Eleonore Schönborn im Kreis ihrer Kinder.
Eleonore Schönborn im Kreis ihrer Kinder.
Eleonore Schönborns bewegte Geschichte prägte auch ihren Sohn am Wiener Bischofsstuhl.
Sie ist nicht die einzige, der das Coronavirus am Geburtstag die Pläne durchkreuzt, beim runden Jubiläum schmerzt es aber doppelt: Eleonore Schönborn, Mutter des Wiener Erzbischofs, begeht am 14. April ihren 100er. Wegen des Reiseverbotes wird es auch bei den Schönborns nur Glückwünsche am Telefon geben, bedauerte dieser Tage Kardinal Christoph Schönborn. Das für Osterdienstag anvisierte Familientreffen im Vorarlberger Montafon - mit den Kindern Philipp (76), Christoph (75), Barbara (73) und Michael (66), den Enkeln und 15 Urenkeln - muss vorerst verschoben werden.
Das vergangene Jahr hat nicht nur ihren in der Kirchenhierarchie weit oben stehenden Sohn gesundheitlich stark mitgenommen. Eleonore Schönborns Bewegungsfähigkeit sank zuletzt stark und sie erblindete nahezu vollständig, was für die bis zuletzt Hochaktive ein großer Einschnitt bedeutete: Saß die leidenschaftliche kartenspielende Jasserin doch auch nach ihrem 90er weiter selbst hinter dem Steuer und erlernte entschlossen den Umgang mit E-Mail und Internet. Doch auch aus dem Rollstuhl referierte sie im Vorjahr noch beim von ihr einst mitbegründeten Krankenpflegeverein Außermontafon - über das Thema "Einsamkeit im Alter".
Einen "hellwachen Geist" attestieren der Jubilarin alle, die sie kennen. Und große Gelassenheit, die sie bei einem im Februar geführten "Krone"-Interview zutage legte: Der Erblindung verdanke sie, dass ihre Gebete "ehrlicher" geworden seien, dass sie nun endlich "in Ruhe über vieles nachdenken" und ihr Leben ordnen könne, gab sie dabei zu verstehen. Und betonte, dass ihr der Ausspruch "Wer an Gott glaubt, ist nie allein" des sieben Jahre und zwei Tage jüngeren Benedikt XIV. eine große Stütze sei. Sie habe dieses Zitat oft gebraucht - wohl auch, um nachträglich die dunklen Zeiten der eigenen Vergangenheit zu verstehen.
Ihre eigene Kindheit in Mähren beschreibt Schönborn als "wundervoll". Eleonore Freiin von Doblhof, so ihr Geburtsname, wird 1920 als jüngstes Kind einer u.a. in der Zuckerproduktion tätigen Adelsfamilie geboren und besucht ein Internat für höhere Töchter. Ihr Vater stirbt früh nach Multipler Sklerose. Sie selbst lernt rund um den 22. Geburtstag auf einer Cocktailparty den Maler Hugo-Damian Schönborn kennen, der schon beim dritten Treffen um ihre Hand anhält. Sein Faible für moderne Kunst, Philosophie und Literatur fasziniert sie und lässt sie alle Vorbehalte der Verwandten überhören. Am 10. Mai 1942 wird geheiratet.
Das Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Hugo-Damian, der wie viele Adelige eine NS-Offizierskarriere ausschlug und einfacher Gefreiter blieb, wird an die Front nach Stalingrad einberufen. Er wollte sich wohl "eine Hoffnung mit in den Krieg nehmen", sagt die damals auf die Burg Skalka bei Leitmeritz übersiedelte Eleonore heute darüber. Er desertiert und läuft zur britischen Armee über, hat sich jedoch vom Krieg die Tuberkulose eingehandelt, an der er lebenslang laborieren wird, und wird zur Heilung in die Schweiz geschickt. Eleonore bringt inmitten der Wirren dieser Zeit im Jänner 1945 Christoph Schönborn zur Welt - neun Monate nach einem Fronturlaub ihres Gatten.
Und dann kurz nach Kriegsende jener Moment, der für die damals 25-jährige Guts- und Schlossherrin alles verändert: Der Dorfgendarm steht damals an der Türschwelle und teilt mit, die Familie müsse binnen einer Stunde das Land verlassen; die Benes-Dekrete in der neu entstandenen Tschechoslowakei sorgen für die Vertreibung aller Angehörigen der seit Jahrhunderten hier ansässigen deutschen und ungarischen Minderheit. Eleonore mit den vier Kindern im Schlepptau darf nur das mitnehmen, was sie tragen kann, lässt aber in der Panik allen Familienschmuck zurück. Heimat, Heim, die beschützende Großfamilie und auch ihr Lebensplan - alles ist mit einem Schlag zerstört.
Es folgt eine Odyssee - zunächst zu Verwandten nach Breiteneich bei Horn in Niederösterreich, dann zur älteren Schwester Eleonores in Graz, wo sie auch ihren Mann wieder trifft, schließlich ab 1950 nach Schruns im Vorarlberger Montafon, wo sie eine Arbeit findet. Auch wenn dieser Wanderzeit zwei weitere Kinder geboren werden, sei es ihre "dunkelste Etappe" Lebens gewesen, sagt Eleonore, und bezieht sich dabei auf ihre Enttäuschung über die glücklose Ehe. Das Paar lässt sich 1958 einvernehmlich scheiden - ein Schritt, mit dem sie bis heute hadert. Bei ihren Kindern hinterlässt dies tiefe Spuren - Erfahrungen, die ihrem zweiten Sohn viel Einfühlungsvermögen verleihen würden, als es bei der Familiensynode in Rom sechs Jahrzehnte später um Scheidungsfamilien geht.
Jetzt erst recht auf sich gestellt, verdient Eleonore Schönborn den familiären Lebensunterhalt bei der Textilfirma Getzner in Bludenz, wo sie 30 Jahre lang bleibt und wegen ihrer Französischkenntnisse rasch Chefsekretärin und später Vorarlbergs erste Prokuristin und Pressesprecherin wird. Sie baut das Haus ihrer Familie, bringt sich in Schruns im Pfarrgemeinderat und im Krankenpflegeverein ein. Erst nach 25 Jahren - ihr Sohn Christoph ist inzwischen 1970 zum Priester geweiht und zum Professor an der Schweizer Universität Freiburg ernannt worden - fühlt sie sich in der neuen Heimat integriert und nicht mehr als "Zugereiste", sagt sie später.
Ihr politisches Interesse, mit dem sie das Zeitgeschehen intensiv verfolgt, legt Eleonore Schönborn nie ab. Sie wird erste Schrunser Gemeindevertreterin, initiiert die Errichtung von Museen im Montafon und wird dafür 1997 sogar mit dem Großen Verdienstzeichen des Landes geehrt. Sie ist hellhörig, als das Asylthema Österreich später erneut betrifft. Plattformen, die sich gegen die Abschiebung von in Österreich integrierten Flüchtlingsfamilien einsetzen, finden in ihr eine vehemente Unterstützerin. "Niemand geht freiwillig von zuhause weg", und: "auch ich war einmal Flüchtling", begründet sie dies glaubhaft aus ihrer eigenen Vergangenheit.
In internationale Schlagzeilen schafft es die Kardinals-Mutter kurz vor ihrem 93er: Ihr Sohn auf dem Stuhl des Wiener Erzbischofs wird damals nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. als heißer Tipp für dessen Nachfolge gehandelt. Die ganze Familie hätte Angst davor, sollte dies wirklich eintreten, sagte sie, auch sähe sie Kardinal Christoph Schönborn als "viel zu gütig" für den Job und das Papstamt als zu große Belastung für ihn. Auch würde sie ihn dann wohl kaum mehr zu Gesicht bekommen wie bis dahin zumindest noch bei ihren jährlichen Wien-Aufenthalten.
Das Befürchtete tritt nicht ein, Christoph Schönborn ist heute auch nach seinem 75er noch Erzbischof von Wien - nach Erreichen des Pensionsalters in einer von Papst Franziskus angeordneten "Spielverlängerung" und aufgrund der Corona-Krise auch noch immer Bischofskonferenz-Vorsitzender. Christoph sei "immer ein sehr guter Sohn gewesen" und ihr stets sehr nahe gestanden, sagt die Mutter über ihn. Der Erzbischof verweist in seinen Predigten und Zeitungskolumnen oft auf sie. Eleonore Schönborn erinnere ihn beispielsweise stets daran, zu lächeln - "dass die Mundwinkel oben bleiben, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist".