Hubert Wolf zeichnet den Weg des jungen Adligen Giovanni Maria Mastei Ferretti aus Senegallia zum am längsten amtierenden Papst der Geschichte nach.
Hubert Wolf zeichnet den Weg des jungen Adligen Giovanni Maria Mastei Ferretti aus Senegallia zum am längsten amtierenden Papst der Geschichte nach.
Am 18. Juli 1870 definierte das erste vatikanische Konzil den Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes. Wie es zu dieser, die Kirche grundlegend prägenden Entscheidung kommen konnte, schildert der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einer neuen Biographie Papst Pius IX.
Die hitzige Diskussion der letzten Woche zur jüngsten Instruktion der vatikanischen Kleruskongregation macht deutlich, welche Bedeutung „Rom“ im Bewusstsein von Katholiken haben kann. Je aktiver er/sie am Leben der Kirche teilnimmt, umso emotionaler ist diese Bindung.
Dass der Papst – oder etwas weniger präzise „der Vatikan“- in allen Belangen der Weltkirche das letzte, entscheidende Wort hat, ist allerdings ein historisch junges Phänomen und hat seine dogmatische und juridische Verankerung in der Konstitution „Pastor Aeternus“ des Ersten Vatikanums, das untrennbar mit der Persönlichkeit und Amtsführung von Papst Pius IX verbunden ist. Wie es dazu kam, hat der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in der gleichermaßen detaillierten wie kurzweiligen Biographie „Der Unfehlbare: Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert“(C.H.Beck) beschrieben.
Wolf versteht es, den Aufstieg des verzärtelten Aristokratensohnes aus der abgelegenen Adriastadt Senegallia zum „ersten unfehlbaren Papst“ der Kirchengeschichte im Kontext der politischen und geistigen Erschütterungen des 19. Jahrhundert zugleich einfühlsam und gründlich - zuweilen auch gründlich ernüchternd - nachzuzeichnen.
Spannend ist das Werk besonders dort, wo es den Leser in bis heute aktuellen Konfliktfelder mitnimmt. Zwei Beispiele seien kurz erwähnt. Für die Auseinandersetzung zwischen universitärer theologischer Forschung und dem Anspruch eines zentralen „ordentlichen Lehramtes“, das sich als Garant einer „immer, überall und von allen für wahr gehaltenen“ Glaubenssubstanz versteht, finden sich auch in jüngster Zeit ausreichend Beispiele. Nicht weniger aktuell: die Spannung zwischen nachdenklichem Glauben, der den Dialog mit der modernen Wissenschaft sucht und einer gefühlsbetonten, charismatischen Frömmigkeit mit dem Hang zu Erscheinungen und übernatürlichen Phänomenen.
Erhellend ist die Mythenbildungen in der Ära Pius IX. „Trient“ wird zum Symbol für eine granitharte Form des Glaubens, die in der Auseinandersetzung mit „traditionsverbundenen Mitchristen“ nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Wolf weist schlüssig nach, wie dieser Mythos entstand und auf welch tönernen Füßen er steht.
Noch verhängnisvoller ist der Übergang vom institutionellen Papstamt, das seine Legitimation ausschließlich aus der „Nachfolge Petri“ bezieht, hin zu einem charismatischen, von der Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers abhängigen Phänomen. In diesem Dilemma steckt die Kirche bis heute, wie die öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen um den gegenwärtigen Papst zeigen. Eine „sachliche, katholische Papsttreue“ scheint seit Pius IX und seinen Nachfolgern kaum mehr möglich.
Die Kunst von Hubert Wolf, Kirchengeschichte präzis und spannend "wie einen Krimi" zu erzählen, macht das Buch bereits für sich lesenswert. In „der Unfehlbare“ gelingt es ihm, den Leser aus der persönlichen Auseinandersetzung mit bis heute aktuellen Konflikten aus der Ära Pius' IX nicht zu entlassen.
Wolf, Hubert
Der Unfehlbare
Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert
C.H. Beck
Erschienen am 16. Juli 2020
432 S., mit 27 Abbildungen und 1 Karte
Hardcover