalität bis zur Schmerzgrenze. Statt Machtworte zu sprechen, hält er Strittiges in der Schwebe. Er tut das in der frommen Hoffnung, dass Gottes Geist die beteiligten Auffassungen irgendwann zu einer tieferen, vor allem gemeinsam Einsicht leite möge - wie immer die aussehen mag. Erste Reaktionen zeigen: So weit können oder mögen ihm etliche nicht folgen.